Anfang der 1960er Jahre gründeten der Architekt Robert de Grimston und seine Frau Mary-Ann gemeinsam mit anderen ehemaligen Mitgliedern der Scientology Church die Process Church of The Final Judgement. Anfangs noch eine Art psychotherapeutische Selbsthilfegruppe, entwickelte The Process später eine gnostische, düster-apokalyptische Doktrin und avancierte so zu einer der schillerndsten Erscheinungen im religiösen Underground jener Zeit. In der Öffentlichkeit fielen die Mitglieder von The Process durch ihre dunklen Capes und Kapuzenumhänge auf, womit sie einen modischen Kontrapunkt setzten zum farbenfroh-optimistischen Erscheinungsbild der Hippies.
Eine wesentliche Einnahmequelle von The Process war neben dem Betrieb von Cafes der Verkauf von in Eigenregie produzierten Magazinen. Diese monothematischen Hefte zeichneten sich vor allem durch ihr psychedelisches Layout und ein avantgardistisches Artwork aus. Ziel der Magazine war es weniger, in einem indoktrinären Sinne Werbung für The Process zu machen, als vielmehr verschiedene Sichtweisen und Ausarbeitungen zum jeweiligen Thema vorzustellen und abschließende Urteile den Leserinnen und Lesern zu überlassen. Mittlerweile werden die extrem seltenen Originalhefte auf Auktionen zu Sammlerpreisen gehandelt. Nun hat der US-Verlag Feral House, schon seit geraumer Zeit so was wie der publizistische Nachlassverwalter von The Process, drei der umstrittensten Ausgaben – On Love, On Fear und On Death – zusammengefasst und im Faksimile in einer auf 1200 Exemplare limitierten Auflage nachgedruckt. So wird es endlich möglich, in die Gedankenwelten von The Process einzutauchen und sich anhand der Originalquellen ein eigenes Bild von den Lehren der Sekte zu machen jenseits der Verzerrungen und Verleumdungen, die von etlichen verschwörungstheoretischen Autoren in die Welt gesetzt wurden.
Inhaltlich finden sich in den Heften neben Fotostrecken aus dem Alltag der Process Church und Essays zum Schwerpunktthema der jeweiligen Ausgabe auch Interviews (etwa mit der Schauspielerin Stephanie Powers), Brettspiele („The Game of Rape“ oder „A Game Called Fobia“), Comics und Psychotests. Aber auch ein Kurzführer über den Einweihungsweg von The Process („How can I become a Processan?“) ist nachzulesen. Die Herausgeber lassen dabei nicht nur Mitglieder von The Process zu Wort kommen, sondern auch Gastautoren: so werden zum Thema Tod Statements von Charles Manson und dem Fundamentalkatholiken Malcolm Muggeridge gegenüber gestellt.
Abgerundet wird der opulente Band durch Robert de Grimstons Traktat The Gods On War, einem der wichtigsten programmatischen Texte von The Process, sowie einem Gespräch zwischen Adam Parfrey und Timothy Wyllie (als ehemaliger Art Direktor verantwortlich für die Maßstäbe setzende graphische Gestaltung der Process-Publikationen) über die Geschichte der Gruppe sowie die speziellen Bedingungen, unter denen die Magazine entstanden.
Feral House liefert mit Propaganda and Holy Writ of The Process Church of the Final Judgement ein sorgfältig ediertes Dokument des alternativreligiösen Untergrunds der 1960er Jahre, und es bleibt zu hoffen, dass in absehbarer Zeit weiteres Material aus den Archiven der Process Church, etwa ihre liturgischen Texte, den Weg in die Öffentlichkeit finden.
(M. Boss)
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