Als 1991 „Achtung Baby“ erschien, hatte ich weiß Gott besseres zu tun, als mich mit U2’s Versuch zu beschäftigen, aus ihrer selbstgeschaffenen Sackgasse auszubrechen. Natürlich waren schon zu DDR-Zeiten U2 für mich keine Unbekannten, denn „Joshua Tree“ geisterte als Intershop-Platte durch den Freundeskreis, aber selbst damals war mir das Ganze (abgesehen von einigen wirklich guten Gitarren-Hooks) irgendwie zu pathetisch verbrämt. Als dann die Mauer fiel, gab es musikalisch auf Jahre gesehen genug Tonträger-Material aufzuholen bzw. anzuhäufen und U2 waren da einfach nur alte Stadien-Rocker wie PINK FLOYD oder die ROLLING STONES für mich. Zwar lies mich 1993 das „Zooropa“-Album mit dem groovigen „Numb“ und dem herrlichen Gastauftritt von Johnny Cash (lange vor seinem Rick Rubin-Comeback) kurz aufhorchen, aber alles was danach bis heute kam, bestätigte nur meine Meinung aus Jugendtagen. Nun will es aber die Ironie der Geschichte, dass ich mich 20 Jahre später anlässlich der Wiederveröffentlichung von „Achtung Baby“ doch noch intensiver mit der irischen Band auseinandersetzen muss. Jedoch genug der privaten Befindlichkeiten und zu den Fakten: U2 waren nach dem Riesenerfolg von „Joshua Tree“ und dem richtungslosen Nachfolger „Rattle & Hum“ musikalisch völlig ausgebrannt und standen wortwörtlich vor einer Mauer. Das diese letztendlich fiel, verdanken U2 letztendlich dem Verlauf der Geschichte, denn nach dem richtigen Mauerfall zog es die Band in das frisch wiedervereinte Berlin und dort sog man begierig die einmalige Atmosphäre des schnell flüchtigen Moments einer ehemals geteilten Stadt ein. Alles schien damals möglich und zumindest U2 nutzten es dann wirklich zu ihren Gunsten. Zusammen mit Brain Eno und Flood als Produzenten zog man ins legendäre Hansa-Studio ein und nahmen ein frisches wie zum Teil recht dunkles Album auf, welches in gerader Linie mit Klassikern von David Bowie („Low“ und „Heroes“) oder DEPECHE MODE („Black Celebration“) steht, die ebenfalls dort entstanden. Plötzlich sang Bono zum Teil mit verstellter Stimme, die Gitarre von The Edge klang wie eine einfahrende S-Bahn, die Drums von Larry Mullen fanden den Groove des damals gerade auf dem Höhepunkt grassierenden Rave und der Bass von Adam Clayton brummelte gewohnt (austauschbar wie immer) vor sich hin. Überraschend gingen die Fans diesen Schritt aber mit und das Album warf einige Hits bzw. Klassiker wie zum Beispiel „One“, „The Fly“ oder „Mysterious Ways“ für die Band ab. Das Album wurde jetzt anlässlich des 20. Jahrestages dezent neu gemastert und wird in den verschiedensten Editionen angeboten. Neben der Standard-Einzel-CD gibt es dann noch die Deluxe-Ausgabe mit einer zweiten CD, welche B-Seiten, Cover-Versionen, Remixe und bisher unveröffentlichte Songs aus dieser Phase enthält. Diese Ausgabe ist ebenfalls als 4LP-Set zu erwerben, was auch Sinn macht, da die Original-LP von „Achtung Baby“ damals nur auf eine Platte (im wahrsten Sinne) gepresst war und jetzt endlich verteilt auf 2 Vinyls seinen Klang und vor allem Druck besser entfalten kann. Zusätzlich gibt es noch eine Super-Deluxe-Box mit insgesamt 6 CDs + 4 DVDs, die neben dem Nachfolge-Album „Zooropa“ u.a. mit der Disc „Kindergarten“ das Album als raue Demo-Version bietet. Letztendlich vereint die Über-Deluxe-Box alle Formate in sich + diverse Zusatz-Kram, hat mit rund 300 Euro aber auch einen verdammt stolzen Preis. Fazit von der ganzen Sache ist, dass ich mich nun 20 Jahre später doch noch intensiv mit U2 auseinandergesetzt habe und mir „Achtung Baby“ inzwischen richtig gut gefällt. (Marco Fiebag)
Format: 4LP/CD/2CD |
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