In kurz: Trip. In lang: der ganz eigene Charakter von Maarten van der Vleutens musikalischem Konzept auf „The Scars Remain“ ist schon mit dem Cover zu erahnen: 2 x 1, die zusammen gehören oder eine Doppel, die einfach „nur“ eine neue Version des Doppel-LP Covers ausprobiert? Ungefähr das kam mir als erstes in den Sinn, als ich diese Platte das erste Mal in den Händen hielt. Noch vor der Frage, wer Maarten van der Vleuten eigentlich ist und was er bisher schon gemacht hat.
Und vor allem: was er hier tut. Zum Beispiel gleich auf der #1, wenn ein niederländischer Künstler den Opener „Der Tod ist keine Himmelsversicherung“ nennt und dafür Snippets von Reden des Evangelisten Anton Schulte collagiert. In einem Stück, das wie ein Arktiswind erscheint, dessen Urkraft dann aber auch noch Militär-Snares und Streicherloops zur Seite gestellt bekommt. Plus so etwas wie Fieldrecordings einer Schlacht im 18. Jahrhundert. Und wahrscheinlich ist das auch als Einstimmung gedacht; auf das Thema des Albums „The Scars Remain“ und deren möglicher Herkunft aus Krieg, Kampf, etc. „Drumfires at Smallwater“ und „Kriegslied“ tragen diesen Hinweis schon im Titel, im Innencover ein Bild von (vermutet) WWI-Soldaten bei irgendeiner (nur vom Militär so schräg zu erwartenden, surreal, angsteinflössend wirkenden) Festlichkeit. Und wenn man einmal auf der Schiene ist, kann man den industrial-style-Rhythmus der #2, „Bury me among the Dogs (51.660927, 5.296464)“ auch als Marsch-Rhythmus lesen; innerhalb einer gespenstischen, nebeligen Szenerie vorwärtsschreitend, aber gleichzeitig gefangen in der Unwirklichkeit.
Auf „A.XX.VVIII.MCLXXXXI“ (Datum einer Schlacht?) lässt Maarten van der Vleuten dann die Truppen endgültig los: Fanfaren, Chöre, irgendetwas hymnisch skandierend, das durch den loopartigen Charakter des Stücks ins absurde getrieben wird (und, vermutet, in genau diesem Sinne gemeint ist).
„Sh_ift“ und „Another Man’s Suffering is easy to bear“ gehen musikalisch ins intimere, ohne die verstörende Atmosphäre auch nur im geringsten zu befrieden; vor allem letzteres dabei fast wie ein vorgezogenes Requiem, versunken in der Trauer um die Verlorenen; autistisch allein und ohne Hoffnung.
„Drumfire at Smallwater“, faszinierend in dem Clash der Collage; elektronischer Rhythmus, Militär-Snares, Trompeten und gregorianischer Mönchsgesang; fast alles durch eine nebelhafte Hallwand gleichzeitig entrückt und trotz der Gegensätzlichkeit der Elemente verwoben; unglaublich in seiner paradoxen Stringenz. „Kriegslied“ bezieht dagegen möglicherweise wieder eindeutiger Stellung und geht fast als Soundtrack durch; der heldenhafte Pathos durch die Setzung der Elemente mit einer Schicht schwarzgrauen Verfalls überzogen. Gefallen, bevor die Schüsse es sind. Das folgende Titelstück könnte im Kontrast kaum stärker sein: fast totenstill, allein eine unstet wieselnde Textur aus transparenter Elektronik und das psalmodieren über die Unmöglichkeit Geschehenes ohne bleibende Spuren hinter sich lassen zu können. Und auch die beiden letzten Stücke, „With Sorrow He Wept“ und „Burden“ nutzt Maarten van der Vleuten als Träger von Botschaften. Und mit blick auf den Titel der Platte und die dieser letzten Stücke ist es auch logisch, dass die konkrete(re) Botschaft sich am Ende ballt; als Fazit, als Zusammenfassung, als Folge der Erkenntnisse zuvor.
In beiden Fällen mit entsprechender musikalischer Haltung; keine Musik für den Siegestaumel, allein für die dunkle Seite… Unglaublich tief, unglaublich gut.
PS: Zwei einzelne Cover, visuell zusammengehörend, zusammen in einer Aufklapp(!)-Pvc-Hülle; da kann die Anfangsfrage ja durchaus schon mal aufkommen… Und: noch mal das Thema der Platte: habe ich eigentlich schon die wappenhafte Iconografie genannt (wieder: Carl Glover, Aleph Studio)?
(N)
Format: 2LP |
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