Herman van Veen erzählt in seinem Lied über Edith Piaf davon, dass er als Kind ihre Lieder im Radio gehört hat und es wunderschön fand, obwohl er kein Wort verstand. Ähnlich geht es mir mit dem bei Steinklang Records erschienen Debütalbum der Formation Café de l’Enfer: Auch ich verstehe kein Wort, bin aber von der Musik verzaubert. In den acht Titeln des Albums präsentieren Café de l’Enfer melodiösen Military Pop, der ganz ohne das für dieses so Genre typische brachial-hohle Pathos auskommt, mit treibenden Rhythmen und einem oft mehrstimmigen Gesang, der an manchen Stellen an Dead Can Dance in ihren besten Zeiten erinnert.
Als programmatisch darf man eine Zeile aus dem Titellied verstehen, dessen Text auf dem Innencover abgedruckt ist, und die selbst ich verstehe: „L’hedonisme est notre religion“. Dieses Motto spiegelt sich auch im Artwork der CD wider, das u.a. historische Aktfotographien von Frauen beim Liebesspiel präsentiert – zärtliche Cousinen in Schwarz-weiß vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihren Namen haben Café de l’Enfer, über deren Mitglieder im übrigen nichts in Erfahrung zu bringen ist, von einem Etablissement übernommen, das Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Boulevard de Clichy im Pariser Rotlichtviertel Pigalle eröffnet wurde und vermutlich bis in die 1950er Jahre existierte. Wie alte Fotos zeigen, war der Schankraum eine klaustrophobische Grotte, an deren Decke sich kleine Teufel und die von ihnen gequälten armen Seelen tummelten – das passende Ambiente also für einen gepflegten Aperitif in der Hölle. Den Eingang bildete der weit geöffnete Schlund eines Dämons, der sich gleich mehrfach auf dem Cover findet. Café l’Enfer verorten sich demnach eindeutig in der Tradition der literarischen Décadence, was sie noch durch den Abdruck eines Textes von Charles Baudelaire aus den “Journaux intimes“ unterstreichen. Darüber hinaus schlägt das einzig englischsprachige Stück des Albums auch eine Brücke zur spätrömischen Dekadenz: “Messaline“ ist eine im Sprechgesang vorgetragene Hymne an die dritte Gemahlin des Kaisers Claudius, die vor allem für ihre Ausschweifungen berüchtigt war.
“Marchant à quatre pattes au-devant de le rédemption“ ist aus den gleichen Quellen geschöpft wie etwa “Absinthe“ von Blood Axis / Les Joyaux de la Princesse oder die “Gaslight Tales“ von Paul Roland. Somit ist diese in allen Belangen gelungene Veröffentlichung hervorragend geeignet zur musikalischen Untermalung eines Abends, an dem man mal wieder “Blumen des Bösen“ pflücken oder in Huysmans “Gegen den Strich“ blättern will – und die gesungenen Texte sowieso nicht versteht.
(M. Boss)
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