Vor vierzig Jahren, am 19. April 1971, wurde im Prozess gegen Charles Manson und seine Mitangeklagten das Urteil gesprochen. Seitdem machen sich bis auf den heutigen Tag alte und immer wieder auch neue Anhänger Mansons auf dem Weg, um ihrem Idol im stickigen Besucherzimmer irgendeines US-Bundesgefängnisses zu begegnen und geistige Wegzehrung für den eigenen Lebensgang zu erhalten.
Auch die aus Israel stammende Journalistin Michal Welles begab sich vor rund zwanzig Jahren auf den Charlie-Weg, um das Phänomen Charles Manson zu ergründen. Nun hat sie die Gedächtnisprotokolle ihrer zahlreichen Gespräche mit Manson zusammengefasst und sich von ihm die so entstandene Textsammlung als seine eigene Autobiographie autorisieren lassen. Da Manson wohl schwer erkrankt ist, ist der Titel Meine letzten Worte nicht einmal allzu pathetisch, wobei das letzte Wort in diesem Fall auch mit diesen Buch noch nicht gesprochen sein dürfte. Bevor sie Manson reden lässt, berichtet Welles zunächst von ihrer eigenen Reise ins Manson-Land. Sie erzählt von ihrem ersten Besuch im Staatsgefängnis von Corcoran, den Gesprächen mit Aufsehern, Sozialarbeitern und Mithäftlingen, die ihr vor allem deutlich machen wollen, dass Manson ein ganz normaler Häftling ohne jede besondere Aura ist. Eine Wärterin bringt diesen Umstand auf den Punkt: „Hier im Gefängnis bewundert ihn niemand oder entdeckt irgendwelche Botschaften in dem Quatsch, den er von sich gibt … Ja, er hat Freunde, aber sie alle wuseln deswegen um ihn herum, weil sie sich einen Gefallen von ihm erhoffen. Er ist der berühmte und komische alte Knacker, der alle bei seiner Show mitmachen lässt, solange sie seinen Bluff nicht auffliegen lassen. Er ist anders als andere, keine Frage, aber ein Messias ist er nicht.“
Schließlich gelingt es Welles, bis zu Manson vorzudringen, und dem ersten vierstündigen Besuch sollten noch unzählige weitere sowie etliche R-Gespräche folgen, die schlussendlich zu dem vorliegenden Buch führten. Aber auch Michal Welles muss zunächst die wunderlichen Psychospiele über sich ergehen lassen, mit denen Manson die Aufrichtigkeit seiner Besucher testet. Bei Welles drehte es sich um eine neue Gitarre, die sie ihm besorgen sollte, obwohl Manson sehr genau wusste, dass er Aufmerksamkeiten dieser Art gar nicht annehmen darf. Die anrührendste Episode ihres Berichtes aber schildert einen Besuch, zu dem sie ihre Tochter Liora mitgenommen hatte. Völlig unbefangen nähert sich das Mädchen dem „komischen alten Mann“ und beginnt, ihm die Haare zu frisieren und schafft es so, dass Manson einmal seine Maske fallen lässt und hemmungslos zu weinen beginnt. Vielleicht ist es vor allem kindliche Intuition, mit der Liora Mansons Erfolgsgeheimnis durchschaut: „Er gibt dir das Gefühl, als würdest du ihm unheimlich viel bedeuten. Als seist du etwas Besonderes.“
In seinen eigenen Texten erzählt Manson zunächst von seiner trostlosen Kindheit und Jugend, seinem leiblichen Vater, den er nie kennen gelernt hat, seinem juristischen Vater, der ihm seinen Namen gab, seinem Großvater, der ihm deutlich machte, dass er besser nie geboren worden wäre sowie seiner Mutter, die ihn bei seinen Großeltern zurückließ, um mit einem Mann durchzubrennen, der weder sein leiblicher noch sein juristischer Vater war. Vor diesem Hintergrund war es dann fast zwangsläufig, dass Manson auf die schiefe Bahn geriet. Natürlich gibt Manson auch Einblicke in sein Denken. So propagiert er ATWA: Air, Trees, Water, Animals, seine Vision für den Kampf gegen die Vernichtung allen Lebens auf der Erde durch die westlich Zivilisation, und erläutert, warum er sich das Hakenkreuz als sein persönliches Kainsmal in die Stirn geritzt hat. Auch gibt er einiges preis von seinem Gefängnisalltag, wobei er von sich das Bild eines alten, kranken Mannes entwirft, der unter Schmerzen leidet und eigentlich nur noch sterben will. Wenig indes erfährt man über die Blütezeit der Family zwischen 1967 und 1969 und den Verbrechen, wofür sie berühmt und berüchtigt wurde. Zwar räumt Manson eine gewisse Mitschuld an der Ermordung von Leno und Rosemary LaBianca ein, da er zwar von den Absichten seiner Mädchen wusste, sie jedoch nicht an der Durchführung ihres Vorhabens hinderte. Für die Morde an Sharon Tate und ihre Freunde jedoch weist Manson jede Schuld von sich. Hier benennt er stattdessen Tex Watson, das zweite Alphamännchen in der Familiy, als die treibende Kraft hinter dem Blutbad vom 9. August 1969. Eigentliches Motiv der Tat sei gewesen, den wenige Tage zuvor wegen der Ermordung des Musikers und Drogenhändlers Gary Hinman verhafteten Bobby BeauSoleil zu befreien; das Haus am Cielo Drive habe man gewählt, da dort früher der Musikproduzent Terry Melcher wohnte, der der Family angeblich noch Geld schuldete, und an dem man sich nun rächen wollte. Die Helter-Skelter-Hypothese des Staatsanwalts Vincent Bugliosi indes erklärt Manson zu einem reinen Hirngespinst: demnach war er eben nicht der durchgeknallte Anführer einer apokalyptischen Hippie-Sekte, die im Death Valley einen Rassenkrieg zu Beatlesmusik vorbereitete, sondern nur ein guter Kerl, der ein paar verlorenen Teenagern ein zu Hause geben wollte.
Neben Mansons autobiographischer Prosa enthält Meine letzten Woche auch einige seiner Gedichte aus den Jahren 2004 – 2007. Hierbei handelt es sich um die typische Gefängnislyrik eines alterschwachen Häftlings; die recht kümmerlichen Verse verfügen nicht einmal ansatzweise über die poetische Kraft, die Mansons beste Songtexte wie Cease to Exist oder Look At your Game, Girl auszeichnen, und von denen nicht nur Dennis Wilson, der Schlagzeuger der Beach Boys, beeindruckt war.
Ein Anhang liefert schließlich noch diverses dokumentarisches Material wie die Anklageschrift, Auszüge aus Mansons Zeugenaussage oder das Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft. Außerdem finden sich Erinnerungen von alten und neuen Anhängern Mansons, allen voran die ehemaligen Family-Mitglieder Sandra Good und Lynnette Fromme sowie eine kleine Auswahl aus der üppigen Fanpost. Abgerundet wird der Band mit Fotos aus jüngerer Zeit, Zeichnungen und den Faksimiles einiger handschriftlicher Texte Mansons.
Mit Meine letzten Worte ist nach der deutschen Erstveröffentlichung von Vincent Bugliosis Klassiker Helter Skelter im Frühjahr 2010 nun binnen eines Jahres der zweite Titel zu Charles Manson erschienen, so dass man fast schon von einem Manson-Boom auf dem deutschen Buchmarkt sprechen möchte. Während Bugliosi die Manson feindlich gesonnene Perspektive des amerikanischen Establishments festgeschrieben hat, stellt das von Michal Welles aufgezeichnete Buch insofern ein notwendiges Korrektiv dar, als es Mansons Sicht präsentiert. Man muss auch ihm nicht alles glauben, was er erzählt, aber zuhören sollte man ihm schon, will man sich eine fundierte Meinung zu seiner Geschichte bilden – aber es bleibt die Frage, ob man als außenstehender Betrachter überhaupt jemals das Reich der Meinung verlassen wird, um zur eigentlichen Wahrheit dieses urbanen Mythos vorzudringen.
(M. Boss)
Format: BUCH |
Stichworte: |