Das Nichtstillstehenkönnen oder –wollen David Tibets – letztes Jahr sagte er in einem Interview, das wir mit ihm führten: „Ich habe immer den Eindruck, dass ich weiter und weiter rennen muss, mich weiter bewegen muss, weiter aufnehmen und schreiben muss“ – spiegelt sich auch in der Anzahl der Veröffentlichungen der letzten Jahre wider: Hatte sich eine Zeitlang ein Dreijahresrhythmus zwischen den Hauptwerken herauskristallisiert, erschienen seit 2009 jährlich reguläre Studioaufnahmen. Dabei war nach den großen kosmischen Werken/Weltentwürfen „Black Ships Ate the Sky“ und „Aleph at Hallucinatory Mountain“ „Baalstorm, Sing Omega“ (der Abschluss der nachträglich als Trilogie bezeichneten Werke) wieder ein etwas intimeres Album – wenn auch (natürlich) in einer textlich-konzeptionellen Komplexität, in der private Erlebnisse und Ereignisse enggeführt wurden mit theologisch-mythologischen Elementen.
Waren auf letzt genanntem Album auf dem Cover noch gefühlte hunderte von bunten Gesichtern in allen Stimmungen zu sehen, reflektiert das reduzierte schwarz-weiße Artwork von „Honeysuckle Æons“ (ein ähnliches Motiv fand sich vor etlichen Jahren auf der CD-Wiederveröffentlichung des frühen Albums „Live at Bar Maldoror“) die noch stärkere musikalischere Reduktion des neuen Albums.
Seit der „Birth Canal Blues“-EP sind Baby Dee und Andrew Liles der musikalische Nukleus (wobei letzterer auf „Honeysuckle Æons“ hauptsächlich produktionstechnisch zum Album beiträgt), um den David Tibet seine Privatmythologie weiterspinnt. Dabei könnte man bei dieser Reduktion vielleicht an Werke wie „Sleep Has His House“ (Harmonium) oder „Soft Black Stars“ (Klavier) denken, bei denen die monoinstrumentale Umsetzung mit einer textlichen Introspektion einherging, aber dieser Rückschluss greift zu kurz, denn Tibet mag vielleicht keine so semikohärente Kosmologie entwickeln, wie auf „Black Ships…“ (Wiederkehr Christi) oder „Aleph…“ (Kains Brudermord), aber die textliche Komplexität unterscheidet „Honeysuckle Æons“ von den beiden genannten Alben.
„Kingdom“ fungiert als Intro: Das von Armen Ra (der der auch schon mit MARC ALMOND gearbeitet hat und gerade mit GRINDERMAN tourt) gespielte Theremin lässt sich als Hinweis auf das nun Folgende lesen. Auf „Moon” vereinen sich Baby Dees Klavier und das Theremin und untermalen den melancholischen Gesang Tibets, der am Ende auffordert: „Come on in/Come on down/Further down to the very end of the rainbow“. Zwei Instrumente und Gesang – mehr nicht. Dies wird auch mehr oder weniger den Rest des Albums bestimmen. Dabei leitet das im Hintergrund klingende Theremin zu „Persimmon“ über, das musikalisch ähnlich ausgerichtet ist und auf dem zu Beginn Judas gewarnt wird. Tibets Stimme in der Mitte wird links von Theremin und rechts vom Klavier begleitet, dabei findet sich auch (erneut) eine Reflexion über die eigene Heilsgeschichte: „I have misheard Adonai and brought down/Aiwass in the Mass/Corrupted Hosts by breathing grimoires/And breaking into the Keeper’s Pantry“ (damit in wenigen Zeilen auf den Gott des alten Testaments, Crowley und Bill Fay anspielend). Die Metaphorik entzieht sich oftmals einer einfachen Dekodierung, aber es werden irritierende Bilder beschworen: „Read pornography in cherry blossom/In the locust storm born out of horses’ thighs“. „Cuckoo“ wird von Eliot Bates’ Oud und von Orgelklängen geprägt, hat wie schon Stücke auf dem Vorgängeralbum einen orientalischen Klang (der sicher von Tibets Beschäftigung mit dem Koptischen beeinflusst wurde) und es wird vielleicht das Artwork der letzten Jahre – „crayon spells and biro grimoires“ – charakterisiert. Eine Orgel dominiert „Jasmine“, lediglich gegen Ende kommt das Theremin hinzu, dabei ist Tibets Gesang relativ zurückhaltend, fast lakonisch. Wenn es gegen Ende heißt: „Over the bed the faces mark masks/And hook down comet trails” wird man unweigerlich an die jüngsten Auftritte erinnert, bei denen auf die Leinwand eine Animation projiziert wurde, bei der Kometen aufeinander zuflogen, sich verdichteten um schließlich Golgatha, die Schädelstätte, den Kalvarienberg zu illuminieren, bevor sie nach einiger Zeit auseinanderstoben – damit auf das Thema des Artworks „Dreams of the Crucifixion with Christ and Two Thives Ascending“ hinweisend. „Lily“ beginnt mit düsteren Orgeldrones, dann sorgt Eliot Bates mit dem Einsatz von Erbane und dem einen Tamburin ähnelnden Bendir für Perkussion. „Pomegranate” knüpft wieder an den Anfang an: Klavier und Theremin begleiten Tibet, dessen Rezitation vehement klingt und der apokalyptische Bilder beschwört: „stars dragged blood and souls up to the Heavens/The skies filled with flies/The bird of locust flowers/Screams and wheels at the ape“ – hier meint man sich in einem von Blakes prophetischen Büchern zu finden. Mit dem Hinweis auf „The Murderer/The First Dead/The First Killer” wird das zentrale „Aleph…“ bestimmende Thema aufgegriffen. „Honeysuckle“ beginnt mit einer (Dreh-)Orgel, der Vortrag Tibets ist diesmal wieder etwas zurückhaltender. „Sunflower” ist verglichen mit dem Vorhergegangenen wesentlich opulenter: eine sakrale Orgel, Tibets Stimme multitracked, voller Vehemenz und Hysterie (die etwas an die Art des Vortrags bei „Black Ships Seen Last Year South of Heaven“ oder „December 1971“ denken lassen). Ich meine mich erinnern zu können, dass Tibet dieses Stück bei dem Auftritt in Hamburg dem vergangenes Jahr verstorbenen Sebastian Horsley widmete. Hier wird erschaffen: Vögel gebären Götterarmeen und am Ende: „Ecstatic exhaling universes/And laughing like a child/Playing at skeleton soldiers”. „Planet” ist wieder ein vom Klavier getragener Song, bevor das Outro „Queendom“ das Album mit Baby Dees Gesang beendet (ebenso wie „Baalstorm…“ mit Bill Fay ausklang).
Es dürfte deutlich geworden sein, dass das Album musikalisch und was die Stimmung anbelangt, wesentlich kohärenter als „Baalstorm, Sing Omega“, viel ruhiger als „Aleph…“ ist und eine kontemplative Dimension hat, die auf den letzten Alben weniger stark vorhanden war, das Album ist eine Reflexion in/mit einer Bildsprache, bei der das Nebeneinaderstellen von auf den ersten Blick disparaten Bildern und Symbolen etwas an den expressionistischen Reihenstil erinnert. Dabei sind die Texte kürzer als die der letzten Alben, die teilweise exzessive Dimensionen annahmen, wobei auch auf „Honeysuckle Æons“ die Texte Labyrinthe sind, in denen man sich verlieren kann. Wenn auf „Cuckoo“ von „Katasonic parangelic“ gesprochen wird, mag das vielleicht eine Zusammenfassung der textlichen und musikalischen Ausrichtung CURRENT 93s sein oder aber man kommt zu dem (Ab-)Schluss: „Heavy with dew and kindness/And mixed with legends of Stars“.
(M.G.)
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