„Alles fällt, das ist das Leben und kann daher nur gut sein“ – Ein Gespräch mit dem Maler UWE HENNEKEN
Im Frühjahr dieses Jahres gestaltete der Berliner Maler UWE HENNEKEN das Artwork für eine LP-Box von Current 93, ferner präsentierte er im Kunstverein Braunschweig eine große Soloschau mit Gemälden und Skulpturen. Momentan bereitet UWE HENNEKEN Ausstellungen in Berlin, New York und Athen vor. BLACK hat den Künster zu seiner Arbeit und ihren theoretischen Hintergründen befragt.
? Vor dem Besuch der Kunsthochschule hast Du zunächst Vor- und Frühgeschichte sowie Ethnologie studiert. Welche Gründe waren für diesen Fachwechsel ausschlaggebend, und inwieweit warst Du bereits vorher an bildender Kunst interessiert, mit der möglichen Perspektive einer Künstlerkarriere ?
Symbolismus und Romantik haben mich schon als Kind fasziniert, dabei habe ich mich selbst aber nie als „Künstler“ gesehen und zu der Zeit, abgesehen von ein paar Kritzeleien in Schulbüchern und Pflichtarbeiten im Kunstunterricht, auch nicht viel „geschaffen“. Mein Interesse galt immer der Frage nach dem Ur-Wesen des Menschen, dem Motor der ihn antreibt und nach seinem Drang Kulturen zu Schaffen. Und, ob und welche Gesetzmäßigkeiten oder gar Vorbestimmungen dem zugrunde liegen. Schon als Kind fiel mir auf, dass immer eine Hochkultur die jeweilig bekannte Welt dominierte und dabei in Auf- und Abstiegsphasen verlief. Mein Wunsch war dies alles in einem Kompendium zusammenzufassen, bis ich auf das Hauptwerk Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ stieß, dessen Geschichtsmorphologie relativ meinen Gedanken entsprach. Das Buch und die Ideen gab es also quasi schon… (lacht). Da ich mir von klein auf eine tiefe Skepsis gegenüber der Aufklärung bewahrt hatte, war an eine wissenschaftliche Laufbahn in meinen Studienfächern nicht zu denken (lacht) und ich merkte bald, dass ich mit meinen Gedanken dort auch eher aneckte, da sie unzeitgemäß erschienen. Ich hatte parallel Kontakte zu befreundeten Kunststudenten in Karlsruhe, die mich ermutigten Kunst zu studieren, was sich dann auch als befriedigender erwies, zumal man in der Kunst alles behaupten kann und nichts beweisen muss.
? Du bist im erzkatholischen Westfalen aufgewachsen. Welche Rolle spielt Religion im Allgemeinen und der Katholizismus im Besonderen für Dein Leben und Deine künstlerische Arbeit ?
Hmm, eine schwierige Frage. Ich bin im Katholizismus und seiner Bilderwelt aufgewachsen, was ich im Nachhinein nur als Glücksfall bezeichnen kann. Wenn man in etwas aufwächst, bleibt einem keine Wahl, das hat einiges für sich. Als Teenager habe ich dann natürlich erst mal mit ihm gebrochen, war aber immer irgendwie religiös unterwegs und befinde mich momentan irgendwo mitten auf dem Wege „zurück“, was aber auch nicht wirklich möglich ist, da es zum praktizierten Glauben immer einer gefestigten Glaubensgemeinschaft bedarf. Und da finde ich mich schwer wieder ein, bzw. finde sie auch kaum vor, jedenfalls nicht in Berlin. Eine Kultur steht und fällt mit ihrem Glauben, das wird auch in der heute vieldiskutierten Angst vor sogenannter Überfremdung deutlich. All diese „Fremden“, woher auch immer sie kommen mögen, haben uns meist eins voraus (oder zurück, wie man es nimmt): Sie haben einen ihnen selbstverständlichen Glauben, der sie stärkt und eine Gemeinschaft bilden lässt. „Wir“ haben uns auf Individuen reduziert. Mich fasziniert am Katholizismus aber auch der besonders im sogenannten Volksglauben vorherrschende Marien- und Heiligenkult, der also eigentlich gar kein Monotheismus, sondern fast ein heidnischer Ritus mit Vater-, Mutter- und Nebengottheiten ist. Kürzlich ist ein Bekannter von mir zum Katholizismus konvertiert, das hat mich sehr überrascht und auch ergriffen. Es gibt also, wie immer, noch Hoffnung.
? Diverse Interpreten ordnen Dein Werk in eine neoromantische Traditionslinie ein. Begründet wird dies zum einen mit dem Gemälde Peter Schlemihls Winterreise, das sich auf den Roman des Dichters Adalbert von Chamisso bezieht, zum anderen auch mit Deinem besonderen Verhältnis zur Landschaft. Welche Bedeutung hat die Romantik für Dich, und wo würdest Du Dich selbst sich in dieser Hinsicht verorten? Aus welchen kunst- und geisteshistorischen Quellen schöpfst Du darüber hinaus Deine Inspiration?
Bei der Romantik hatte mich immer mehr die Literatur bzw. die Theorie interessiert, die ein Gegenentwurf zur Aufklärung war, und von daher auch heute noch sehr aktuell ist, da wir in ähnlichen Umständen oder Zuständen leben. C.D. Friedrich fand ich schon auch toll, war mir aber irgendwie ein zu gängiger Gemeinplatz. Die Maler der Hudson River School, also das amerikanische Pendant zur europäischen Romantik (obwohl es ja alles übersiedelte Europäer waren), haben da einen noch nachhaltigeren Eindruck bei mir hinterlassen. Überhaupt fasziniert mich die kurze amerikanische Geschichte und ihr Hauptthema, die „Frontier“. Ansonsten schöpfe ich aus sämtlichen kulturellen Quellen, klassische Kunstgeschichte, Illustration, etc. Zurzeit lese ich mit Begeisterung „Der Dämon und sein Bild“ von Erwin Reisner auf Empfehlung einer guten Freundin.
? Wie muss ich mir Deinen konkreten Schaffensprozess vorstellen, von der ersten Idee für ein Gemälde bis zu dessen Fertigstellung ?
Bis vor kurzem habe ich fast ausschließlich mit Zitaten gearbeitet, d.h. ich sammle Abbildungen, die mich interessieren und deute sie um, indem ich sie formal in der Komposition benutze, aber inhaltlich (und malerisch) in meinen Kosmos eingliedere. Meist fand dabei eine extreme Bedeutungsverschiebung statt, da ich die Abbildungen ihrem ursprünglichen Kontext entzogen und meinem eigenen zugeordnet habe. Das war ein bewusstes Konzept, da ich der Überzeugung bin, es gibt keine Erfindung und auch kein Genie, alles ist bewusste oder unbewusste Weiterentwicklung von Bestehendem oder Gewesenem. Das geht sogar soweit, dass ich denke die Möglichkeiten an Gedanken und Ideen, die der Mensch, also nicht der einzelne (der sowieso), sondern der Mensch als Gesamtheit, entwickeln kann, sind beschränkt und beginnen sich irgendwann zu wiederholen. Das klingt vielleicht fatalistisch, hat aber etwas ungemein Beruhigendes (lacht). Zur Zeit arbeite ich allerdings ohne Vorlagen und versuche mehr aus mir heraus zu schaffen, das hat aber weniger mit einer Suche nach „Neuen“ Bildideen als vielmehr mit meiner eigenen inneren Suche zu tun.
? Überschaut man Dein bisheriges Werk so fällt auf, dass Du sehr häufig thematisch zusammenhängende Serien von Gemälden und Skulpturen herstellst, etwa V.O.T.E.s, Vanguards, The Frontier People usw. Betrachtest Du diese Serien als beendet, oder sind sie als eine Art Work in Progress zu verstehen, die je nach Ideenlage fortgeführt werden? Und welche Intention verfolgst Du mit dieser Arbeitsweise ?
Diese losen Serien umkreisen alle ein immer gleiches Thema, den (Kultur-) Menschen auf der Suche. D.h. natürlich ich gehe davon aus, dass er „lost“ ist. Die Vanguards beispielsweise haben eine lose Nummerierung, so dass man nicht weiß, wie viele es eigentlich sind und der Eindruck einer Endlosigkeit entsteht. Das mag alles vielleicht pessimistisch klingen, dennoch haben all diese Figuren immer auch etwas Zuversichtliches und Menschliches in Ausdruck und Farbgebung, das ist mir sehr wichtig. Aber auch die Ambivalenz die dadurch entsteht.
? Gemälde wie S.I.E. (Somewhere in Europe) oder With cold heart and bloody hand they rule the european land, deren Titel sich auf Lieder von Sol Invictus beziehen, sind dem Thema Europa gewidmet. Welche Rolle spielt die ‚europäische Frage‘ in Deinem Denken, und wie bewertest Du Gegenwart und Zukunft des Kontinents ?
Diese Frage hat mich viel umtrieben. Die europäische Kultur ist die Hochkultur unserer Zeit. Alles hat ein Ende, das wann und wie interessiert mich dabei weniger. Ich bin da auch eher unpolitisch und sage nicht „Wir müssen was tun.“ Es passiert einfach und das ist auch gut so, irgend woanders wird es schon weitergehen (lacht). Aber das ist auch genau der Punkt, ich denke eben, dass es Prozesse sind, die passieren und sich nicht aufhalten lassen. Kommen wird das Ende so oder so, da stellt sich dann eigentlich nur die Frage nach „burn out“ oder „fade away“.
? Ein besonderes Merkmal Deiner Gemälde ist deren grelle Farbigkeit, die manche Betrachter vielleicht als unnatürlich und verstörend empfinden. Wie würdest Du Dein Verhältnis zu Farbe und den Umgang mit ihr definieren ?
Farbe ist immer eine Herausforderung. Der alte Spruch „Mit Rot Gelb Braun kannst du nichts versaun“ stimmt leider. Meine Arbeiten werden oft als eskapistisch und idyllisch verurteilt, es ist aber gerade die mitunter grelle Farbigkeit, die hier warnt und abschreckt, Anziehung und Abstoßen beim Betrachter weckt. Überhaupt ist mir die Ambivalenz in meiner Arbeit wichtig. Sie ist subversiv affirmativ und immer eine Gratwanderung.
? Viele Deiner Bilder wirken auf mich wie Schnappschüsse aus der Zeit nach dem Untergang, Momentaufnahmen vom Leben nach dem Kollaps der Zivilisation, in denen eine neue Spezies versucht, jenseits der Trümmer des Alten Fuß zu fassen. Sie erinnern an bestimmte Weltuntergangsfilme und -romane. Täusche ich mich, oder ist Dein Werk von einem tiefen Geschichtspessimismus getragen (gepaart möglicherweise mit einer heilsgeschichtlichen Perspektive) ?
Geschichts- oder Kulturpessimismus höre ich ungern. Warum nicht Optimismus? Alles fällt, das ist das Leben und kann daher nur gut sein. Und Heil.
? Auf mehreren Bildern widmest Du Dich dem Thema Wüste, wobei Dein Augenmerk besonders auf die sketische Wüste gerichtet ist, jenem Ausläufer der Sahara, in dem sich einst die Wüstenväter niederließen und das abendländische Mönchtum begründeten. Welche Bedeutung hat die Wüste für Dich ?
Die Wüste ist von jeher ein Ort des Anfangs und des Endes. Die Weltreligionen sind in der Wüste entstanden. Der Eremit zieht sich dorthin zu Einkehr und Einsicht zurück. Andererseits wird die heutige Moderne oft als Wüste im Sinne inhaltlicher, moralischer, etc. Leere bezeichnet. Diese Ambivalenz interessiert mich.
? Aus diesem Jahr stammt eine Gemälde-Serie, die den biblischen Berg Tabor zum Gegenstand hat. Welche Bedeutung hat dieser Berg für Dich, ist er vielleicht für Dicd das, was der Mont Saint-Victoire für Cezanné war ?
Der Berg auf den Bildern entstammt einer Zeichnung des Engländers David Roberts aus dem 19. Jhd. und ist eigentlich der Berg Hor, gefiel mir aber optisch besser, da dramatischer, als der eigentliche Berg Tabor, was aber eigentlich nichts zur Sache tut und dennoch auch wiederum interessant ist. Tabor ist der Berg, auf dem Jesus seinen Jüngern in seiner göttlichen Gestalt erschien. Für mich ein Hoffnungssymbol, daher habe ich eine Serie, Frühling Sommer Herbst, gemalt, die nur farblich variiert. Berg und Licht bleiben immer gleich und sind immer „da“.
? Nach welchen Kriterien hast Du die Bilder für die LP-Box von Current 93 ausgewählt, die in diesem Jahr bei Vinyl On Demand erschienen ist, und wie ist der Kontakt zu David Tibet zustande gekommen ?
Ich hatte schon länger vorgehabt, David wegen eines Katalogtextes zu kontaktieren. Seine Arbeit ist einzigartig und das verwundert und fasziniert mich. Ebenso wie die aus ihr sprechende tiefe Religiosität. Letzten Herbst habe ich ihn dann einfach angeschrieben und wir kamen sofort in Kontakt, ich habe ihm Abbildungen geschickt und er war begeistert. Da er gerade diese Box zu bebildern hatte und meine Arbeit zu einer Zeit extrem von Current 93 inspiriert war, hat er welche daraus ausgewählt. Schön ist, dass quasi das Frühwerk von C93 und das Frühwerk von Uwe Henneken dort vereint sind.
? Neben seiner Arbeit als Dichter und Musiker ist David Tibet zunehmend auch als Maler tätig. Könntest Du Dir vorstellen, einmal gemeinsam mit ihm eine Ausstellung zu gestalten (oder gibt es da vielleicht schon Pläne) ?
In der Tat wird er mich demnächst in meinem Atelier besuchen, um ein paar größere Bilder zu realisieren. Es sind auch künstlerische Zusammenarbeiten in Planung, auch mit meiner Freundin Katja Strunz, die ebenfalls Künstlerin ist, welche dann im Idealfall demnächst in New York und Berlin zu sehen sein werden. Ich versuche auch Galerien für seine Arbeit zu begeistern, und ihn so einem breiteren Publikum bekannt zu machen und auch etwas von dem zurück zu geben, was er mir gegeben hat.
? Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft und kommende Projekte aus ?
Wie schon erwähnt, arbeite ich gerade an für mich neuen Arbeiten, wobei die Figur, also der Einzelne, zurücktritt. Es werden eher Landschaften im weitesten Sinne, und dies auch im Wortbedeutungssinne, da sie von einem riesigen Himmel überwölbt sind. Die Bilder sind für kommende Ausstellungen in Athen, New York und Berlin in Planung.
! Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen und alles Gute für die zukünftige Arbeit !
(M. Boss)
Foto: Henneken/ Tibet von Katja Strunz
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