„Die Super-8-Kamera ist frei“ schrieb der englische Filmemacher, Autor und Gärtner Derek Jarman einmal. Für ihn selbst bedeutete Freiheit vor allem, ohne die Begrenzungen arbeiten zu können, die ein großer Stab mit sich bringt und keinen Zwängen ausgesetzt zu sein, die sich mit einem üppigen Budget verbinden. Zwischen 1970 und seinem Tod im Jahr 1994 hat Jarman diese Freiheit ausgiebig genutzt und über 60 Super-8-Filme gedreht, die den eigentlichen Kern seines Werkes bilden. Nun werden 24 der Filme in den Räumen der Düsseldorfer Julia Stoschek Foundation gezeigt, in dieser Form zum ersten Mal in Europa. Ergänzt werden sie durch den 16-mm-Film Imagining October, eine 1986 in Moskau gedrehte Auseinandersetzung mit Sergej Eisenstein, mit der Musik von Genesis P-Orridge, sowie Jarmans letzten Film Blue aus dem Jahr 1993.
Viele von Jarmans ersten Filmen haben zumeist noch dokumentarischen Charakter: so macht er etwa in Studio Bankside (1970-73) und Sloane Square (1974-76) sein persönliches, unmittelbares Lebensumfeld zum Thema, während Miss World (1973), Fred Ashton Fashion oder Bill Gibb Show (beide 1974) die Aktivitäten der schwulen Kunstszene Londons mit ihren Modenschauen oder parodistischen Misswahlen zeigen. Parallel hierzu jedoch schlüpft Jarman aus der Rolle des Chronisten und Vorkämpfers der Schwulenkultur und dringt ein in die zeitlosen Bildwelten des Mythos. In Journey to Avebury (1971) werden die in einer nahezu menschenleeren, unberührten Landschaft stehenden Steinkreise, die Aufstieg und Fall etlicher Kulturen gesehen haben und noch sehen werden, zu Hauptfiguren, während At Low Tide und Garden of Luxor (beide 1972), Act of Mirrors I-II (1973) oder Corfe Film (1974) archaisch-mythische Szenarien entwerfen und eine traumartig-unwirkliche Atmosphäre verbreiten.
Von der Endlichkeit des Lebens handelt Death Dance (1973): vier nackte Tänzer werden, einer nach dem anderen, von einer in Weiß gewandeten Gestalt mit Totenkopfmaske niedergestreckt, die schließlich allein den Film beherrscht. Die letzte Einstellung zeigt einen antiken Tempel; aber es ist gleichgültig, ob dieser nun den Lebenden oder den Toten geweiht ist: die unerbittliche Allgegenwart des Todes kann nur Aufforderung zu noch intensiverem Tanz sein. Man kann Death Dance als prophetische Vorwegnahme der AIDS-Epidemie der frühen achtziger Jahre sehen – 1973 reflektiert dieses Werk aber zunächst die ungezählten Opfer, die der Hippie-Hedonismus auf Droge zu jenem Zeitpunkt schon gefordert hatte.
Dass Jarman ein tiefes Gespür für die Zerbrechlichkeit der Zivilisation besaß, zeigt Jordans Dance von 1977: auf dem Gelände einer brachliegenden Industrieanlage tanzt eine Frau im Ballerinakostüm um ein Lagerfeuer, in das ein Mann immer wieder Bücher wirft. Der Tanz auf dem Trümmerfeld ist ein Tanz nach dem Vulkanausbruch. Aber das letzte Aufbäumen bürgerlicher Hochkultur ist mit dem Charme der Vergeblichkeit durchsetzt: die Brachen der Peripherie warten schon darauf, endlich die Glitzerwelt der Zentren zu übernehmen.
Mit TG: Psychic Rally in Heaven lotet Jarman bereits 1980 die experimentellen Möglichkeiten aus, die das damals noch junge Genre des Musikvideos bot. Mittels einer Schichttechnik wird hier eine Verfilmung von Dantes Göttlicher Komödie mit einem Konzert von Throbbing Gristle im Londoner Heaven verbunden. Das ergibt eine unscharfe, farbabstrakte Komposition, in der der Kopf von Sänger Genesis P-Orrdige aufleuchtet, wie das Mündungsfeuer schwerer Geschütze und die dröhnende Industrialmusik dem kakophonischen Getöse eines Schlachtfeldes gleicht: Dantes Inferno als Nonpop-Video.
Gezeigt werden die Filme, nach Werkgruppen sortiert, in drei Sälen; nur die Tonfilme TG: Psychic Rally in Heaven, Imagining October und Blue haben eigene Räume. Die offene Präsentation ermöglicht es dem Betrachter, sich entweder jeden Film einzeln anzusehen, oder aber seinen eigenen Film zu schneiden, indem er sich durch den Raum bewegt und so neue Bezugssysteme entdecken kann. Unterlegt sind die Filme mit drei Klanglandschaften des Komponisten Simon Fisher Turner, der zu vielen Spielfilmen Jarmans den Soundtrack beigesteuert hat.
Anlässlich der Ausstellung ist ein Begleitbuch erschienen, das einen Essay von Jon Savage enthält, der die Super-8-Filme Jarmans vor ihrem autobiographischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund erläutert, sowie den Wiederabdruck eines Interviews mit Derek Jarman aus dem Jahr 1985. Die 26 Filme selbst werden durch jeweils 2 Standphotos repräsentiert – nur ein schwacher Abglanz ihrer selbst, die einen Besuch der Filmschau kaum ersetzen können.
Die Schau in der Julia Stoschek Foundation in Düsseldorf dauert noch bis zum 26.02.2011. Das Buch ist im Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln, erschienen.
www.julia-stoschek-collection.net
(M.Boss)
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