Wird der Name Monte Cazazza genannt, so ist das, was ich den Raunfaktor nennen möchte, sehr hoch, schließlich hat der Kalifornier in den 70ern den Slogan „industrial music for industrial people“ erfunden (der zur Bezeichnung für ein ganzes Genre werden sollte), drehte zudem angeblich den ersten Kunstfilm, in dem ein Fistfuck gezeigt wurde („Mondo Homo“) oder ließ auf einem Kunstevent einen verwesenden Katzenkadaver verbrennen und verwehrte den angeekelten Besuchern die Flucht. Diese Aufzählung hat nicht den Charakter der Vollständigkeit, soll nur eine ungefähre Vorstellung vom Werk und Wirken Cazazzas geben, weiteres Erquickliches kann man im „Industrial Culture Handbook“ nachlesen. Ein Großteil dessen, was Cazazza machte oder für das er berüchtigt ist, verknüpfte Transgression mit so etwas wie einer diebischen Freude an der Überschreitung, immer auch mit hohem Trashfaktor. Wenn auf der auf Mutes Grey Area erschienenen (und ironisch betitelten) Compilation „The Worst of Monte Cazazza“ zu Beginn ein (echter?) Psychiater ein Gutachten zum Album abgibt und Begrifflichkeiten, Zuschreibungen und Pathologisierungen wie „sexploitative tendencies“, „psychomasturbation“, „infantile interests“, „confused erotomaniac“, „anal retentive“, „shock value“, „cheap thrills“ oder „pervert“ fallen, dann trifft das natürlich zu (wenn auch mit einem Augenzwinkern) – Kunst trifft (auf) den Trailerpark, John Waters ist nicht weit (und war nicht zufällig mit Cazazza in der „Pranks“-Ausgabe des legendären Re/Search-Magazins zu finden).
Vieles aus der drastischen Frühphase kennt man nur vom Hörensagen: Wer kann schon behaupten, einen von Montes frühen Filmen wie „Diary of a Rubber Slave“ je gesehen zu haben? Dieser quasi mythische Status des Kaliforniers steht in keinem Verhältnis zu seinem sehr schmalen musikalischen Output. Nach zwei mit Hilfe von Throbbing Gristle aufgenommenen und auf Industrial Records erschienenen 7’s, einer 7’ auf Sordide Sentimental, einer Livekollaboration mit Factrix auf „California Babylon“ und einem Album unter dem Projektnamen „The Atom Smashers“ kam nicht mehr viel, insofern kann man die (oben schon erwähnte) 1992 erschienene Zusammenstellung „The Worst of…“ (auf der sich auch drei unveröffentlichte Tracks fanden, die mit Kris Force unter dem Namen Loveforce entstanden, von denen „Six Exes from Hell“ in den 90ern ein veritabler Hit in einigen Gruftischuppen wurde) auch schlicht in „Most of…“ umbenennen. Denn so viel mehr gab es nicht.
In den 90ern erschien auf Brian Williams von Graeme Revell übernommenem Label Side Effects „Power versus Wisdom“, die Aufnahme einer Radioshow, auf der bekannte neben bislang unveröffentlichten Tracks live im Studio eingespielt wurden – bezeichnenderweise anlässlich von Halloween (dem Tag, an dem Cazazza der Legende nach sein Haus mit einer Tasche voll Herzen und Lebern verlässt).
Ursprünglich sollte ein Album mit dem Namen „The Cynic“ Ende 1997 auf selbigem Label veröffentlicht werden, Side Effects stellten aber die Tätigkeit ein und Monte Cazazza verschwand (zumindest musikalisch) in der Versenkung. Nun also erscheint „The Cynic“ –wenn man so will, das erste „richtige“ Studioalbum – 13 Jahre später und man muss sich fragen, was in der Zeit passiert ist, klingt vieles auf dem von Brian Williams produzierten und abgemischten Album doch so, als habe es die letzten Jahre lediglich in der Schublade geschlummert. Das Eröffnungsstück „Interrogator“ ist eine düstere Ambient-Synthiefläche, die als Einstimmung dienen mag, wenngleich im Verlauf des Albums die Stimmung mehrfach gebrochen und das Genre öfter gewechselt wird. Es folgt der erste Stilbruch: Eine Coverversion von Ennio Morricones „A Gringo Like Me“ (auch schon von Giddle Partridge interpretiert), mit brillanten Zeilen wie „Keep your hand on your gun/Don’t you trust anyone/There’s just one kind of man/That you can trust/That’s a dead man/Or a gringo like me”, die aber mit weitaus weniger Pathos als im Original vorgetragen werden, viel eher so, als könne das Stück einen Western untermalen, bei dem Herschell Gordon Lewis Regie geführt hat. Zum Sujet passt das Foto im Innern, auf dem Cazazza mit Cowboyhut posiert. Was dann mit „Break Number One“ folgt, kann weniger einen Western untermalen als vielmehr die Tanzfläche einer Großraumdisco, nur klingt die Technonummer nicht mehr ganz taufrisch. „Terminal“ schlägt eine Brücke zum Cover, auf dem eine tote, von Fliegen bedeckte Ratte zu sehen ist, interpretiert Cazazza doch hier einen Text, der ursprünglich von britischen Soldaten während des Krimkrieges geschrieben wurde und in dem beschrieben wird, was mit einer Leiche nach einiger Zeit passiert. Man hat auch hier den Eindruck, als sei Cazazza angesichts des Grauens („then your blood turns yellow“) weniger entsetzt oder verärgert, sondern als sei er ein Voyeur, den das Gesehene wenn nicht zwangsläufig erregt, dann doch zumindest amüsiert (ob das eine Kompensationsstrategie angesichts des unaufhaltsamen Todes („no one escapes the grim reaper’s thrust“) ist, sei einmal dahingestellt und ist vielleicht nur ein Rationalisierungsversuch von Rezipientenseite). Musikalisch beginnt „Terminal“ als von Akustikgitarre untermalte Ballade, die dann aber im weiteren Verlauf Psychic TVs (deren Mitglied er auch zeitweilig war) „Terminus-xthul“ (vom Debüt „Force the Hand of Chance“) sehr deutlich zitiert. „Venom“ ist eine weitere instrumentale Technonummer, bevor das musikalisch ähnlich ausgerichtete und mit Lydia Lunch getextete Stück im Titel die berechtigte Frage „What’s so Kind about Mankind?“ stellt. Abgeschlossen wird das Album von dem Track „Birds of Prey“, der mit melodischen Pianoklängen beginnt, die dezent von Rhythmus unterlegt werden und in dem Cazazza die Westernthematik von „A Gringo…“ mit der Verwesung von „Terminal“ verknüpft. Musik für den Chill Out mit den Raubvögeln sozusagen. Eine bizarre, nur bedingt kohärente Veröffentlichung, die einen aber auf nicht immer nachvollziehbare Weise ab und an begeistert. Auf der Rückseite des Covers befindet sich die Definition eines Zynikers aus Ambrose Bierce berühmten „Devil’s Dictionary“, die da lautet: „A blackguard whose faulty vision sees things as they are, not as they ought to be. Hence the custom among the Scythians of plucking out a cynic’s eye to improve his vision.“ Cazazza zwinkert dem Zuhörer dann wohl nur mit einem Auge zu.
(M.G.)
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