Rowland S. Howard verdient es wie wenige, als Pionier und Urgestein des Postpunk bezeichnet zu werden. Zusammen mit Nick Cave und Mick Harvey schrieb der Australier mit Bands wie BOYS NEXT DOOR und THE BIRTHDAY PARTY Musikgeschichte, emanzipierte sich als Gitarrist mit der Band CRIME AND THE CITY SOLUTION und als Sänger mit THESE IMMORTAL SOULS. Später arbeitete er mit Lydia Lunch, den NEUBAUTEN und vielen anderen und legte zum Millennium sein erstes Soloalbum vor. Letztes Jahr arbeitete er an dessen Nachfolger „Pop Crimes“, das sein Comeback einleiten sollte. Aus dem Comeback wurde allerdings ein Abschiedsgeschenk, da Howard kurz vor Jahresende an einem Leberleiden verstarb.
Ein besseres Vermächtnis als das posthum nun auch in Europa erschienene „Pop Crimes“ kann man sich allerdings schwer vorstellen, und es zeigt vor allem auf schöne Weise, dass in Melbourne, der Hauptstadt des typisch australischen Bluespunk, die Uhren schon immer etwas langsamer gingen und musikgeschichtliche Entwicklungen schon mal in etwas größeren Schritten vonstatten gehen. Leicht scheppernde Gitarrenriffs, erdige Bassläufe, monotoner, aber nie zu simpler Schlagzeugeinsatz und mit gedämpftem Wave-Bariton vorgetragene Texte über die Hoffnungen und Fatalismen des Lebens schicken den Hörer zurück in die Tage Mitte der 80er, als Punk’n’Wave zwar nicht mehr unbedingt wild und provokant war, die Vitalität und Innovationsfreude einiger Musiker jedoch ungebrochen. Der Nick Cave-Vergleich ist sicher vermeidbar, aber auch kein Verbrechen, und wo der bekanntere Kollege über die Jahre von Schreihals zum Schöngeist mutiert ist, setzt Howard auf warmherzigen Realismus. Das traurige „(I Know) a Girl Called Johnny“, das wohl in keinem Bezug zum fast gleichnamigen Song der WATERBOYS steht, ist mit seiner distanzierten, wie mit einem leichten Film belegten Stimme und einer entspannten Surfgitarre exemplarisch. Dezente Keyboardflächen konterkarieren die Rauheit von „Shut me Down“. Hier behauptet sich eine Stimme, die sich in ihrer Brüchigkeit gerade noch aufrecht zu halten vermag, gegen eine Wand aus kraftvollen Gitarren – und strahlt eine Ruhe aus, die an Leonard Cohen erinnert. „Popcrimes“ enthält zwei ziemlich gelungene Coverversionen. Die beschwörende, repetitive Interpretation von TALK TALKs „Life’s What You Make It“, deutlich langsamer als der eindringliche Öko New Wave des Originals, zählt zu den größten Momenten des Albums, einen der Höhepunkte stellt das Townes van Zandt-Cover „Nothin’“ dar, dessen geheimnisvolles Picking hier in kernigen, basslastigen Bluesrock umgemünzt wurde, der dem um Verzicht und Askese kreisenden Text etwas Trotziges verleiht.
„Pop Crimes“ ist eine Platte, die das Zeug zu einem dezenten, unaufdringlichen Comeback hat, welches Howard auch posthum voll zustatten kommt. Es wäre mühsam zu fragen, ob die Kommentare zur Platte unter anderen Umständen verhaltener ausgefallen wären und der eine oder andere Kritiker die stilistischen Retromomente eventuell bemängelt hätte. Meines Erachtens sehr gelungen, stellt dieses Album nicht nur ein berührendes Vermächstnis dar, sondern auch eine aus der Innensicht motivierte Hommage an ein wichtiges Kapitel nicht nur der australischen Musikgeschichte. (U.S.)
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