Current 93, die (selbstironisch so bezeichnete) „ultimative halluzinatorische gnostische Supergruppe“ um David Tibet, ist ein Universum, in dem seltsame Planeten herumschwirren, ein Projekt, das auch nach 27 Jahren (noch) zu überraschen vermag. Die Texte David Tibets sind auf den vergangenen drei Alben nach einer Zeit der Introspektion zu einer völlig eigenen und oftmals in ihrer Metaphorik und Bildlichkeit – „a heap of broken images“ heißt es in Eliots „The Waste Land“ – kaum zu durchdringenden Mischung aus Autobiographischem und Kosmischem geworden. Die Anzahl der an den Alben und auf der Bühne Beteiligten wuchs und nachdem Current 93 mit „Black Ships Ate The Sky“ 2006 vielleicht durchaus etwas vom Folkboom profitieren konnten, veröffentlichten sie drei Jahre später mit „Aleph at Hallucinatory Mountain“ ein Rockalbum um erneut Erwartung(shaltung)en zu unterlaufen. „Baalstorm, Sing Omega“, das jüngste Werk, schließt laut David Tibet die jüngste kreative Phase ab.
Du hast die letzten drei Alben als eine Art Trilogie bezeichnet…
Ja, als „eine Art“ Trilogie. Es war keine bewusste Entscheidung eine Trilogie zu machen, anders als z.B. die „Inmost Light“-Trilogie.
Hast du nach dem zweiten oder dritten Album gedacht, es könnte eine Art Trilogie sein oder war es von Anfang an klar?
Als „Black Ships Ate The Sky“ rauskam, stand es für sich. Ich habe für „Black Ships“ viel mehr geschrieben und es gab einen Moment, an dem ich dachte, dass es einen Nachfolger geben würde, aber das war alles „Black Ships“-Material. Als ich „Aleph“ machte, gab es eine Geschichte, die irgendwie weiterging, vielleicht eine Parallelgeschichte, bei „Baalstorm, Sing Omega“ ist es ähnlich. Es sind alles drei konzeptionelle Alben, auch wenn es manchmal schwer ist, dem Konzept zu folgen. Wie viele meiner jetzigen Arbeiten sind sie autobiographisch, aber es sind auch Alben, die eine Geschichte erzählen, meine Geschichte, oder zum Teil meine Geschichte und es ist auch – lass mich das so sagen – eine theologische Geschichte, theologisch im weitesten Sinne des Wortes. Es sind alles Geschichten eines Fortschreitens von der Geburt bis zum Tod, von Fehlern hin zur Erlösung und sie sind mit meinem eigenen Leben verbunden. Ich habe nie gedacht, dass „Aleph“ Teil zwei ist und „Baalstorm“ Teil drei, sie sind alle als separate Alben gemacht worden, die für sich Sinn ergaben. Nichtsdestotrotz gibt es Themen, die übernommen werden. Alle meine Arbeiten haben Querverweise zu vorherigen Konzepten, früheren Songs. Als „Baalstorm“ fertig war, fühlte es sich wie das Ende einer bestimmten Periode an. Und jetzt arbeite ich an zwei weiteren Alben und natürlich wird es Verbindungen geben. Es wird auf den weiteren zwei Alben Verbindungen zu dem, was ich zuvor gemacht habe, geben. Vielleicht sage ich dann, das sind Teile eines fünf Alben-Zyklus (lacht). Ich dachte einfach, dass es einen gewissen kreativen Prozess gab, der auf gewisse Weise mit „Baalstorm“ zu Ende gegangen ist. Man sieht viele Dinge erst nachträglich. Während das Album entstanden ist, haben meine Frau und ich uns getrennt. Zwei meiner Katzen starben. Dinge nehmen die Energie der Sachen um sie herum an, auch wenn sie nicht spezifisch als Antwort darauf geschrieben worden sind. „Baalstorm“ kam wirklich ziemlich schnell; natürlich war die Situation zwischen mir und meiner Frau schwierig, wir sind immer noch enge Freunde, ich liebe sie, sie liebt mich, aber alles veränderte sich; dann traf ich diese vier Frauen in Deutschland. Entschuldigung…
In Italien.
Ja, in Rom. Es war nicht so, dass ich mit allen vieren eine Beziehung begonnen hätte, sie haben in mir etwas hervorgebracht, das den Sturm, der in meinem Innern und um mich herum war, widerspiegelte. Der „Baalstorm“ wurde davon angeregt, aber er war schon da. Sie fügten dem Feuer mehr Brennmaterial hinzu und dies wirkte sich wieder auf mich aus. Ich denke, du verstehst, was ich meine.
Ja.
Ich begann mit dem Schreiben des Albums, bevor ich wusste, dass wir uns trennen würden, außer, dass ich es vielleicht unterbewusst wusste. Das Album wurde ziemlich schnell gemacht. Andere Alben brauchen normalerweise länger. Es ist ein größerer Zeitraum zwischen „Black Ships“ und „Aleph“. Es machen erst einmal weniger Leute mit; es gab also nicht das Problem, dass Leute, die in New York leben, eingeflogen werden mussten um Tracks einzuspielen. Es ist mein Lieblingsalbum. Und das nächste wird dann mein Lieblingsalbum sein.
Genau. Ich sprach kürzlich mit einer Freundin und sie meinte, dass „Thunder Perfect Mind“ ihr Lieblingsalbum sei. Und das regt mich immer auf. Das ist ein Album, das ich 1992 gemacht habe – vor 18 Jahren! Aber natürlich wählen Menschen ihr Lieblingsalbum aus. In ihrem Fall war es ihr Lieblingsalbum, weil sie es zu einer bestimmten Zeit in ihrem Leben gehört hat. Mir gefällt vielleicht Album X einer Band am meisten, obwohl Album Y besser ist, weil ich X gehört habe, als etwas in meinem Leben passierte.
Das sind Erfahrungen, die wir alle irgendwie machen.
Natürlich, ich sage nicht, dass ich jemand Besonderes bin. Wir mögen nicht immer das Beste. Manches kreuzt eben nur zur richtigen Zeit unseren Weg.
Da ist aber noch etwas, das ich dich über die drei letzten Alben fragen will. Es gibt da dieses „Anok Pe“-Motiv, wenn du sagst „I am Black Ship“, „I am Aleph“, „I am Æon“, „I am Zion“. Was sind die Gründe dafür, dass du in die Rolle dieser mythischen Personen bzw. Kräfte schlüpfst?
Warum ich das mache?
Ja. Noch etwas: Auf „Night! Storm! Death! Omega!“ singst du auch „Put yourself in my mask“.
„Put yourself in my place. Put yourself in my mask. Put yourself on my throne”. Diese Alben sind alle autobiographisch, aber sie sind ebenfalls mit einem größeren theologischen, spirituellen Konzept verbunden, mit Ideen, die mich bewegen, die mir das Gefühl, dass ich lebe, geben. Bei „Aleph“ sind es mehrere Geschichten: Es ist die Geschichte, dass Luzifer aus dem Himmel geworfen wird, es ist die Geschichte der Geburt des ersten Menschen und dem Kommen des zweiten Adams, d.h. Christus, verbunden mit der Geschichte Kains, des Mörders, den Einbruch des Mordes in die Welt. Wenn ich also sage: „Ich bin Aleph, ich bin Adam“, ist es so, dass wir das alle sagen können. Vielleicht würde eine Frau sagen: „Ich bin Eva“, aber auch sie könnte sagen: „Ich bin Adam“. Dies ist die Geschichte von uns allen. Wir sind alle Adam, wir sind alle da hinein geboren. Wir wurden geschaffen, wir stammen von Adam ab und wir teilen seine Erfahrungen. Was ich also mache, ist, dass ich über mich selbst spreche, aber auch darüber, wie wir alle existieren. Wir haben Archetypen in uns; wenn ich auf „Black Ships Ate The Sky z.B. „I am black ship“ singe – „Black Ships“ ist ein Konzeptalbum, das auf einer Vision, die ich hatte, beruht und zwar, dass der Antichrist in schwarzen Schiffen kommen würde, die den Himmel auffressen – und auf Konzerten manchmal sage „You are black ship“, meine ich damit, dass wir auch die Invasionsarmee des Antichristen sein können. Wir haben all diese Dinge in uns. Letztlich ist es eine Schlacht zwischen Gut und Böse, Christus und Satan. „I am black ship“ heißt, dass wir eine Wahl haben. Wir können auch „black ship“ sein, wir können uns nicht aussuchen nicht Adam zu sein, da das unser Geburtsrecht, unser Erbe ist. Wenn ich auf „Baalstorm“ sage: „Put yourself in my place, put yourself in my mask” hat das auch damit zu tun, dass es Current jetzt seit so vielen Jahren gibt und ich viele Mails bekomme und es ist so, dass wenn man sich mit der Arbeit eines Künstlers beschäftigt, vielleicht besonders in meinem Fall, nein, nicht besonders in meinem Fall, aber weil meine Arbeit sehr persönlich ist und sehr viele Verweise hat und es viele Allusionen, nicht Illusionen (lacht) gibt, dann haben einige eine gewisse Vorstellung davon, wer ich bin oder dass ich dies oder jenes denke oder mag. Ich denke immer: Ihr kennt mich nicht. Ich kenne euch nicht, wir sind alle nicht erkennbar, wir kennen uns noch nicht einmal selbst richtig. Wenn ich also sage: „Put yourself in my place, put yourself in my mask“, dann ist es vielleicht so, dass du nicht mich siehst, sondern, wie du denkst, dass ich bin. Ich bin in diesem Werk und das Werk ist mir wichtiger als alles andere. Es ist, was ich bin. Es ist so sehr eine Enthüllung dessen, was ich bin, wie irgendetwas eine Enthüllung dessen sein kann, was irgendjemand anderes ist. Es ist sehr persönlich und es ist auch eine Geschichte für uns alle. Wenn man darin auch etwas für sich findet, dann ist es auch seine eigene Geschichte.
Gestern bin ich in einem völlig anderen Kontext zufällig auf folgende Beschreibung des Werks eines anderen Dichters gestoßen: „Es zeigt sich darin eine enorme Gelehrsamkeit und es finden sich private Anspielungen, die sich mit der poetischen Stimme verbinden um etwas völlig Außergewöhnliches zu erschaffen, unter dem sich etwas Mächtiges und Zusammenhängendes befindet.“ Denkst du, dass das auch über dein Werk gesagt werden könnte?
Ich bin vielleicht nicht der Richtige um das zu beurteilen. Ich betrachte mich nie selbst als Dichter oder Künstler. Ich habe dir das wahrscheinlich früher schon einmal gesagt, ich bin jemand, der seine eigene Geschichte erzählt. Wenn Leute sagen: „David, das ist so große Kunst“, dann macht das für mich nicht viel Sinn. Wenn ich mich selbst als Dichter bezeichnen würde, wäre mir das sehr peinlich. Es liegt an anderen, zu definieren, was ich mache und ob ich der größte oder der schlechteste Dichter bin. Mir ist es ziemlich egal als was Leute mich bezeichnen. Die einzige Sache, die mich immer ziemlich ankotzt, ist, wenn ich solche lahmen Kategorisierungen höre, so etwas wie „Current 93: Postindustrial“ oder „Neofolk“ oder „Dark Folk“. Das ist erbärmlich. Man wird in Kategorien gesteckt, die nichts mit einem zu tun haben. Mir ist egal, was die Leute von meiner Kunst, meinen Worten, meiner Musik halten. Ich mache die Sachen für mich und vielleicht für meine Freunde. Wenn das andere Leute bewegt, ist das großartig.
Um kurz zu enthüllen, wer bzw. was mit obiger Beschreibung gemeint war, es war eine Bewertung von Pounds „Cantos“.
Mir hat die Idee dahinter immer besser gefallen als das eigentliche Werk.
Würde ich unterschreiben.
Mein Lieblingsdichter aus der Moderne ist T. S. Eliot. Ich mag viele Dichter, aber aus dem 20. Jahrhundert ist er vielleicht der einzige. Ich lese lieber Eliots Lyrik als eine Biographie über ihn und ich lese lieber eine Biographie Pounds als seine Lyrik. (lacht)
Das führt mich zu etwas, das ich interessant finde. Auf deiner Website kann man die Textblätter für „Baalstorm“ kaufen. Man kann darauf sehen, dass du viel korrigiert hast, Sachen entfernt hast. Ich habe mich gefragt, wie dein Schreibprozess aussieht. Sind die ausgedruckten Blätter der erste, zweite oder dritte Entwurf? Was machst du dann?
Das kommt wirklich darauf an. Auf „Baalstorm“ gab es einfach zu viel Material. Ich habe viel Text entfernt, den ich eigentlich behalten wollte, weil ich damit sehr zufrieden war. Der komplette „Baalstorm“-Text wird in dem Textbuch sein, an dem ich arbeite. Das meiste von „Baalstrom“ habe ich in Rom und in Hastings geschrieben. Wenn ich Hastings sage, heißt das meistens, dass ich in einer Bar sitze, nämlich in „The Dragon Bar“, wo ich sehr gerne bin. Ich gehe dahin und arbeite. Ich trinke Wein oder was auch immer und schreibe in ein Notizbuch, ich schreibe oder übersetze Koptisch. Ich habe z.B. in Rom und Hastings geschrieben, komme zurück und tippe es in den Computer – so wie es ist, es sei denn, da ist etwas, wo ich sage: „Oh, da war ich aber ganz schön betrunken.“ Das kommt aber selten vor. Ich schreibe in ein Notizbuch, wenn die Inspiration kommt und tippe es dann in den Computer. Ich bearbeitete den Text nicht mehr wirklich, ich mache es schon, aber nur, weil nicht genügend Platz ist und ich nicht will, dass es ein Dreifachalbum wird. Bei „Baalstorm“ habe ich mir den Text angeschaut und was mit dem jeweiligen Track funktionieren könnte. Bei „Black Ships“ habe ich den Text kaum bearbeitet, abgesehen davon, dass ich Teile für die kein Platz war und die das Konzept des Albums unklarer gemacht hätten, herausgenommen habe, bei „Aleph“ das gleiche. Ich habe einen Teil in der Mitte herausgenommen, der Track dauerte zu lange und er langweilte mich. All diese Teile nehme ich aber aus Platzgründen heraus, nicht weil ich denke, dass der Text schlecht ist. Auf den ausgedruckten Blättern für „Baalstorm“ ist nichts, was ich nicht als relevant für das Album erachtet hätte – aber es gab eben nicht genug Platz.
Wenn man deine neueren Arbeiten mit älteren vergleicht, ist es so, dass es um „Soft Black Stars“ und „Sleep Has His House“ herum eine sehr introvertierte Phase gab. Denkst du, dass diese zurückgezogene Phase für das, was du jetzt machst, nötig war?
Ich verstehe, warum du das fragst, aber für mich ist diese Frage bedeutungslos – ich meine das jetzt ganz höflich. Es ist nur so, dass ich so nicht über Dinge denke. Was ich damals gemacht habe, habe ich damals gemacht. Rückblickend hast du Recht, die Alben waren enger, privater und persönlicher; „Sleep Has His House“ ganz offensichtlich wegen meines Vaters. „Soft Black Stars“ war auch enger, auf gewisse Weise steckte da alles in einer kleinen Kiste. „Black Ships“, „Aleph“ und auch „Baalstorm“ – wobei „Baalstorm“ wieder etwas intimer ist – sind insgesamt ziemlich monumental. Sie hören sich nicht so an, als spräche jemand mit sich selbst. Vielleicht hören sie sich an, als ob jemand auf einer Bühne stünde und einen Monolog spräche. Ja, das ist doch ein interessanter Punkt, den du angesprochen hast. Wenn ich das damals so gemacht habe und jetzt so, muss es wohl notwendig gewesen sein. Aber wer weiß? Ich hätte anstelle von „Soft Black Stars“ ein Jazzfunk-Album machen können und würde vielleicht immer noch das machen, was ich jetzt tue. Ich glaube, wir können nicht herausfinden, wie X zu Y führt. Wir können nur historisch betrachtet sagen: Er hat dann das gemacht. Und „Sleep Has His House“ handelt vom Tod meines Vaters. Es gibt da natürlich eine Verbindung und das hat mich vielleicht selbstbezogener gemacht.
Wenn wir über die Vergangenheit reden: Du hast in einem Interview, das du vor einigen Jahren The Wire gegeben hast, gesagt, dass du dich gerne wohlfühlen möchtest, aber dich immer auf gewisse Weise unwohl fühlst. Auf „Red Hawthorn Tree“ singst du: „I had always hoped this world could be complete for me“. Denkst du, dass es möglich ist, all die „Dunkelheit zu verbannen”?
Na ja, ich denke, dass manche Menschen das können. Ich glaube nicht, dass ich es kann. Ich habe heute mit einem Freund darüber gesprochen und ich habe immer den Eindruck, dass ich weiter und weiter rennen muss, mich weiter bewegen muss, weiter aufnehmen und schreiben muss. Ich fühle mich nicht wohl. Vielleicht ist das auf gewisse Weise gut. Ich bin ziemlich ungeduldig, meine Gedanken und Gefühle verändern sich immer, ich nehme verschiedene Dinge auf. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Ich denke, manche Menschen können sich irgendwie befreien und sie fühlen sich wohl. Ich weiß natürlich nicht, ob das stimmt.
Vielleicht geht das, bei mir klappt das nicht.
Du fühlst dich wohl?
Nein, ich denke nicht. Es ist eher so, dass es Phasen gibt, kleine Oasen, in denen man sich wohl fühlt.
Man fühlt sich nicht wirklich wohl, wenn man spürt, dass etwas heraufziehen wird. Man ist sich immer des Schattens am Fenster bewusst.
Ja, leider. Da wir über die Vergangenheit gesprochen haben…Seit „Soft Black Stars“ spielen deine Bilder eine größere Rolle. Ist das Visuelle ebenso wichtig wie die Musik und die Texte?
Es ist das gleiche. Es zeigt, wie ich die Welt und mich selbst sehe. Bei „Baalstorm“ ist das Cover das gleiche für mich. Das Cover von „Aleph“ spiegelt das Album wider, das gleiche gilt für „Black Ships“, „Soft Black Stars“ ebenfalls, „Sleep Has His House“ ebenfalls, auch wenn ich nur die Rückseite gemalt habe. Nein…
Das Bild deines Vaters im Inlay.
Ja genau. Bei „Thunder Perfect Mind“ ist es nicht so. Ich mag das Cover nicht, deswegen habe ich es geändert. Ursprünglich sollte es eher wie Nicos „Marble Index“ sein – eine Großaufnahme meines Gesichts. Ich weiß nicht genau, warum das nicht geklappt hat. „Nature Unveiled“ spiegelt das Album wider, „Dogs Blood [Rising]“ auch. Ich denke, alle Cover spiegeln die Alben wider, vielleicht sogar „Thunder Perfect Mind“, auch wenn vielleicht nicht so, wie ich gedacht hatte. Das Artwork ist sehr wichtig für mich, weil es eben nicht nur die Verpackung für eine Sammlung von Liedern ist. Andere Gruppen mögen das machen.
Die Boxsets, die bei Vinyl-On-Demand rauskommen sollen, wurden von dem deutschen Künstler Uwe Henneken gestaltet.
Er ist großartig.
Wie habt ihr euch kennen gelernt?
Er ist ein großer Current-Fan.
Er hat einigen Bildern Titel von Current-Stücken gegeben.
Genau. Er und seine Frau Katja Strunz waren in London, weil sie eine Ausstellung hatte und er schickte mir eine E-Mail und schrieb: „David, du kennst mich nicht, würdest du gerne zur Ausstellungseröffnung meiner Frau kommen? Ich bin ein Fan deiner Arbeit.“ Ich schaute mir seine Sachen an und dachte: „Das ist fantastisch.“ Wir haben uns getroffen, einige Zeit miteinander verbracht und haben uns sehr gut verstanden. Ich mag ihn sehr. Ich habe eine Einleitung zu einem Ausstellungskatalog von ihm, der demnächst veröffentlicht werden wird, geschrieben. So kam also diese Verbindung zustande.
Ich habe in London die Boxen gesehen und die sahen wirklich großartig aus.
Ist es Zufall, dass gerade drei Boxen veröffentlicht werden?
Ja. Welche dritte?
„Like Swallowing Eclipses“ mit den Mixen von Andrew Liles.
Ah ok. Ich sehe die Vinyl-On-Demand-Sache wegen des Schubers als eine Box an. Vinyl-On-Demand fragten mich, ob ich Lust hätte das zu machen und Dirter fragten ebenfalls und ich habe beide Male „ja“ gesagt.
Hast du eigentlich vor, ältere Alben, die jetzt seit einigen Jahren ausverkauft sind, nachzupressen oder denkst du, manche sollen bleiben, wo sie sind?
Ich hätte gerne alle Alben verfügbar. Aber da ich alles praktisch selbst mache, gerade jetzt, da meine Frau und ich uns getrennt haben, ist es einfach eine Zeitfrage. Ich arbeite lieber an neuem Material als altes wiederzuveröffentlichen. Ich habe einfach so viele Projekte, dass es schwierig ist.
Bei unserem letzten Interview sprachst du davon, dass es Pläne gäbe „Whilst the Night Rejoices Profound and Still“ zu veröffentlichen, du aber mit dem Gesang nicht ganz zufrieden seist.
Das ist auch etwas, das mich im Augenblick nicht so sehr interessiert. Eigentlich ist jeder eher an neueren Sachen interessiert. Ich war nie so glücklich darüber, wenn Bands sich reformieren und ihr ultimatives Album von 1985 spielen. Es ist vielleicht ein tolles Album, aber ich denke, jeder Künstler – und ich gebrauche den Begriff jetzt vorsichtig – sollte eher an neuem Material arbeiten. Oder ist das eine andere Art zu sagen, dass das neue Material nicht so gut ist oder dass es den Fans nicht so gefällt?
Vielleicht beides.
Genau. Ich beurteile nicht, warum andere das machen, ich sage nur, dass mich eher interessiert, was als nächstes kommt. Jetzt ist „Baalstorm“ fertig und mich interessiert jetzt, woran ich als nächstes arbeite. Ich bin stolz auf „Baalstorm“ und „Aleph“ und „Black Ships“ und stolz auf fast alles, an dem ich gearbeitet habe. Aber das interessiert mich eben nicht mehr so sehr. Ich denke, dass es auch so sein sollte.
Die nächste Frage mag etwas trivial klingen, aber wenn man sich anschaut, mit wie viel verschiedenen Leuten du arbeitest und wer manchmal alles auf der Bühne ist, scheint es eine ziemlich interessante Mischung zu sein. Ich erinnere mich daran, dass ich bei einem Konzert dachte: Vorne steht mit Andrew W.K. eine Art Popstar, dann ein Professor für Koptisch, der Kopf des O.T.O. und eine Transgender – wenn man jetzt bei diesen Klischees bleibt; du hast mit Skitliv oder mit James Blackshaw gearbeitet, aber dennoch scheint die Zusammenstellung nicht willkürlich zu sein. Es scheint eine Art Verbindung zu geben.
All diese Künstler sind Freunde und ich liebe sie sehr. Das ist die Current 93-Familie. Sie erweitert sich fortwährend, aber ich liebe auch die Arbeit der Beteiligten. Antony hat mich mit dem Werk von Baby Dee bekannt gemacht und ich liebte ihre Arbeit, bevor ich sie kennen gelernt hatte. Bei Skitliv war das so, dass ich ein großer Fan von Mayhem war, ich liebe Maniac, er ist ein interessanter Mensch, er hat Current-Tätowierungen. Menschen sprechen mich an und ich spreche sie an. Der Oud-Spieler Eliot Bates trat mit mir als Current-Fan in Kontakt. Je offener ich dafür bin, mit Künstlern aus verschiedensten Bereichen zu arbeiten, desto mehr sprechen mich andere Menschen an. Ich werde immer von Menschen kontaktiert, die mit mir arbeiten wollen, teilweise sicher, weil sie meine Arbeit schätzen. Aber auch, weil sie sehen, was für eine merkwürdige, magische und sich fortwährend entwickelnde Gruppe von Menschen es bei Current gibt. Ob man Current liebt oder hasst, eine Sache, die wir nie gemacht haben, ist stillzustehen, wir haben nicht immer das gleiche Album gemacht, wir verändern uns fortwährend, auch wenn wir immer noch erkennbar als die Gruppe sind, die „Nature Unveiled“ gemacht hat. Die Themen, die fundamental einfache Natur der Musik ist da – natürlich gibt es viel mehr Text. Wir sind nicht berechenbar und das macht Current für mich phantastisch und magisch. Es ist so fließend und die Leute reagieren so gut aufeinander, die Dynamik auf der Bühne und im Studio ist ziemlich gut, weil jeder einfach den anderen gerne mag. Wir lieben uns und sind gute Freunde. Niemand von uns ist arrogant oder ichbezogen – das zu sagen, klingt natürlich ichbezogen, aber du weißt, was ich meine; wir sind freundlich, umgänglich, Leute, die die Gesellschaft der anderen schätzen. James Blackshaw war gestern da und wir saßen bei mir im Garten und tranken Bier und wir mussten lachen. Current haben diesen Ruf düster und magisch zu sein, aber wenn die Leute backstage wären, würden sie nur eine Gruppe freundlicher Leute sehen, die viel Bier und Wein trinken, rauchen – ich selbst rauche nicht, aber viele aus der Gruppe tun es. Ich lasse die Gruppe nicht meditieren oder beten, bevor wir auf die Bühne gehen. Ich bin sehr glücklich, weil es eine großartige Gruppe von Menschen ist. Sie sind immer offen. Current 93 bin ich. Es ist meine Gruppe, aber ich höre mir immer die Vorschläge anderer an, selbst, wenn es nur ist, um „nein“ zu sagen. Ich glaube, es gibt keine andere Gruppe, die so ist. Egal, ob man die Musik mag oder nicht, es ist ein einzigartiges Experiment. Man weiß nie, wie das nächste Album sein wird.
Du sagtest vorhin, dass du an zwei Alben arbeitest. Werden das beides Current-Alben werden?
Ich bin mir darüber noch nicht ganz im Klaren. Wahrscheinlich werden es Current-Alben, aber ich entscheide das meistens, wenn die Sachen fast fertig sind. Ich hoffe, dass ich noch dieses Jahr ein Album veröffentlichen werde. Es wird wahrscheinlich ein zwanzigminütiges einseitiges Vinylalbum und eine zwanzigminütige CD werden und es wird meinem Freund Sebastian Horsley, der gerade gestorben ist, gewidmet sein. Das andere wird ein komplettes neues Album werden, wahrscheinlich Current, aber vielleicht mit einem leicht anderen Ansatz. Man muss abwarten.
Ich habe auch gesehen, dass ein Buch mit den gesammelten Kurzgeschichten von Aleister Crowley herauskommen wird.
Ja.
Du hast das Vorwort geschrieben und William Breeze…
Wo hast du darüber etwas gehört?
Ich war auf lashtal.com und jemand hatte was gepostet und dann habe ich bei Amazon geschaut und da hieß es, es solle im September herauskommen.
Das ist richtig. Ich bin nur neugierig, weil ich kürzlich mit Bill Breeze gesprochen habe, der die Einleitung geschrieben hat und ich fragte ihn, ob ich das schon mitteilen solle und er meinte, ich solle noch etwas warten, bis es ordentlich angekündigt sei. Jetzt kann ich es wohl erwähnen. Ich habe ein kurzes Vorwort geschrieben. Es wird bei Wordsworth veröffentlicht. Ich weiß nicht, ob du die kennst, aber sie veröffentlichen diese günstigen Paperbacks.
Ja. Ich habe ein paar von ihren Ausgaben.
Sie sind ziemlich günstig, aber gut. Als ich mit Bill darüber sprach…Übrigens, was stand da, wer die Einleitung geschrieben hat?
Ich glaube, da steht: Einleitung: William Breeze. Vorwort: David Tibet.
Ich wusste nur nicht, ob Bill seinen magischen Namen, den er im O.T.O. verwendet, benutzt hat. Ich sprach mit Bill darüber, wie man Crowleys Kurzprosa veröffentlichen könne. Man könnte ein teures, sehr limitiertes Hardcover machen bla bla bla, mit dem man mehr Geld verdienen könnte, aber das Wichtige ist, die Literatur zu veröffentlichen und es billig zu machen, da man so mehr Menschen erreicht. In dem Band ist ziemlich viel drin, aber es gibt noch Unveröffentlichtes, magische Detektivgeschichten, aber die werden im zweiten Band drin sein und es gibt Kurzgeschichten, die mehr eine Art von poetisch-magischen Texten sind, mystischer, das ist eher mystische poetische Prosa als dass es Kurzgeschichten wären.
Wo wir gerade bei Büchern sind: Magst du etwas dazu sagen, warum Thomas Ligottis The Conspiracy Against The Human Race nicht wie ursprünglich geplant bei Durtro sondern bei Hippocampus Press veröffentlicht werden wird?
Da gibt es keine finsteren Gründe für. Das Buch hat so viele Entwürfe durchlaufen; ich glaube, Tom fing an es zu schreiben, als ich noch in Glasgow lebte. Ich hatte dann einige Monate nichts von Tom gehört, weil ich auch mit anderen Sachen beschäftigt war und irgendwann meinte Tom, er wolle es Hippocampus überlassen und das war völlig in Ordnung. Ich würde gerne noch mehr mit Tom machen und ich habe mit Hippocampus darüber gesprochen, eine limitierte Spezialauflage des Buches zu machen – die ich vielleicht noch machen werde. Ich habe soviel Sachen zu machen und irgendwie ist das durchs Netz gefallen. Tom und ich sind aber immer noch Freunde.
Gibt es andere Pläne bezüglich Buchveröffentlichungen?
Da ist natürlich das „Collected Lyrics“-Buch (lacht). Es war blöd von mir, das so früh anzukündigen. Ich dachte, es würde schnell veröffentlicht werden. Die Leute haben schon dafür bezahlt und sind sehr geduldig gewesen. Andererseits bekommen sie jetzt ein viel besseres Buch. Es ist wesentlich umfangreicher, mit mehr Texten. Der Nachteil ist, dass viele so lang warten müssen. Es wird die lange Version von „Baalstorm“ enthalten und auch die kurze. Vielleicht auch die Sebastian Horsley-Sache. Es hängt davon ab, wann ich damit fertig werde. Es ist schwierig, weil es für mich ein Hauptwerk, ein Lebenswerk ist. Und ich will natürlich, dass es so gut wie nur eben möglich ist. Ich hatte keine Mails von Leuten, die wegen der langen Wartezeit angepisst waren. Innerhalb der sieben Jahre wollten etwa 15 Leute ihr Geld zurück, aber es waren alles sehr höfliche E-Mails nach dem Motto: „Ich bin gerade pleite, könnte ich mein Geld zurück haben? Vielleicht werde ich das Buch später kaufen.“ Ich habe gesagt, dass es Anfang August rauskommen soll, aber ich denke, es ist realistischer zu sagen, dass es Ende August wird, weil ich im Juli einen Auftritt in Padova habe und ich ein paar Tage in Rom sein werde und dann werde ich in Straßburg auf einer einwöchigen Konferenz zu koptischen Papyri sein. Ich habe aber die meisten Dateien fertig. Es werden nicht die kompletten Texte sein. Auf „Earth Covers Earth“ habe ich nicht viele der Texte selbst geschrieben. Es waren Gedichte von…
Z.B. John Hall.
Ja genau. Auf Alben wie „Imperium“ sind Texte aus der Bibel. In einigen der früheren Texte habe ich auch die Texte von anderen neben meinen verwendet. Im Rückblick wünschte ich, dass ich das nicht gemacht hätte, aber jetzt ist das eben so. Ich muss nur überlegen, wie ich das mache. Am Anfang von „Be“ auf „Imperium“ heißt es: „From swerve of shore to bend of bay“.
Das ist aus Joyces Finnegans Wake.
Ich habe nie gedacht, dass die Leute den Eindruck haben, ich wolle vorgeben, dass ich es geschrieben hätte. Ich lese viel und gehe davon aus, dass die Leute es als Anspielung sehen. Wie du zum Beispiel. Ich kann das also nicht veröffentlichen. Vielleicht setze ich „From swerve of shore to bend of bay“ in Anführungszeichen und mache eine Fußnote.
Da wo ich wohne, gibt es jemanden, der Jahre damit zugebracht hat, Finnegan’s Wake ins Deutsche zu übersetzen.
Was für eine Zeitverschwendung. Joyce hat seine Zeit beim Schreiben dieses Buch ebenfalls vergeudet. Ich denke, dass es unlesbar ist. Es ist auf wunderschöne Art und Weise unlesbar und ich schaue es mir auch gerne an, aber es hätte auch eine Kurzgeschichte sein können. Es ist wieder so, dass ich Joyce selbst mehr als das Werk schätze. Ich mag den Monolog am Ende von Ullyses wahnsinnig gerne. Hast du Ullyses je gelesen?
Nur Teile. Natürlich den berühmten letzten Teil.
Ja. Der masturbatorische Monolog am Ende. Er ist wunderschön, aber ich habe es nicht durch das ganze Buch geschafft. Das ist eines der Bücher, bei dem viele vorgeben, es gelesen zu haben, wie Prousts A la recherche du temps perdu. Da gibt es auch tolle Passagen, aber ich bin nicht ganz durchgekommen. So viele Bücher zu lesen, so wenig Zeit.
(M.G., U.S.)
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