Widmet man sich der Lebensbeschreibung von Anton Szandor LaVey, läuft man rasch Gefahr sich in einem Netz aus tatsächlichen Ereignissen, Erfindungen und Halbwahrheiten zu verfangen. Verstand LaVey es doch auf virtuose Weise, in seinen Lebenslauf etliche Legenden einzuflechten, um so ein Gesamtkunstwerk der besonderen Art zu schaffen; wobei er für sich das für jeden Menschen geltende Recht in Anspruch genommen hat, seine Vita so zu gestalten, wie es seinem inneren Wesen entspricht. Etliche Kritiker machten es sich später zur Aufgabe, LaVey zu entzaubern und ihm Unwahrheiten nachzuweisen. Besonders hervorgetan hat sich hier Zeena LaVey, die zweite Tochter der Schwarzen Papstes1: bedenkt man, dass sie sich einst mit ihrem Vater überworfen hatte, ja sogar behauptet, ihn durch einen Fluch getötet zu haben, muss man sich fragen, ob ihre vermeintlichen Enthüllungen nicht in Wahrheit Erfindungen sind, um dem Ansehen LaVeys zu schaden. Da es den selbstgewählten Rahmen dieses Essays sprengen würde, soll hier nicht versucht werden, jenes Netz zu entwirren. Ohne gänzlich auf kritische Hinweise zu verzichten, soll hier den Legenden geglaubt und das Lebensbild nachgezeichnet werden, das LaVey selbst von sich entworfen hat.
Danach markiert die Walpurgisnacht 1966 den Beginn einer neuen Epoche: Anton Szandor LaVey, ganz in der Tradition schwarzer Magier, rasiert sich den Schädel und verkündet die Gründung der Church of Satan, zu deren Hohepriester er sich selbst ernennt. Keimzelle der Kirche neuen Typs war der Magische Zirkel, den LaVey seit Anfang der sechziger Jahre um sich gescharrt hatte. Jeden Freitag, immer um Mitternacht, hielt LaVey vor diesem Kreis Vorträge zu den unterschiedlichsten Themen aus Okkultismus und Magie, er sprach über Werwölfe, Vampire und Spukhäuser. Und ein dem Kannibalismus gewidmeter Abend wurde gekrönt durch den Verzehr eines auf hawaiianische Weise zubereiteten Menschenbeins, das ein LaVey nahestehender Arzt besorgt hatte. Da auch die lokale Presse sich gerne seiner Aktivitäten annahm, war LaVey schon Mitte der sechziger Jahre in San Francisco eine prominente Gestalt.2
Unter dem Namen Howard Stanton Levey wurde LaVey am 11. April 1930 als Sohn des Handelsvertreters Joseph LaVey und seiner Frau Augusta in Chicago geboren. Allerdings siedelte die kleine Familie recht bald nach San Francisco über, wo Augusta versuchte, aus ihrem einzigen Kind einen guten Mittelklasseamerikaner zu formen. Der junge Tony jedoch zeigte wenig Interesse an den Belangen seiner Klasse und widmete sich, auch angeregt durch seine Großmutter mütterlicherseits, lieber den dunklen und abseitigen Dingen der menschlichen Existenz. So las LaVey schon früh die klassischen Gothic Novels wie Mary Shelleys Frankenstein, Bram Stokers Dracula sowie die Erzählungen von H.P. Lovecraft, widmete sich aber auch so uramerikanischen Autoren wie Mark Twain und Jack London. Außerdem studierte er den Okkultismus in all seinen Facetten ebenso wie die Werke Friederich Nietzsches und anderer Philosophen. Neben der Literatur galt LaVeys Liebe vor allem der Musik. Als Autodidakt erlernt er diverse Instrumente, darunter Violine, Oboe und Klarinette, und erlangt im Verlauf der Jahre einige Virtuosität auf verschiedenen Tasteninstrumenten. Im Gegensatz zu seinen Altersgenossen hört LaVey lieber klassische Musik statt der zeittypischen Unterhaltungsmusik, wie er überhaupt die üblichen Freizeitaktivitäten gesunder Teenager meidet: statt seine Zeit mit Football oder albernen Gruppenspielen zu vertrödeln, verbringt LaVey seine Zeit lieber in der Studierstube oder an für einen Heranwachsenden außergewöhnlichen Orten wie Billardhallen, wo er auf kleine Gauner, Nutten und Zuhälter trifft und erste Studien der menschlichen Natur betreibt, die er in den kommenden Jahren noch vertiefen sollte.
Angeregt vom tobenden Zweiten Weltkrieg beginnt LaVey, sich mit Militärgeschichte und Waffensystemen zu befassen. Er verschlingt die in den örtlichen Bibliotheken greifbare Literatur und stößt auch auf Waffenkataloge, die alles anbieten, was zur Kriegsführung benötigt wird.
Kurz nach Beendigung des Krieges reiste LaVey im Sommer 1945 mit einem seiner Onkel, der als Ingenieur im zerstörten Deutschland Landebahnen wiederherstellen sollte, nach Europa. In Berlin bekam er dabei die Gelegenheit, sich etliche von den Nazis beschlagnahmte Filmklassiker aus der Zeit der Weimarer Republik anzuschauen; darunter Meisterwerke des expressionistischen Films wie Das Kabinett des Dr. Caligari oder Metropolis sowie die Mabusefilme von Fritz Lang. Ferner berichteten ihm Angehörige der U.S. Army von Gerüchten, nach denen ein dunkler Orden hinter dem Nationalsozialismus stand und insbesondere von Mitgliedern der SS schwarzmagische Rituale durchgeführt wurden. Wenn es auch mehr als fraglich ist, ob LaVey 1945 wirklich durch die Trümmerlandschaften Deutschlands gereist ist, so verfügte er doch über eine profunde Kenntnis des deutschen Schauerfilms und dessen magisch-okkulten Grundlagen, woraus er Jahre später das Gesetz des Trapezoid abgeleitet und sein Ritual Die Elektrischen Rituale entwickelt hat.
LaVeys Beschäftigung mit dem Okkultismus fokussierte sich nun auf dessen schwarzmagische Ausrichtung und die Möglichkeiten, die dem Pfad zur linken Hand innewohnen. Viele der von ihm gelesenen Werke hielten allerdings kaum das, was er sich von ihnen versprach; tieferes Wissen über das Wesen der Schwarzen Magie fand LaVey stattdessen in Biographien über den Grafen Cagliostro oder Rasputin, den Dämon der letzten Zarin. Besonderen Eindruck auf ihn hinterließ aber der ebenso zynische wie erfolgreiche Waffenhändler Basil Zaharoff, der weder Freund noch Feind, sondern nur Kunden kannte und nach dem Prinzip verfuhr, Kriege zu erzeugen um dann Waffen an beide Seiten zu verkaufen. Für LaVey wurde Zaharoff so zur Verkörperung des Schwarzmagiers schlechthin, dessen auf Manipulation und Rücksichtslosigkeit basierende Erfolgsphilosophie später Eingang fand in sein eigenes Satanismuskonzept.
Mittlerweile sechzehn Jahre alt, hatte LaVey erkannt, dass ihn weder die in der Schule vermittelten Inhalte noch die Perspektiven eines bürgerlichen Berufs sonderlich interessierten. So heuerte er im Frühjahr 1947 beim Clyde Beatty Circus an. Zunächst als Hilfskraft und Käfigjunge angestellt, brachte er es schnell zum Assistenten des Tierbändigers, um später alleine mit den Raubkatzen aufzutreten. Parallel hierzu lernte LaVey, die Calliope, eine spezielle Dampforgel, zu spielen und wechselte, als sich die Gelegenheit ergab, aus dem Raubtierkäfig in das Zirkusorchester. Schnell erwarb LaVey sich den Ruf eines großen Organisten. Nach Beendigung seines Engagements bei Clyde Beatty begann er auf verschiedenen Jahrmärkten zu arbeiten und tauchte ein in die Welt der Schausteller und Freaks, der Gaukler und Showgirls. Später führte ihn seine unorthodoxe Laufbahn als Musiker noch auf die Bühnen der Nachtlokale, wo er Burlesque- und Stripteaseshows mit der Orgel begleitete. Während eines Engagements in Los Angeles soll LaVey eine Affäre mit der damals noch unbekannten Marilyn Monroe gehabt haben, deren Auftritte als Stripperin von ihm musikalisch untermalt wurden. Zwar gibt es Zweifel, ob diese Ballade von Anton und Norma Jean jemals gespielt wurde, jedoch bezeugt diese von LaVey sorgfältig gepflegte Legende die besondere Hochachtung, die er dieser oft unterschätzten, unter ihrer Rolle als blondes Sexsymbol leidenden Ikone entgegengebracht hat.
Nach seiner Rückkehr nach San Francisco schrieb LaVey sich 1949 am San Francisco College ein und beginnt ein Studium der Kriminologie. Parallel dazu arbeitet er weiterhin in Nachtclubs als Musiker und setzt seine Feldstudien über die Vielfältigkeit erotischer Reize und die besondere Kunst der Verführung fort. Die dort gewonnenen Erkenntnisse fließen später in LaVeys speziell für Frauen verfasstes Handbuch der niederen Magie, Die Satanische Hexe, ein.
1950 lernte LaVey die noch minderjährige Carole Lansing kennen, die er ein Jahr später mit dem Einverständnis ihrer Eltern heiratete. 1952 kam ihre Tochter Carla zur Welt. Caroles Wunsch nach einem mehr bürgerlichen Broterwerb entsprechend, war LaVey als Fotograf in den Polizeidienst eingetreten. Hatte er bei seinen bisherigen Tätigkeiten die Gesetze studieren können, nach denen der Eros auf das menschliche Verhalten wirkt, sah er sich nun mit den destruktiven Seiten der menschlichen Natur konfrontiert. Täglich dokumentierte LaVey jetzt die Opfer von Gewaltverbrechen, Sexualdelikten und Verkehrsunfällen. Die Willkür und Zufälligkeit, mit der jeder zum Opfer werden konnte und auch Kinder nicht verschont wurden, brachten LaVey zu der Erkenntnis, dass kein allmächtiger, sich sorgender Gott existiert und der Mensch gezwungen ist, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, ohne auf transzendenten Beistand hoffen zu dürfen.
Neben konventionellen Fällen übernahm LaVey auch Einsätze mit okkultem und paranormalem Hintergrund. So fotografierte er vermeintliche Ufosichtungen und begab sich als Geisterjäger in angebliche Spukhäuser. Mit der Zeit wurde LaVey über die Grenzen San Franciscos hinaus als Experte für das Übersinnliche schlechthin bekannt und er begann, als Hypnotiseur und Lebensberater zu arbeiten. Dies erwies sich als so lukrativ, dass er seinen Job als Polizeifotograf aufgeben konnte, um sich ganz seinen eigentlichen Neigungen zu widmen.
1956 stieß LaVey bei der Suche nach einer geeigneten Unterkunft für sich und seine Familie auf ein viktorianisches Haus in San Franciscos California Street. Mit einer Historie voll mysteriöser Begebenheiten, versteckten Zimmern und Geheimgängen war es für einen Schwarzmagier das geeignete Domizil. Nach seinem Einzug ließ LaVey das Haus schwarz anstreichen und als Black House sollte es für mehr als vier Jahrzehnte sein Hauptquartier bleiben. Auch privat kam es in LaVeys Leben zu Veränderungen. 1959 begegnete er Diane Hegarty, einer blonden Schönheit von siebzehn Jahren. Die beiden waren sich rasch nähergekommen und nach der Scheidung von Carole wurde Diane die neue Gastgeberin im Black House. Sie gebar 1963 die gemeinsame Tochter Zeena Galatea.
Wie bereits eingangs erwähnt traf sich jeden Freitag LaVeys Magischer Kreis, zu dem auch der Undergroundfilmer Kenneth Anger gehörte, im Black House, und auf Anregung seines Freundes Jack Webb vollzog LaVey die Gründung der Church of Satan. Angezogen von der charismatischen Figur LaVey wie auch der von ihm begründeten Religion, stieß im Herbst 1966 die Schauspielerin Jayne Mansfield zur Church of Satan. Rasch von ihren magischen Fähigkeiten überzeugt, machte LaVey sie zu einer seiner Priesterinnen, was zu Konflikten mit Mansfields Manager und ehemaligem Liebhaber Sam Brody führte. Da dessen Versuche Mansfield und LaVey zu entzweien scheiterten, verwüstete Brody die Ritualkammer des Black House und drohte mit der Veröffentlichung von Mansfield diskreditierenden Fotos. LaVey reagierte auf die einem Schwarzmagier angemessene Art: er verfluchte Brody und sagte ihm voraus, dass er binnen einen Jahres sterben werde. Javne Mansfield empfahl er eindringlich, sich künftig von Brody fernzuhalten, doch vergeblich: am 29. Juni 1967 starben beide bei einem Verkehrsunfall. Die Affäre Mansfield brachte der Church of Satan einiges an Publicity ein, ebenso wie weitere Aktivitäten, die LaVey in dieser Zeit entfaltete: so traute er am 1. Februar 1967 den Journalisten John Raymond und seine Frau Judith Case in einer satanischen Hochzeitszeremonie, und am 23. Mai desselben Jahres wurde Zeena LaVey im Namen Satans getauft.
1968 kam Roman Polanskis Film Rosemaries Baby in die Kinos und wurde ein internationaler, oscarprämierter Erfolg. In diesem Film, der überwiegend 1966, dem Gründungsjahr der Church of Satan, spielt, soll LaVey die Rolle des Satans übernommen haben und darüber hinaus als Berater tätig gewesen sein – in den Credits wird er allerdings nicht erwähnt. Unabhängig von einer möglichen filmischen Zusammenarbeit waren Polanskis und LaVeys Biographien zumindest indirekt miteinander verbunden: Susan Atkins, die 2009 verstorbene Mörderin von Polanskis Ehefrau Sharon Tate, hatte vor ihrer Begegnung mit Charles Manson zeitweise als Tänzerin in LaVeys Topless-Witches-Show gearbeitet. Die Doppelrolle Satan vor und Berater hinter der Kamera übernahm LaVey auf jeden Fall 1975 für den eher trashigen Film The Devil’s Rain (dt. Nachts, wenn die Leichen schreien), der von den Aktivitäten einer Teufelssekte des 17. Jahrhunderts erzählt und mit John Travolta, Ernest Borgnine und William Shatner durchaus prominent besetzt war.3
Die philosophischen Grundlagen und die wesentlichen Rituale der Church of Satan legte LaVey in seinem 1969 veröffentlichen Buch Die Satanische Bibel nieder. LaVeys Philosophie des Satanismus lehrt einen am Diesseits orientierten, radikal atheistischen Materialismus, in dem die verschiedensten Einflüsse, darunter die Lebensphilosophie Nietzsches, der Sozialdarwinismus von Ragnar Redbeard und das libertäre Denken Ayn Rands, zu einem einheitlichen Theoriegebäude zusammengefügt werden. An die Existenz eines leibhaftigen Satans glaubt LaVey nicht. Vielmehr repräsentiert Satan für ihn jene dunkle Kraft, die sich beständig gegen das Bestehende auflehnt, Überkommenes hinterfragt und so erst den Fortschritt der Menschheit ermöglicht. Für LaVey sind wahre Satanisten jene geborenen Außenseiter, die schon immer um ihre Andersartigkeit wussten, ohne aber darunter zu leiden, mehr noch: sie leiten daraus eine Exklusivität ab, die sie über den Herdenmenschen erhebt. Der Satanist im LaVey’schen Sinne gehört demnach zu einer selbst erkannten Elite und hat nichts gemein mit dem Gräber schändenden Vulgärsatanisten, der sich im Rahmen zusammengestümperter Rituale an Tieropfern versucht. LaVey verkündet neun Satanische Grundsätze:
„1. Satan bedeutet Sinnesfreude statt Abstinenz!
2. Satan bedeutet Lebenskraft statt Hirngespinste!
3. Stan bedeutet unverfälschte Weisheit anstatt heuchlerischen Selbstbetrug!
4. Satan bedeutet Güte gegenüber denjenigen, die sie verdienen, anstatt Verschwendung von Liebe an Undankbare!
5. Satan bedeutet Rache statt Hinhalten der anderen Wange!
6. Satan bedeutet Verantwortung für die Verantwortungsbewussten anstatt Fürsorge für psychische Vampire!
7. Satan bedeutet, dass der Mensch lediglich ein Tier unter anderen Tieren ist, manchmal besser, häufig jedoch schlechter als die Vierbeiner, da er aufgrund seiner ‚göttlichen geistigen und intellektuellen Entwicklung‘ zum bösartigsten aller Tiere geworden ist!
8. Satan bedeutet alle sogenannten Sünden, denn sie alle führen zu physischer, geistiger oder emotionaler Erfüllung!
9. Satan ist der beste Freund, den die Kirche jemals gehabt hat, denn er hat sie die ganzen Jahre über am Leben erhalten!“4
In den folgenden Jahren präzisiert und aktualisiert LaVey seine Lehre. So entwirft er 1985 mit dem pentagonalen Revisionsmus ein 5-Punkte-Programm zur Umgestaltung der Gesellschaft nach satanischen Prinzipen: danach soll die Schichtenbildung die Herrschaft der Besten ermöglichen, die Kirchen konsequent besteuert, das Lex Talionis wiedereingeführt sowie die Herstellung künstlicher menschlicher Gefährten vorangetrieben werden und jeder die Möglichkeit erhalten, in einer ihm gemäßen, geschlossenen Lebenswelt zu wohnen. 1987 benennt LaVey noch die neun satanischen Sünden: Dummheit, Anmaßung, Solipsismus, Selbsttäuschung, Konformität mit der Masse, Mangel an Perspektive, Vergesslichkeit gegenüber früheren Grundsätzen, kontraproduktiver Stolz und der Mangel an Ästhetik.5 Den Corpus der kanonischen Schriften der Church of Satan erweiterte LaVey 1970 mit Die Satanische Hexe und 1972 mit Die Satanischen Rituale.
Die besondere denkerische Leistung LaVeys besteht darin, eine eigenständige satanische Philosophie formuliert zu haben, die in bestimmten schwarzmagischen Traditionen wurzelt und diese kreativ weiterentwickelt, ohne noch von den Lehren des Christentums als kritischem Bezugspunkt abhängig zu sein. LaVeys Philosophie des Egoismus im Zeichen Satans sowie sein mit rigidem Sozialdarwinismus gepaarter Anti-Humanismus haben etliche Kritiker auf den Plan gerufen, die LaVey u.a. eine Nähe zum Nationalsozialismus unterstellten. LaVey hat diese Vorwürfe immer mit dem Hinweis auf seine jüdische Herkunft zurückgewiesen, genauso wie die Annäherungsversuche diverser rechtsradikaler Organisationen wie der American Nazi Party oder dem Ku Klux Klan. Dass die Church of Satan allerdings überhaupt für die genannten Organisationen interessant war macht deutlich, auf welch schmalem ideologischen Grat LaVey sich bewegt.6 Die Kritiker LaVeys müssen sich allerdings fragen lassen, ob das von ihm entworfene Menschenbild und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Gesellschaftsgestaltung nicht weitaus mehr der menschlichen Natur entsprechen, als alle Träume von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit auf Basis der christlichen Nächstenliebe – die Nähe zu den Werten unserer turbokapitalistisch-globalisierten Gesellschaft ist jedenfalls unverkennbar.7
Zu Beginn der siebziger Jahre zog LaVey sich nach und nach aus dem öffentlichen Leben zurück und widmete sich lieber seinen persönlichen Obsessionen wie der der Musik, der Malerei oder dem Bau künstlicher Menschen. 1975 vollzog LaVey eine Umstrukturierung der Church of Satan, die u.a. auch die Aufnahme neuer Mitglieder und deren Einordnung in die Hierarchie betraf: wer es in der äußeren Welt bereits zu etwas gebracht hatte, sollte auch innerhalb der Church von vornherein einen höheren Rang einnehmen. Dies führte zu Konflikten mit Michael Aquino, in der Führung der Church of Satan der zweite Mann hinter LaVey. Dieser musste sich den Vorwurf gefallen lassen, aus purer Profitgier Ränge zu verkaufen. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern verließ Aquino schließlich die Church of Satan und gründete den Temple of Set. Die eigentlichen Gründe für dieses Schisma lagen wohl tiefer: zum einen war in ein und derselben Organisation einfach kein Platz für zwei Männer mit den gleichen Machtansprüchen, zum anderen hatte sich zwischen beiden ein tiefer ideologischer Graben aufgetan, glaubte Aquino doch im Gegensatz zu LaVey tatsächlich an die physische Existenz Satans.8
Aus der zeitlichen Distanz betrachtet hat das Schisma von 1975 die Church of Satan mehr gestärkt als geschwächt, und sie war somit bestens gerüstet, sich den Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts zu stellen. So erlebten die achtziger Jahre eine gegen den Satanismus gerichtete, als Satanic Panic bekannt gewordene Hysterie, in deren Verlauf zahlreiche Personen behaupteten, von Satanisten entführt, misshandelt und missbraucht worden zu sein. Zudem sollten zahllose Kulte existieren, in denen Ritualmorde an Säuglingen und Kindern an der Tagesordnung waren. Weder in den USA noch in Europa konnten jemals, von wenigen Einzelfällen abgesehen, Aktivitäten dieser Art nachgewiesen werden. Dennoch stürzten die Medien sich mit großem Elan auf jede neue Enthüllungsgeschichte. Für die Church of Satan war es in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vor allem der Avantgardekünstler Boyd Rice, der den Fehdehandschuh aufnahm und den Satanismus LaVeys in den US-Medien verteidigte. LaVey war für Rice, wie auch für etliche andere Künstler (z.B. den dänischen Sänger King Diamond oder später Marilyn Manson) eine Art geistesverwandter Mentor geworden, und nach seinem Beitritt stieg Rice in der Hierarchie der Church of Satan rasch auf und war bis zum Tod LaVeys Mitglied in deren Leitungsgremium, dem Council of Nine.9
Diane Hegarty, fast 25 Jahre lang seine Lebensgefährtin, verließ LaVey 1984; an ihre Stelle trat bald danach Blanche Barton, seit 1976 Mitglied in der Church of Satan. Barton verfasste LaVeys offizielle Biographie, The Secret Life of a Satanist, sowie eine Geschichte der Church of Satan, die beide 1990 veröffentlicht wurden. Im gleichen Jahr sagte sich Zeena LaVey von ihrem Vater los, nachdem ihr Versuch, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Nikolas Schreck die Führung der Church zu übernehmen, gescheitert war. Beide traten später demonstrativ dem Temple of Set bei. Im Jahr 1992 brach LaVey sein langes Schweigen und veröffentlichte mit The Devil’s Notebook eine lang erwartete Sammlung von Essays, die zuvor in den Zeitschriften The Cloven Hoof und The Black Flame erschienen waren. Am 1. November 1993 gebar Blanche Barton LaVeys drittes Kind Satan Xerxes Carnacki. Allerdings war es LaVey nicht vergönnt, seinen einzigen Sohn aufwachsen zu sehen. Nachdem er schon längere Zeit unter einer Herzkrankheit gelitten hatte, erlag der Papst des Satans am 29. Oktober 1997 einer Herzattacke.
Als letztes Buch LaVeys erschien 1998 die Essaysammlung Satan Speaks! mit einem Vorwort von Marilyn Manson. Die Führung der Church of Satan übernahm zunächst Blanche Barton, der es allen Widerständen zum Trotz gelang, ein Auseinderbrechen des Lebenswerks LaVeys zu verhindern und die auch einen Putschversuch von Karla LaVey abwehren konnte. Dennoch übergab Barton 2001 das Amt des Hohepriesters an den Komponisten Peter H. Gilmore, der schon seit vielen Jahren in den unterschiedlichsten Positionen für die Organisation tätig war. Gemeinsam mit seiner Frau Peggy Nadramia gelang es ihm, die Church of Satan wieder in ruhigere Gewässer zu steuern und ihre Anhängerschaft kontinuierlich zu vergrößern. Äußerliches Zeichen für den Beginn einer neuen Ära ist auch, dass die Church of Satan ihren Sitz nach New York verlegt hat, nachdem ihr langjähriges Hauptquartier, das Black House, nach rechtlichen Streitereien 2002 abgerissen worden war. Inwieweit eines Tages Nachkommen von LaVey sein Werk fortführen, wird die Zukunft zeigen.
Anlässlich des 80. Geburtstages von Anton LaVey ist in der Edition Esoterick ein Gedenkbuch mit Essays und bisher in deutscher Sprache unveröffentlichten Interviews LaVeys erschienen
Sämtliche Bücher LaVeys in deutscher Übersetzung sind im Index Verlag erschienen, ebenso die gesammelten Essays von Peter H. Gilmore
Anmerkungen
1. vgl.: Zeena LaVey: Anton LaVey: Legend and Reality. (Seite besucht am 09.04.2010).
2. falls nicht anders angemerkt, folgt der Lebenslauf Anton LaVeys folgenden Quellen: Burton H. Wolfe: The Devil’s Avenger. Eine Biographie von Anton Szandor LaVey, Siegburg 2007; Blanche Barton: The Secret Life of a Satanist. The Authorised Biography of Anton LaVey. London 1992; Lars Peter Kronlob: Die Philosophie des Satanismus. Mit einem Vorwort von Oliver Fehn und einem Nachwort von Chris Redstar. Siegburg, 2005, S. 43 – 66.
3. vgl.: Gavin Baddeley: Lucifer Rising. Sin, Devil Worship & Rock ’n Roll. London 1999, S. 83-87.
4. Anton Szandor LaVey: Die Satanische Bibel. Die Satanischen Rituale (Doppelband). Zeltingen-Rachtig 22007 , S.35.
5. Anton Szandor LaVey: Die Satanischen Essays. Des Teufels Notizbuch. Jetzt spricht Satan! Zeltingen _Rachtig 2009. S. 122-127.
6. vgl.: Arthur Lyons: Satan Wants You. The Cult of Devil Worship in America. New York 1989, S. 118.
7. eine ebenso reflektierte wie ausgewogene Untersuchung der Philosophie LaVeys im Besonderen und des Satanismus im Allgemeinen liefert die religionswissenschaftliche Studie: Joachim Schmidt: Satanismus. Mythos und Wirklichkeit. Marburg 2008, hier besonders S. 149-157.
8. vgl. Lyons, S. 119-132.
9. vgl. Baddeley, S. 134-160.
(M.Boss)
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