Ulver, die norwegischen Wölfe im Schafspelz. Ich bin wie viele Mitte der 90s mit dem legendären nordisch folkigen Black Metal-Debüt „Bergtatt“ sozialisiert und wenn man knapp 30 Jahre später auf die Band um Kristoffer Rygg schaut, auf ihre unendlich vielen Häutungen, Extravaganzen, musikalischen Gesichter, würde ich spontan sagen, fällt mir kein Ambivalent ein, welches unter einem Bandnamen so viele Kurswechsel vorgenommen hat. Mit dem großartigen 2017er Album „The Assassination of Julius Caesar“ begann eine komplett neue Dekade der Band, eine Art gefühlte Persiflage, gleichzeitig eine tiefe Verbeugung auf den Pomp-Pop der goldenen Ära des Pop Mitte der 80er Jahre. Bis heute würde ich mir nicht wagen einzuschätzen, mit wieviel Augenzwinkern die Band diesen Kurs inszeniert, performt und mit Leben füllt. Fakt ist, ich liebe die Alben in dieser Stilistik, Rygg hat das perfekte dunkle verführerische Timbre in seinen Vocals, der hypnotische vollmundig elektronisch tanzbare Pop mit dieser Portion Tiefe und Augenmaß klingt nicht eine Sekunde flach, mainstreamig und nur austauschbar poppig. Produktion, Sound und Attitüde gehen in die Tiefe, man spürt jede Sekunde das Augen zwinkern, gleichzeitig die Leidenschaft in diese Ära hinein zu tauchen, ihr den eigenen tieferen Stempel aufzudrücken. Als würde Frankie Goes To Hollywood und Duran Duran mit den dunklen nordischen Vibes ehemaliger Black Metal Musiker einen Tanz wagen. Alles schwingt, groovt, vibriert mit tollen Melodien. Tiefe Synth-Flächen und fast jazzig nordische Anmut (‚Forgive Us‘ mit Unterstützung des bekannten Musikers Nils Peter Molvaer) nebst den wie immer grossartigen Vocals sind mit lässigen Pop-Attitüden aufgeladen, die trotzdem in jeder Sekunde mit dem genau richtigen Maß an subtiler Tiefe den oft manipulativen Hochglanz der dekadenten 80er den dicken Finger zeigt. ‚The Red Light‘ kickt mit dancigen Groove und Loops modern und vollmundig produziert, Rygg traumwandelt spielerisch mit lässigen Melodien durch den urbanen Maelstrom. Die Texte spielen keck auf all die kranken Gut/Böse-Karrikaturen im großen Spiel an, natürlich mit der erhabensten Form an Nonchalance, die möglich ist. Ulver sind definitiv der Wolf im Schafspelz, formen ihre Version von Pop-Musik mit fetter Produktion, Hippen Sound-Allüren und sind in jeder Sekunde ein dickes Fuck Off an alle Möchtegern-Hipster – trotz all der selbst inszenierten Hippen Attitüden. Es bleibt ganz klar ein schelmisches Lächeln im Gesicht der Musiker. Zu Songs wie ‚A City In the Skies‘ möchte man in den unendlichen Tunnel nach Sternen-Nirgendwo abbiegen, niemals zurückkehren und stundenlang durchtanzen. ‚Forgive Us‘ ist entspannter Groove für die nächtliche Fahrt durch den urbanen Dschungel aus ewig grellen Lichtern, die niemals ruhende Stadt, das ewige Gebrabbel und Gemurmel ohne Mehrwert. Feinste elektronische Sounds und fetter Beat zeigen ein klares Verständnis der Musiker für das Hier und Jetzt. Ambiente Nachtfahrten in ‚Locusts‘ und trippiger elektronischer Sound im hypnotischen ‚Hollywood Babylon‘ zelebrieren ein feines Pop-Verständnis. Jede Melodie sitzt, die Stimme Rygg’s ist definitiv dafür wie gemacht. Zusätzliche atmosphärische Räume im Zweiteiler ‚Nocturne#1 und #2″ gemahnen an die guten Zeiten , als epische Übersongs wie ‚Eos‘ einen Zenit definierten, der damals bereits was außerweltliches in sich trug. Im hypnotischen 11-minütigen Ausklang ‚Helian(Trakl)‘ intoniert man die poetischen Lyriks eines Georg Trakl zu Trompeten und monotonen Synths. Ulver sind ohne wenn und aber ihre selbst geschaffene Wahnsinns-Version von synthetischer Pop Musik – nordisch kühl, unberechenbar – mit der Maske aus poetischer Melancholie, Ironie, Zynismus und Gerissenheit – Geile Platte!
(R.Bärs)
Format: CD |
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