Mit Nam-Khar und Vortex legen zwei profilierte deutsche Musikprojekte des Dark Ambient und Ritual eine sehr hörenswerte Kollaboration vor. Beide Projekte haben bereits in der Vergangenheit ihre Vorliebe für Konzeptalben unter Beweis gestellt (Vortex u.a. mit der Vertonung von Stummfilmen), so dass diese Zusammenkunft lediglich eine Frage der Zeit war.
Mit „The Sarajevo Spiral“ bezieht man Stellung zum gegenwärtigen Zeitgeist. Historiker und Politiker weisen vermehrt darauf hin, dass wir uns im Übergang von der Nachkriegszeit in eine Vorkriegszeit befinden. Das Aufflammen kriegerischer Konflikte in Europa und im Nahen Osten, lassen einen Großbrand wahrscheinlicher werden. Diese Stimmung greift das vorliegende Album auf und führt seine Hörer zum Vorabend des 1. Weltkriegs zurück. Die martialen und gleichzeitig meditativen Klänge erscheinen im Kleid von 11 komplexen Kompositionen, die die Zeit zum Beginn des 20. Jahrhunderts eindringlich wiederspiegleln. Nam-Khar und Vortex richten ihre musikalischen Reflektionen dabei auf die These aus, dass wir uns am Abschluss des gleichen Kreises jener Zeit befinden, nur eben ein Jahrhundert später.
Der Einstieg erfolgt über Siegmund Freuds Schrift „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“. Im Stück Para Bellum zitiert Christian Fuchs (Fetish 69, Black Palms Orchestra) u.a. daraus: „Wenn Du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege! (…) Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein!“ (Para Mortem). Sehr deutlich zeigt sich hier schon der Blick in den Abgrund (auch den der menschlichen Psyche). Es folgt das Titelstück, welches sich des Attentats von Sarajevo als spiralen Auslöser des 1. Weltkriegs widmet. Das langsame Ablaufen der Zeit des Friedens ertönt Schlag um Schlag, untermauert mit bedrohlich aus dem Hintergrund anschwellender düsterer Gitarren, die von Oliver Freund (MARS, Vinur) beigesteuert werden. Es schließt sich die Mobilmachung an. Gerade weil die Schüsse auf den Thronfolger und seine Frau nicht zu hören sind, die Soundkulisse aber beibehalten wird, scheint es als hätte das Attentat nichts verändert. Nur der einsetzende militärische Trommelrhythmus signalisiert den Aufbruch in den Krieg. Dieser nahtlose Übergang der beiden Stücke ist ein gut gesetztes Symbol dafür, dass es damals lediglich nur einer kleinen Nuance bedurfte, um endlich das Kanonenfutter auf den Weg zu bringen, welches am Ende des Stückes noch jubelnd zu hören ist.
Jedes Stück auf diesem Album steht stellvertretend für die Schritte, die weiter auf der Spirale in die Katastrophe hinein gegangen wurden. Hier sind u.a. zu nennen das Expansionsstreben der Monarchen, die Dynamisierungen der Aggressionen, das Waffenschmieden (Hammer And Anvil) und schlussendlich die Untermauerung, dass ein und dieselbe Form (des Tötens, Lügens, Kämpfens?) vervielfacht auftreten kann (Materia prima).
Die Musiker bleiben ihrer Verwendung ritualer rein instrumentaler Klänge treu. Diese werden durch martialische Elemente angereichert, die jedoch nicht in eine dominante Rolle gelangen. Das unterscheidet diese Platte deutlich von kriegsträumerischen Alben wie sie bspw. Puissance seinerzeit bei Cold Meat Industries veröffentlichten. Das Album ist in einer streng auf 300 Stück limitierten Auflage auf CD erschienen und beim Label direkt schon vergriffen. Ich hoffe noch auf eine Veröffentlichung als LP, damit das wieder wundervoll von Nadine en Noir gestaltete Artwork – wie auch beim Vortex-Vorgänger „Häxan“ – richtig zur Geltung kommen kann. Aber bei einer Länge von 63 Minuten, wäre dann wohl eine Doppel-LP von Nöten. Also heißt es erstmal schnell sein beim Kauf. (M.W.)
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