MÜDE – Müde (TAPE)

Müde ist eine Band aus Berlin. Sie spielen düsteren Punk, der auf ihrem kürzlich erschienenen Tape ordentlich scheppert. Die ursprüngliche Veröffentlichung ist schon drei, vier Monate her, d.h. war Ende April 2023. Die Auflage von 50 Stück ist sogar schon vergriffen. Um diese Rezension schreiben zu können, also ein Tape von Müde zu bekommen, musste ich dann auch etwas warten. Die Nachfrage war scheinbar größer als gedacht.

Erschienen ist das Tape auf „Lärm & Gestalt“, ein, nach Selbstauskunft: „unabhängiger Verlag mit Schwerpunkt Popkultur“. In der Presseinfo zum Tape von Müde steht: „Unsere erste musikalische Veröffentlichung: Das vier Songs umfassende Demotape von MÜDE! Es ist wunderbar düsterer Deutschpunk, irgendwo zwischen dem spröden und stoischen Hardcore von Chaos Z und den melodischen Tendenzen von EA80, Criminal Code oder den Wipers angesiedelt, mit Texten, die als tröstlicher Begleiter für die allseits gefürchteten Wintermonate (ihrer Heimatstadt) Berlin dienen könnten“.

Ja, da sind sie wieder. Die zwei dem Genre des Düster-Punks entsprechenden Referenzgruppen, die auch ich bisher immer zu Rate gezogen habe, wenn eine Band einsortiert werden musste. Doch stimmt der Vergleich? Taugt er, wenn man bedenkt, dass sich die eine Bezugsband in der Verwaltung des im Nachhinein gewachsenen Kultes übt und spät eine Doppel-LP herausgebracht hat, die mehr nach dem Nachfolgeprojekt klingt als nach dem, was da Kult geworden ist? Und sich die andere mittlerweile auf Konzerten über Raucher in der ersten Reihe im Stile eines ältlichen Morrissey beschwert?

Nun, vielleicht muss das so sein, vielleicht ist das der fortschreitenden Zeit, dem Zeitgeist geschuldet, den Mechanismen des Musik-Marktes, der Veränderlichkeit und Anpassung fordert, dem nachkommt, wer aufregend sein will. In Zeiten der Auflösung des sicher Gedachten, des Einbruchs von Grenzen, die irgendwo anders neu gezogen werden, des Nicht-Aushalten-Könnens von Ambivalenzen, wo es seltsamerweise kein Grau mehr gibt, sondern nur noch ein Weiß oder Schwarz, ein Richtig oder Falsch, die Aufforderung zur Positionierung. Immer im Wissen moralisch im Vorteil zu sein und die eigene Position von anderen konsequent einzufordern, also gemäß dem Einerseits Andererseits, Entweder Oder … Kann es da noch so etwas wie ein Zaudern, Nachdenken, Hin- und Hergerissen-Sein geben? Kann da über Zweifel, Verzweiflung, über Brüche und Widersprüche, Taumel und Schwanken gesungen werden? Und überhaupt, kann die Zuordnung überhaupt noch über ein Genre vorgenommen werden, wenn Spotify-Playlisten nach den Aktivitäten der Hörerschaft, also abseits jeglicher Genrezugehörigkeit sortiert, einspeist und vorgibt? Nun schauen wir uns das bei Müde mal an:

Das erste selbstbenannte Stück klingt wegen des Gesangstils zunächst nach einer Band von Jens Rachut. Auch das musikalisch Energetische dieses und der anderen drei Titel passt da gut ins Bild. Textlich wird andererseits aber auch klar, dass es hier keine politischen Botschaften oder klare Positionierungen gibt, sondern eher Verzweiflung und die Feststellung der Ausweglosigkeit eines Menschen, der den Weg, den er eingeschlagen hat, entweder wohl oder übel bis ans Ende gehen muss, oder an der unabänderlichen Richtung eben verzweifelt und zum Stillstand kommt: „Müde und leer … Viel zu müde, um mich all dem zu entziehn“.

Auch das zweite Stück „Eisnebel“ verfolgt textlich diesen Ansatz. Hier heißt es: „Alles bleibt, wie es ist … Ich fühle nichts, Ich fühle nichts …“. Der dritte Titel „Vergessen“ klingt musikalisch dann nach Fliehende Stürme, also nach einem Stück aus der Frühzeit der Band, als die Beziehung zu Chaos Z noch hör- und spürbar war. Und schließlich haben wir mit „Zwickmühle“ einen Titel, der durchaus ins Bein geht und sogar auf der 7inch, die der EA80-LP „Zweihundertzwei“ von 1990 beilag, hätte gewesen sein können.

Hier kann also durchaus die Nähe zu den Referenzen festgestellt werden. Doch bleibt eine Zuordnung wage. Müde ist schließlich ein Zwischenzustand. Da ist wer nicht mehr ganz da, aber auch noch nicht weg. Da gibt es immerzu auch ein Dahinter, ein Drunter und Drüber, ein Hinaus, und etwas In-sich-Gekehrtes. Kein Entweder Oder, sondern gleichzeitig ein Nein und ein Ja. Im Ganzen ein ambivalentes Bild, auf dem noch nicht absehbar ist, ob die Sonne oder der Stern auf- oder eben untergeht. (awk)

Format: TAPE
Vertrieb: Lärm & Gestalt
 

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