Ryoji Ikeda betreibt seit den frühen 1990er Jahren Zahlenmusik. Anfangs darauf spezialisiert digitale Fehler hörbar zu machen, gilt er neben Oval als Mitbegründer der Glitch-Musik. Daneben arbeitete er auch immer wieder an audiovisuellen Installationen. Koordinaten, Zahlen und Strichcodes überfluten von Videoleinwänden herunter das Sehen all jener, die bei einer seiner Aufführungen, die zur gleichen Zeit auch immer Ausstellungen, Soundskulpturen sind, irgendwann einmal anwesend waren.
Er arbeitete mit Ryūichi Sakamoto und Carsten Nicolai alias Alva Noto, über dessen Label Raster-Noton einige Alben veröffentlicht wurden. Dabei ging und geht er immer über die begrifflichen Grenzen. Wenn wir hier also über die elektronische Musik sprechen, ging es ihm dementsprechend mehr um die mathematischen und physikalischen Qualitäten des Klangs, also nie um die Tanz- und Absehbarkeit dessen, was nach dem Aussetzen des 4-on-the-floor-Basses wohl kommt. Dabei beschränkt er sich wie alle DJs lediglich auf die Bass-Drum, die Snare und das High-Hat. Diese sind nur eben nicht einem entsprechenden Instrument, der Drum-Machine oder dem Synthesizer zugeordnet, sondern Impulsen, Sinuswellen, Störgeräuschen usw. Ähnlich dem Clicks & Cuts, das sich in Deutschland seit Anfang der 1990er entwickelte, wurde Glitch zu Begriff und Methode. Deutlich in seiner Verwendung. So brachten Autechre 1994 ihren Titel Glitch und Coil 1995 ihr Album Worship the Glitch heraus.
Ikedas aktuelles Album heißt Ultrasonics und folgt diesem Ansatz. Vielleicht ein wenig inkonsequent, ja vielleicht sogar altersmilde, lässt Ikeda hier und da den Ansatz des Melodiösen durchscheinen. Nicht, dass er nun Populärmusik macht, das nicht, nein. Hier heißt es noch immer: schockierend geradlinig und aufs Wesentliche reduziert. Allerdings mit Momenten der Kurzweil. Und das ist, wenn man Ikeda kennt, ja auch schon irgendwie schockierend. Ebenfalls schockierend ist, dass er sich hier nicht mehr nur der Datengrundlage, sondern auch ein wenig der Leichtigkeit, dem Spaß und der Freude, also gewissermaßen dem Gefühl widmet. Zumindest ist er auf Ultrasonics, das im Übrigen im Dezember 2022 erschien, nicht so unerbittlich wie auf den Alben davor. (Denken wir nur an 0°C.) Außerdem lässt er zu, dass so etwas wie Songstrukturen innerhalb eines Titels aufleuchten. Die von ihm ausgelegten Fäden finden nicht erst am Ende des Albums zu so etwas wie einem Bild zusammen sondern bereits in einem einzigen Stück. So könnte nun behauptet werden, dass dies das eingängigste Album Ikedas sei. Was stimmen könnte, wenn wir ihn an seiner eigenen Ästhetik messen. Im Vergleich zu etwas anderem ist das hier allerdings noch etwa drei Welten von dieser entfernt. (awk)
Format: CD / DL |
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