Jerome Reuters Kreativität scheint eine nicht versiegende Quelle zu sein. Seit 2019 erscheinen pro Jahr zwei Alben von seinem Projekt ROME und auch live ist er viel unterwegs. Im letzten Monat standen sogar zusammen mit „Die Weisse Rose“ Konzerte in Lwiw und Kiew an. Auf einem der Konzerte der letzten Tour kaufte ich umgehend sein neuestes Werk, da mich die neuen Stücke an dem Abend überzeugen konnten.Der Anfang klingt vielversprechend. „A Slaughter Of Crows“ eröffnet im martialischen Stil, wie man es von ROME kennt und liebt. Das taktgebende Keyboard hat einen starken 1980er Klang aber es passt ganz wunderbar zu den Samples jubelnder Massen und lässt dann durch den steigernden Übergang zu Orgelklängen dieses Intro eine höhere Dramatik entfalten.
Mit „No Second Troy“ folgt eine simple Pop-Nummer, die mich leicht irritiert (Dass sie im Vorfeld schon als Single rauskam, ging an mir vorüber.). Auf dem Konzert fügte sich der Song stilistisch ganz wunderbar in die Setlist, die auch üppig mit älteren Liedern bestückt war, ein. Hier auf dem Album ist der Drumcomputer mir dann doch zu sehr Dancefloor und beliebig. Mir kamen dann recht schnell die B-Seiten der beiden Singles in den Sinn, die Jerome mit Eugen Balanskat von den Skeptikern gemacht hat. Hier hatte ich schon ähnliche Gedanken.
Mit „Icarus Rex“ fängt mich Herr Reuter wieder ein. Das Stück beginnt aufbäumend stampfend, untermauert mit bedrohlichem Sprechgesang. Ein Stück wie man es von den Alben kennt, die noch bei Cold Meat Industries erschienen sind. Aber schon danach kommt mit „Surely Ash“ schon wieder ein poppiger Drumbeat, der immerhin bei den Strophen stimmlich überzeugen kann aber beim Refrain denke ich nur noch an Synthie-Pop a la Camouflage. Das habe ich auf einem ROME-Album so nicht erwartet. Es folgt ein weiteres Intermezzo zum Mountain Malamatiyah, welches keine zwei Minuten dauert aber dann mein persönliches Highlight dieses Albums einleitet: „Walking The Atlal“. Ein wunderbares Lied in dem alles stimmt. Sehr minimalistisch instrumentiert, gesanglich überzeugend und textlich großartig komponiert. Mit einem markanten Takt versehen, bleibt es einem lange im Ohr. Hier erleben wir ROME at it’s best!
„Hearts Mend“ bemüht wieder die Keyboards und geht ähnliche Wege wie „No Second Troy“ und „Surely Ash“. Die zweite Vorab-Single „Solar Ceasar“ erklingt im Anschluss und geht eher in rockige Gefilde. Dabei werden aber Elemente des 80er-Jahre Pops und auch folkige Ansätze ziemlich professionell unter einen Hut gebracht. Das hätte ich mir bei den anderen Pop-Nummern auch so gewünscht. Das nun folgende Intermezzo „Stone Of Light / Mer De Glace“ bildet die Ebene über die der Hörer zum abschließenden Lied des Albums gelangt. Dabei darf er Jerome zuhören, wie er quasi das beschreibt, was Matthias Löwenstein mit seinem wirklich sehr gelungenem und stimmigen Artwork für dieses Album verbildlicht hat. „Here, where there is only the sky and the pure, free winds/ In the calm power of the light that shines over icy peaks…“. Begleitet wird er dabei von einem Klangteppich, der einen wünschen lässt, jetzt genau dort mit Köpfhörern und diesen Klängen auf dem Schelfeis zu stehen. Auch ist das letzte Lied, „New Flags“, ein weiterer Höhepunkt dieser Platte und zeigt klar das Talent Jerome Reuters sehr intensive Texte in wundervolle Melodien und Arrangements zu kleiden.
Klagtechnisch ist es eine saubere Produktion und auch die Texte sind nach wie vor originell und vielschichtig. Die neuen Wege, die Jerome Reuter hier einschlägt, werden viele alte Jünger nachdenklich stimmen und zaudern lassen. Fraglos und berechtigt werden sie aber auch neue Hörer finden. Ich hoffe auf eine Veröffentlichung der Stücke, die Jerome Reuter in Bezug auf das Desaster in der Ukraine geschrieben hat. Lieder wie „The Ballad Of Mariupol“ oder „Going Back To Kyiv” gehen unter die Haut und waren live zumindest klassisches ROME-Repertoire. (MW)
Format: CD / LP |