Sascha Lange & Dennis Burmeister: Our Darkness – Gruftis und Waver in der DDR (Buch)

Dieses Buch war verdammt noch mal längst überfällig! 33 Jahre nach dem Mauerfall schien alles aufgearbeitet, was seinerzeit in der DDR als Subkultur passierte und über den Ostrock ja sowieso. Filme, Dokus und Bücher über die „Blueser“, „Heavys“, „akrobatische Volkstänzer“ (Breakdancer), Skater, DEPECHE MODE-Fans, Schwulen-Szene und allen voran die Punks gibt es inzwischen genügend, aber dabei kamen bis jetzt die sogenannten „Gruftis“ höchstens nur am Rande vor. Sascha Lange und Dennis Burmeister haben sich daher endlich diesem dunklen Thema angenommen und mit „Our Darkness“ gleich ein bleibendes Standard-Werk darüber abgeliefert! Als Einstieg in das Buch, dessen Titel bewusst nach dem „Hit“ von Anne Clark benannt ist, gibt es einen kurz-kompakten Überblick auf die Wurzeln der „schwarzen Szene“ und seine Austriebe. Vom Post Punk über New Wave hin zum Gothic Rock werden die wichtigsten (meist englischen) Protagonisten vorgestellt, was natürlich auf THE CURE, BAUHAUS, THE SISTERS OF MERCY und SIOUXSIE & THE BANSHEES hinausläuft. Beim zweiten Kapitel sind wir dann schon mitten drin in der grauen Alltagswelt des real existierenden Sozialismus und zwischen FDJ, NVA, Jugend-Tanz, Anderssein, geschmuggelten BRAVOs und West-Radio & -TV. Durch letztere West-Medien schwappten hauptsächlich THE CURE mit ihrem auffallenden Frontmann Robert Smith auch in die ostdeutschen Kinderzimmer und so war diese Band ein Türöffner, durch welche dann schnell weitere Indikatoren strömten. Spätestens 1986 wurde die Grufti-Szene immer größer, man schloss sich zusammen und vermischte sich in den Diskos & Jugendclubs mit Punks, Wavern und Poppern. Es wurden Kassetten kopierte und getauscht, einfallsreich das Outfit selbst gestaltet, traf sich an bestimmten Orten, welche zu Szenetreffs wurden (z.B. Berlin Alexanderplatz) und ging auch ab 1987 zu Konzerten von „die anderen Bands“. Dies war vor allem durch die Öffnung des Jugendrundfunks der DDR namens DT64 möglich, die spätabends plötzlich Spezial-Sendungen wie das „Parocktikum“ anboten, wo schräge Musik über den Äther lief, von der man im bundesdeutschen Nachbarland nur so träumen könnte. Deshalb kam man ohne Scheuklappen-Begrenzung mit einem verrückten Mix aus JOY DIVISION, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, Phillip Boa, SWANS, Nick Cave, THE FALL, DEAD KENNEDYS usw. in Berührung, den man genötigt aus dem Mangel heraus völlig vorurteilsfrei in sich auf sog und als ganz normal empfand. Dieser auf einer Art doch sehr isolierten kulturellen Sozialisation verdanke auch ich meinen letztendlich sehr breiten Musikhorizont, der sonst mit seinen Genregrenzen im Westen zu jener Zeit kaum möglich gewesen wäre. All diese Aspekte werden im Mittelteil von „Our Darkness“ ausführlich beleuchtet und man erfährt weiterhin interessantes über das Lebensgefühl, Frisuren, die Mode und ja, auch über Drogen, aber da möchte ich hier nicht zu viel verraten! Wichtige und ernste Themen sind natürlich auch die Beobachtung und Verfolgung durch den Staat, wie gegen Ende der 80er Jahre die immer mehr zunehmende Gewalt durch Skinheads und Faschos, welche insbesondere die Gruftis hart traf. Ein zentraler Teil des Buches sind dazu die O-Töne von ehemaligen Szene-Veteranen und das umfangreiche Bildmaterial, was man bis jetzt in dieser geballten Form noch nie gesehen hat. Das Buch endet dann mit den beiden legendären THE CURE-Konzert in Leipzig und Dresden kurz nach der Wende, wo für viele Gruftis ein eigentlich unerreichbarer Traum letztendlich in Erfüllung ging. Auch hierzu gibt es sensationelles Fotomaterial und bisher unbekannte Hintergrundinformationen! Zum Schluss wirft „Our Darkness“ noch einen kurzen Blick auf das Danach und der neu entstehenden schwarzen Szene im vereinten Deutschland, wobei das Buch passend mit dem ersten WGT 1992 in Leipzig abschließt. „Our Darkness“ bietet 230 Seiten voller höchst interessanter Informationen, Anekdoten und Fotos, die einen wissenswerten wie spannenden und bisher nie stattgefundenen Einblick in die ostdeutsche Grufti-Szene geben. Deshalb sind die aufgerufenen 30 Euro für den doch recht schwer in der Hand liegenden Paperback-Band auch überaus gerechtfertigt. Ganz große Empfehlung für alle, die damals dabei waren oder noch immer sind und auch die, welche erst später dazu kamen bzw. gerade neu in der immer noch lebendigen Szene hinzukommen!

PS: Als dann Anfang der 90er mit DAS ICH, GOETHES ERBEN, PROJECT PITCHFORK, DEINE LAKAIEN und LACRIMOSA eine neue schwarze Welle in Deutschland losgetreten wurde, empfand ich das persönlich irgendwie nicht echt und gut. Zum Glück tangierte mich das zu jener Zeit auch nicht mehr, da ich längst zu neuen musikalischen Ufern & Inseln unterwegs war und das habe ich wohl auch meiner Erziehung durch das „Parocktikum“ in der DDR zu verdanken. Das Fansein für THE CURE ist jedoch mit einer Pause in den 90ern geblieben und wie das halt so ist, mit der ersten großen Liebe… (Marco Fiebag)

Format: Buch
Vertrieb: Ventil Verlag
 

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