Seit einiger Zeit rollt bei Mute Records unerbittlich die Wiederveröffentlichungsoffensive und jetzt ist dabei RECOIL an der Reihe. Das Solo-Projekt von Alan Wilder (Ex-DEPECHE MODE) ist es allemal wert, wieder ordentlich ins Gedächtnis gerufen zu werden, vor allem dann, wenn man sich vor Augen und Ohren hält, was seine ehemaligen Kollegen denn seit seinem Ausstieg 1995 zu Stande gebracht haben! Klar füllen DEPECHE MODE weltweit immer noch die Arenen, weshalb das verbliebene Trio ihre seit dem erschienenen Alben nur als Alibi nutzt, um auf lukrative Tour gehen zu können. Bester Beweis gerade die aktuelle Situation nach dem überraschenden Tod von Andrew Fletcher, wo ein Ende der Band moralisch mehr als angemessen gewesen wäre. Aber nein, die Gelddruckmaschine muss weiter laufen und plötzlich war Fletch für den musikalischen Anteil bei DEPECHE MODE seit Jahrzehnten gar nicht mehr relevant. Wobei man die Rollen von Dave Gahan und Martin Gore endlich auch mal kritisch betrachten sollte, denn ohne die ordnende Hand eines Produzenten würde es gar kein DEPECHE MODE-Album mehr geben! Bester Beweis die jeweiligen Solo-Projekte der beiden, welche nicht mal unter „ferner liefen“ laufen würden, wenn da nicht der übergroße DM-Schatten wäre. Sind es denn nicht ausschließlich die Alben bzw. Songs von DEPECHE MODE, an denen Alan Wilder beteiligt war, welche die Fans zu Hause hören und bei den Konzerten bejubeln?! Kaum einer bis gar kein Song der jeweils aktuellen Alben seit 1996 schaffte es bisher eine Tour weiter und selbst wenn die Fans immer noch brav jedes neue Album kaufen, verstauben diese definitiv bei 99% von ihnen im Schrank. Zwischen 1983 und 1993 war Alan Wilder der Mann bei DEPECHE MODE, welcher für die Samples, Feinheiten, Frickelei und Atmosphären zuständig war, ohne welche Alben wie „Construction Time Again“ oder „Black Celebration“ nicht das wären, was sie heute sind – musikalische Meilensteine! Natürlich waren DEPECHE MODE am Ende nur die Summe ihrer Teile und auch RECOIL war nicht wirklich kommerziell erfolgreich, aber im Vergleich mit „Paper Monster“ oder „Counterfeit“ musikalisch gesehen deutlich weiter vorn! Die Wiederveröffentlichungsreihe von RECOIL beginnt jetzt aber nicht von vorn, sondern startet quasi in der Mitte beim „Unsound Methods“-Album aus dem Jahre 1997. Die Vorgänger „1+2“, „Hydrology“ und „Bloodline“ erschienen ja noch zu Zeiten seiner Mitgliedschaft bei DEPECHE MODE und „Unsound Methods“ war deshalb sein richtiger Start als Solo-Künstler. Ich persönlich empfinde dieses Album bis heute immer noch als sein Meisterwerk! Die insgesamt 9 Tracks sind ein atmosphärisch dichter fiebrig finsterer Trip Hop-Albtraum, der trotzdem noch Songcharakter hat. Einen nicht wesentlich kleinen Anteil daran haben die verschiedenen Gaststimmen von Douglas McCarthy (NITZER EBB), Hepzibah Sessa (MIRANDA SEX GARDEN), Siobhan Lunch, Maggie Estep, Thomas A. Dorsey und Hildia Campbell (VOICES WHITE SOUL), die dem Album Tiefe und eine abwechslungsreiche Schattierung geben. Zum Beispiel klang Douglas McCarthy nie dämonischer, als auf dem Opener „Incubus“ und schließlich ließ Alan Wilder als Produzent schon das 4. Album von NITZER EBB bzw. „Ebbhead“ als deren musikalisch am breitesten aufgestelltes glänzen.
Das 2000 folgende „Liquid“ wandelte dann ebenfalls auf diesem düsteren trippigen Pfad und ging Bezug auf Dichte & Atmosphäre aber noch einen Schritt weiter in Richtung Herz der Finsternis. Die unterstützenden Stimmen kamen diesmal von Nicole Blackman, Diamanda Galas, Samantha Coerbell, Rosa M Torras, Reto Bühler und dem THE GOLDEN GATE JUBILEE QUARTET. Auf diesem Album war auch ein letztes Mal seine Frau Hepzibah im Background zu hören, die sich 2010 von Alan Wilder scheiden ließ.
Sieben Jahre später nach „Liquid“ begab sich Alan Wilder dann in Richtung Südstaaten von Amerika und wartete mit einem harten Stilbruch auf. Zwar verwendete er schon seit seinem „Bloodline“-Album diverse alte Soul-, Gospel- und Blues-Samples in seinem umfangreichen Soundkosmos, aber auf „subHuman“ war die Stimme, Steel Guitar und Mundharmonika des amerikanischen Blues-Musikers Joe Richardson doch schon sehr dominant. Jener stammte aus der Gegend von Louisiana am Mississippi und sein knorrig-brüchiges Organ gibt dem Album mit seinen 7 recht langen und alle ineinander gehenden Stücken diese gewisse fiebrig-schwülen Fluss-Delta-Sumpf-Stimmung. Dies war dann ironischerweise einem Muddy Waters oder Blind Lemon Jefferson näher, als das gewollt, aber nicht gekonnte „Delta Machine“ von DEPECHE MODE. Allerdings sollte „subHuman“ auch nicht so richtig bei den Fans punkten und kommerziell schon mal gar nicht, obwohl MOBY oder Gil Scott-Heron mit ähnlichen Werken wesentlich mehr Erfolg hatten.
Wenn man mal von der „Selected“-Compilation und einer kleinen Tour 2010 dazu absieht, ist es seit dem sehr ruhig um Alan Wilder geworden. Zwar gibt es seit dem immer wieder Gerüchte über einen Wiedereinstieg bei DEPECHE MODE, was natürlich sehr schön wäre, jedoch eher unwahrscheinlich ist. Der Tod von Andrew Fletcher hätte dazu einen guten Anlass gegeben, den das inzwischen sehr tuntig-gockelhaft wirkende Rest-DM-Duo aber leider nicht nutzte. Statt dessen verbot man sich im Vorfeld zur aktuellen Pressekonferenz zum kommenden „Memento Mori“-Album sogar Fragen zu diesem Thema. Deshalb ist die aktuelle Wiederveröffentlichung-Kampange von Mute Recods eine gute Gelegenheit, sich die Genialität von Alan Wilder und Einzigartigkeit von RECOIL noch einmal vor Augen bzw. in die Ohren zu führen. Alle drei Alben erfahren jetzt (neben den regulären CD-Ausgaben) endlich wieder neue Vinyl-Auflagen, da die damaligen Erstausgaben recht selten sind und seit Jahren nur zu Höchstpreisen gehandelt werden. Dazu wurden diese durch Alan Wilder neu gemastert, dezent überarbeitet und natürlich in verschiedenfarbigen Vinyls gepresst. Derzeit ist man gerade am Remastering der anderen drei noch ausstehenden Alben, die bald in Neuauflage folgen werden, aber danach wäre was richtig Neues von RECOIL schon mal wieder wünschenswert. (Marco Fiebag)
Format: 2LP/CD |
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