Treue um Treue/Reue um Treue – ein Labelportrait
Hinter dem inzwischen sich fest etablierten Label T(R)eue um T(R)eue stehen unter anderem das Duo Sofia und Lazslo von WERMUT, die nicht nur mit ihrer Musik, sondern eben auch durch ihrer Verlagsarbeit für frischen Wind in der Minimal-Electro-Wave-Szene gesorgt haben. Beide standen mir im folgenden Labelportrait Rede und Antwort, welches hoffentlich zur weiteren Popularität dessen beitragen wird.
? Was war der ausschlaggebende Punkt für die Gründung von Treue um Treue/Reue um Reue, wo doch mit Gigabrothers schon eine Veröffentlichungsplattform von Euch bestand?
Zum einen ist Gigabrother nicht allein unser Projekt (und unserer Erkenntnis nach nicht mehr wirklich aktiv), zum anderen ist der Ansatz beider Plattformen ein ganz anderer: Bei Gigabrother ging es hauptsächlich darum, eine autonome in sich gekehrte Parallelwelt auf dem Internet zu erschaffen, in welcher die Musik nur ein Bruchteil darstellte. T(R)eue um T(R)eue dagegen ist ein nach außen offenes Musiklabel, dessen eigentliche Berufung darin besteht, gute Musik auf angebrachten Trägern, und vor allem auf gutem altem Vinyl zu veröffentlichen.
? Gibt es bei Euch so etwas wie eine Labelphilosophie?
So würden wir es nicht nennen. Was uns bewegt die eine oder andere Schallplatte herauszubringen, kann man nicht als Philosophie bezeichnen, da es vielmehr vom Herzen als vom Verstand ausgeht. Sicher ist jedoch, daß wir mit unserem Label, als auch mit unseren anderen musikalischen Aktivitäten, Dinge zu äußern versuchen, welche uns wichtig erscheinen. Jede Veröffentlichung ist ein Moment intensiver Hingabe unsererseits und die daraus resultierende Schallplatte trägt in gewissem Maße das Siegel unserer Vorlieben und sogar unserer metaphysischen Anschauung, die fern von jeder philosophischen Spekulation liegt. Was die Musik betrifft, mischen wir uns in der Regel wenig ein. Bei der Trägerwahl, sowie beim Format und bei der Gestaltung aber, ist das anders. Uns ist es wichtig, daß das Äußere in jeder Hinsicht das Innere widerspiegelt, damit beide eine Einheit bilden und daß jede Veröffentlichung eine Thematik oder Symbolik mit sich bringt, welche das Werk über den reinen musikalischen Aspekt erhebt. Oft verrät die Gestaltung unsere Interpretation des Werkes, sie spiegelt also das wider, was wir in der Musik sehen und warum sie uns bewegt. Falls Du nun aber mit Philosophie Richtlinien meinst, dann gibt es derer drei: 1. Die Musik muß uns beide 200-prozentig überzeugen, 2. Wir veröffentlichen, was wir wollen, ohne Kompromisse jeglicher Art zu machen und 3. Qualität thront über Quantität.
? Warum eigentlich noch einmal die Labelunterteilung in Treue um Treue bzw. Reue um Reue – wo sind da die Unterschiede?
Die Unterteilung ist rein stilistischer Art: Treue um Treue ist ein Label für eher tanzbare, achtziger Jahre orientierte elektronische Musik (wie Minimal Electro und Angst Pop). Es erscheint dort auch gelegentlich Material aus den vergangenen Jahrzehnten, das noch nicht oder nur auf Tape veröffentlicht wurde. Reue um Reue hingegen wurde ins Leben gerufen, um jene Musikarten zu beherbergen, die den recht strikten Rahmen des Schwesterlabels sprengen und öfters kontemplativer, düsterer oder krachiger ausfallen (sprich Ambient, Post-Industrial und Experimentelles). Innerhalb dieser letztendlich ziemlich subjektiven Grenzen gönnen wir uns jedoch ein gewisses Maß an Narrenfreiheit.
? Welche Kriterien müssen die Bands und Künstler erfüllen, um bei Euch veröffentlicht zu werden?
Kriterien, welche man in Worte fassen könnte gibt es nicht, auch haben wir uns in dieser Hinsicht nie Gedanken gemacht. Es ist natürlich eine Frage der Musikrichtung und der Angehensweise, oder eben auch, ob der Funke zwischen uns und dem Künstler überspringt. Da uns die beiden Label sehr am Herzen liegen, versuchen wir so oft es geht, Menschen, die wir kennen und schätzen, einzubeziehen, aber es kam auch auf dem üblichen Wege der im Briefkasten gelandeten Demo zu Veröffentlichungen. Bei den zwei spezifischen Fällen NATURE MORTE und NIEDOWIERZANIE (demnächst auf Reue um Reue) kam es da schon, beim zweisamen Lauschen einer solchen Demo, zu jenen magischen Momenten, wo man am Glanz in den Augen des anderen weiß, daß dies eine zukünftige Referenz unseres Labels sein wird.
? Die Limitierung Eurer Tonträger variiert immer etwas, liegt aber meist unter 500 Stück – nach welchen Gesichtspunkten wird das jedes Mal neu bestimmt?
Entweder es bestimmt der Markt… oder kabbalistische Eingebungen.
? Ihr veröffentlicht zum größten Teil auf Vinyl – warum die Entscheidung hin zum wertigeren, aber auch kostenintensiveren Tonträger?
Wir haben nun mal eine Vorliebe für den analogen Tonträger, auch wenn, oder gerade weil die Stunde des Digitalwahns geschlagen hat. Mit dem Aufkommen der CD und dem daraus folgenden Schritt, das MP3, wird die Musik immer mehr zu einem reinen Massenkonsumprodukt, zu einer schnellen Einwegware. Dem entgegen, bemühen wir uns den Träger und das Getragene zu einer stimmigen Einheit zu vermengen und die Musik in die Form zu geben, welche ihr den letzten Feinschliff verleiht. Ein guter Koch wird auch nie auf die Idee kommen, seine Speisen in billigen McDonalds-Schachteln anzubieten… In eben dieser Hinsicht scheint Vinyl als Musikträger am besten geeignet, sei es für das besondere Gefühl, das dazugehörige Ritual und, auch wenn es die Digitalpropaganda nicht wahr haben will, die weitaus längere Lebenserwartung. Die damit verbundenen höheren Kosten sind eine Nebenwirkung, auf die wir keinen Einfluß haben.
? Könnt Ihr ungefähr einschätzen, welchen Kundenkreis Euer Label bedient bzw. wie der typische Treue um Treue/Reue um Reue-Hörer zu charakterisieren ist?
Dies ist eine schwierige Frage, da man sich über das Medium des Internets nicht wirklich ein Bild vom Gegenüber machen kann. Eines ist jedoch gewiß: die Hörerschaften von Treue um Treue und von Reue um Reue überschneiden sich nicht unbedingt. Und die Interessierten, welche wir außerhalb der virtuellen Welt getroffen haben oder mit denen wir in engeren Kontakt stehen, sind von einem zum anderen Fall ganz verschiedene Menschen. Es verbindet sie aber eine immer seltener werdende Fähigkeit zur Begeisterung und die Tatsache, daß sie sich für ihre Lieblingsmusik mit Körper und Seele einsetzen.
? Seid Ihr privat selbst Sammler bzw. sammelt Ihr direkt ein Label komplett und wenn ja, warum?
Wir glauben nicht, daß man uns als Sammler bezeichnen könnte, da unsere Diskothek recht übersichtlich ist. Es gibt auch kein Label von welchem wir alles haben, weil wir uns in den meisten Fällen eher auf die Künstler konzentrieren.
? Wieviel Zeit pro Tag investiert Ihr in das Label und den angeschlossenen Mailorder?
Das Label ist dermaßen ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden, daß man so etwas nicht mehr beziffern kann. Über die eigentlichen Label- und Mailorderaktivitäten hinaus, was schon eine Menge Arbeit darstellt, werden ständig neue Ideen geboren und besprochen, Konzepte entwickelt, verworfen oder verfeinert, es wird Rat gehalten mit den Künstlern, über Gestaltungsmöglichkeiten gegrübelt… Ob beim Frühstück oder während eines Spaziergangs, im Auto, im Zug oder gar bei der Arbeit, es gibt kaum noch Momente am Tag, die nicht dem Label dargebracht werden.
? Welche bekannte Band oder Künstler würdet Ihr bei unbegrenztem Budget gerne für Euer Label verpflichten?
Keine, weil es nicht darum geht, bekannte Künstler ins Netz zu bekommen. Ein unbegrenztes Budget würden wir viel eher dazu nutzen, um noch mehr unbekannte Bands zu veröffentlichen!
? Wer ist eigentlich auf die geniale Idee der Compilation „Todesblei salonfähig gemacht“ gekommen, wo Minimal-Bands Heavy Metal-Songs covern?
Wir wissen nicht mehr ganz genau, wie es zu dieser Idee kam, da diese fast schon älter ist als das Label selbst. Es fing wohl alles damit an, als DIE KRUPPS in den frühen Neunzigern METALLICA coverten und endete damit, daß wir vor ein paar Jahren feststellen mußten, daß sämtliche Leute der sogenannten Post-Industrial Szene wie wir selbst früher einmal Grindcore, Death- oder Blackmetal gehört haben. Als wir dann M. von Enfant Terrible unser Vorhaben geschildert hatten, kramte dieser aus seiner Sammlung ein Minimal Electro Tribute an IRON MAIDEN hervor und dies gab uns den letzten Ruck um befreundete Künstler für unser Projekt zu gewinnen. Dazu muß erwähnt werden, daß zwei von ihnen (A2 und HIS DIVINE GRACE) nie Metal gehört haben (was man beim Hören der jeweiligen Stücke kaum glauben mag). Die anderen waren wohl alle mal kopfschüttelnde Mosher! Solche grenzüberschreitenden Musikabenteuer fanden wir schon immer spannend, und es werden auch mehr solcher Compilations auf T(R)eue um T(R)eue in Zukunft erscheinen. Für Anfang 2008 zum Beispiel planen wir ein Jubiläums-Tribute-Sampler für die 20 Jahre des Acid/New Beat Genres. Diesmal sind es keine Coverversionen, sondern neue Stücke im Duktus der damaligen Zeit, produziert von Projekten der heutigen Industrial/Minimal Szene. Natürlich wieder in stilgerechter Gestaltung…
? Mit Getreu Allezeit gibt es bei Euch ein weiteres Unterlabel, auf dem DVDs erscheinen – was gibt es da zu berichten bzw. was ist dort für die Zukunft geplant?
Als nächstes sind die Veröffentlichungen des ICH WOLLTE, ICH KÖNNTE-Films „A Day At The Office“, welcher im Hintergrund des Jenaer Konzerts von 2005 lief und des WERMUT-Films, der auf dem Punch-Festival gezeigt wurde geplant. Darauf erscheint (so hoffen wir zumindest) eine monomediale Fassung der Video-Performance von HIS DIVINE GRACE in Amersfoort. Zusätzlich ist die „Endzeit“ DVD-R von PROGRESS RECONSTRUCTION, ein Hamburger Alte-Schule-Industrial Musiker (erscheint demnächst ebenfalls auf Reue um Reue) auch schon in Arbeit.
? Von Euren bisher 13 limitierten Veröffentlichungen sind gerade mal 3,5 ausverkauft – kann man da eigentlich von einem gut gehenden Betrieb sprechen?
Rein wirtschaftlich gesehen, kann man in der Tat nicht von einem gut laufenden Betrieb sprechen, da wir keinen Profit machen. Aber das ist und war nie der eigentliche Sinn des Labels. Die Hauptsache ist, daß die Einahmen einer Platte die darauf folgende möglich machen und das läuft bis jetzt ganz gut. Obendrein haben wir von den meisten Veröffentlichungen nur noch an die 50 Stück auf Lager, von einigen sogar nur noch 10. Für ein junges Label, das weder eingängige noch berühmte Musik veröffentlicht, ist das schon gar nicht so schlecht…
? Was sind Eure weiteren Veröffentlichungspläne für die nächste Zeit?
Vorm Ende des Sommers erscheint auf Treue um Treue die neue DR. C. STEIN „Liège In The Spring“, die wie ihr Vorgänger „Echo Trip“ alte Aufnahmen aus den 80ern enthält. Wenn alles gut geht dürften auch die „Zwergenlieder“ der GNOSTIC GNOMES (die laut sämtlichen Gerüchten, keine anderen sind als Jürgen Weber, Frl. Tost, Laszlo PS und Sofia ER) noch rechtzeitig für Weihnachten auf Reue um Reue erscheinen. Für 2008 ist schon recht viel geplant, unter anderen, das oben erwähnte Acid/New Beat-Tribute, das neue Album vom deutschen Minimal-Electro Projekt A2, sowie die erste Langspielplatte von AD ABSURDUM, und im Ambient Bereich einen ganz neuen Namen, das südfranzösische Projekt NIEDOWIRZANIE.
? Bei T(R)reue um T(R)reue verwaltet Ihr doch aber den Nachlaß von Gigabrothers und da kommt doch immer wieder was Neues dazu bzw. scheint noch Nachfrage zu bestehen oder?
Was auf Gigabrosaurus erscheint sind eigentlich nur Wiederveröffentlichungen. Recht häufig werden wir gefragt, ob wir nicht diese oder jene damalige Gigabrother Veröffentlichung neu auflegen wollen. Demnach werden wir auch weiterhin Gigabrosaurus betreiben und den größten Teil des Gesamtkatalogs von Gigabrother (insgesamt an die 180 Titel!) nach und nach abarbeiten, selbst wenn wir vor dieser uns selbst auferlegten Mission und der uns bevorstehenden Arbeit verzweifeln…
? Wenn ich gerade die Gelegenheit habe, Euch als die Personen hinter dem Label und gleichzeitig von WERMUT zu interviewen, sei die Frage nach der Band bzw. deren zukünftigen Plänen gestattet, da die offizielle Homepage seit langer Zeit nicht mehr aktualisiert wurde?
Im Moment arbeiten wir an einem neuen Album, zu dem man noch nichts Genaues verraten kann bzw. darf…
? Ich danke Sofia und Laszlo für dieses Interview und wünsche für die Zukunft alles Gute und weiterhin viel Elan für neue bzw. spannende Projekte auf T(R)reue um T(R)eue.
(M.Fiebag)
Discografie
Treue um Treue:
001 WERMUT „Hoffnung“ (10“)
002 DE FRONTANEL „Grotesque“ (10“)
003 V.A. „Todesblei salonfähig gemacht“ (LP)
004 DR. C. STEIN „Echo Trip“ (LP)
005 ICH WOLLTE, ICH KÖNNTE “In Memoriam” (LP)
006 ECHO WEST „Kreuze“ (2×10“)
007 FIENDISH FIP/WERMUT „The Nervous Split“ (10”)
008 DR. C. STEIN „Liege In The Spring“ (10“)
Reue um Reue:
001 NOVY SVET/HIS DIVINE GRACE „Nachtfang“ (10“)
002 KOSTNICE “Finsterfelden” (LP)
003 HIS DIVINE GRACE „Le Grand Secret“ (CD)
004 UNIDAD SASAO “The Skin I’m In” (LP)
005 SUN EATERS “Cosmic Inside, Baby (Part I)” (10”)
006 NATURE MORTE “Recluse” (CD)
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