Endlich gibt es wieder eine neues Album der beiden Italienerinnen, die mich bereits mit ihren beiden Vorgängeralben begeistern konnten. Diese liegen in der Zeit aber schon etwas zurück, erschien „Slanting Ray“ doch bereits 2014 und „Human Taxomony“ zwei Jahre später. Nun also nach 6 Jahren mit „Disgelo“ ein neues Lebenszeichen und aus meiner Sicht, das nehme ich gern vorweg, das bisher klanglich und melodisch beste.Simona Ferrucci als Sängerin und treibende Kraft des Duos hat hier gesanglich eine neue Klasse erreicht, die mich begeistert. Ihr Gesang erinnert sehr oft an Nico oder an Emilia Lo Jacono, die bis 2001 bei Kirlian Camera am Mikro stand. Also ein tiefer angelegter Frauengesang, der sich sehr gut in die, mit Ausnahme einiger Gitarrenspuren, ausschließlich elektrischen Klänge einfügt. Seit 2012 musiziert Simona zusammen mit Alessandra Romeo, die für die Synths verantwortlich zeichnet und gemeinsam haben sie auf unzähligen Konzerten auf sich aufmerksam machen und das Publikum überzeugen können.
Schon das Artwork der Platte mit zerbrochenen Eisschollen als Motiv eignet sich ganz wunderbar als Überschrift für das was man hier zu hören bekommt. Kalten Synthie-Pop, der die Zerbrechlichkeit in vielen Fassetten aufgreift und klanglich aber auch Elektrogefilde erreicht, die mit Stärke aufwarten und zeigen dass noch nicht alles Eis verschwinden kann.
Die kalte Reise eröffnet „Solar Circle“. Ein Loblied auf die Sonne, doch Wärme sucht man hier vergebens. Eine Gesangsstimme irgendwo zwischen Siouxsie Sioux und Nico, dazu Elektrobeats wie man sie im Synthie Pop von Anne Clark oder Soft Cell kennt. Nur sind sie hier einen Tick langsamer.
Es folgt „State Of Mater“, das ganz stark an die Landsleute Kirlian Camera erinnert, wie diese um die Jahrtausendwende klangen bevor dort Elena Fossi ans Mikro durfte. Eine monotone Stimmlage, leicht vom Vocoder verzerrt, bearbeitet schwermütig unzählige Gemütszustände, die offenbar nie lange vorhalten, sondern die Protagonistin immer mit sich fort ziehen in scheinbar endlose Transformationsphasen. Die Musik wird hier mit einer an The Cure erinnernden hohen Gitarre untermauert. Im Song „Fernweh“ erreicht die Stimme von Frau Ferrucci den Hörer aus der besagten Ferne mit einem starken Hall unterlegt. Ein treibender Rhythmus als würde jemand einen auffordern davon zu rennen, wird dann im letzten Drittel des Liedes gänzlich vom Hall durchdrungen und es fällt schwer nicht aufzuspringen und zu tanzen.
Es folgt mit „The Tide“ eines der schwermütigsten Stücke dieses Albums. Der Titel verrät es schon. Es ist die Vergänglichkeit, das Kommen und Gehen der Dinge, welche hier thematisiert werden. Das ist einer der wenigen Makel dieser Platte. Die Songtitel klingen leicht abgedroschen und viele Texte sprühen jetzt auch nicht über vor Kreativität oder noch nie da gewesenen Inhalt. Aber die beiden Musikerinnen verstehen es die Stimmungen, die in den Texten angesprochen werden, elektrisch minimalistisch und nie überladen umzusetzen. Dieses Lied hier kann sich z.B. sehr stark mit dem Schaffen von Lebanon Hanover messen, die ihre Lieder klanglich gut auf den Punkt bringen.
Mit „Labyrinth of Memories“ folgt das schwächste Lied der Platte. Stark im Anfang mit einem Marschrhythmus und erneut der Cure-Gitarre im Hintergrund, flacht es mit dem Einsatz des Gesangs leider ab und wird ziemlich beliebig auch was den Einsatz der Keyboards angeht. Da wähnt man sich auf einmal nahe bei L’Âme Immortelle, was zumindest mich ein wenig erschauern lässt.
„Cause an Effect“ und „Another Woman“ sind einfach schön zum Tanzen und loslassen. Das gilt für fast alle Lieder auf dieser Platte. Bei letzterem begegnet dem Hörer ein satter Elektrosound kurz vor EBM. Hier wartet man quasi auf den Einsatz der Stimme von Constantin Warter von Calva Y Nada oder Rudi Ratzinger von :Wumpscut:. Aber es kommt eine Stimme, die der von Nico ähnelt. Auch nicht schlecht und für mich ein Zugewinn in dieser Konstellation von Klang und Gesang.
Das letzte Lied, mit Sprechgesang in französischer Sprache beginnt leise und abwartend und erhebt sich dann zum letzten Aufbegehren mit einem bedrohlich klingenden Sequenzer, bevor die Platte viele zu schnell endet.
Elektrofreunde mit der Vorliebe „moll“, sollten hier unbedingt zugreifen. (M.W.)
Format: CD / LP |
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