Nun ist es endlich soweit. Das Atom™-Album HD, das 2013 nur als CD erhältlich war, ist nun, in veränderter Aufmachung, als Vinyl bei Raster Noton erschienen. Zwar dürfte es einigen bereits bekannt sein, doch konnte ich auf diesen Seiten nichts dazu finden. Also, hier eine Nachlese zum vorliegenden Album, das im Übrigen etwas überpoliert und langsamer, dafür deutlich klarer klingt.Dieses Album ist ein exzellentes Beispiel dafür, was Popmusik heute noch könnte, wenn sie sich auf ihre Grundformen besinnt. Es ist wie seine Vorgänger „Liedgut“ (2009) und „Winterreise“ (2011) ein durch und durch konzeptionelles. Beschäftigte sich Uwe Schmidt, der hinter Atom™ steht, auf diesen mit dem Kunstlied der 19. Jahrhunderts, steht nun die Arbeit an und mit der Popmusik im Mittelpunkt. Dabei enthält HD durchweg Anleihen an Kraftwerk, was sicher mit dem Gesamtklangbild zu tun hat. Gleich das Eingangsstück „Pop HD“ könnte gut und gerne auch eine Variation zu Kraftwerks „Musique Nonstop“ sein. Aber auch die folgenden Titel weisen deutliche eine Nähe zu den Pionieren des Techno-Pop auf, was sicher am sparsamen Einsatz der Elektronik liegt, am Aufbau und an der Reduktion, die bei den frühen elektrotüftelnden Kraftwerk Markenzeichen war. Das geht für mich sogar soweit, dass ich behaupten würde: Dieses Album klingt nach dem, was Kraftwerk machen würden, wären sie mit all ihren Ideen und den digitalen Möglichkeiten heutzutage auf dem Höhepunkt ihres Schaffens.
Daneben gibt es aber auch noch andere Anleihen. Eine zum Beispiel an Prince. Deutlich im Song „I Love U“. Und ein handfestes Cover von The Who, nämlich „My Generation“. Auch eine Reihe von Gastmusikern war daran beteiligt. Etwa Alva Noto, Marc Behrens oder J.Ch. Vandermynsbrugge, der auf dem ersten Titel den Vocalpart übernahm.
HD ist Fazit und auch Abgesang. POP nämlich wurde durch die Verwertungsmechanismen der Musikindustrie in ein Korsett gezwängt, in dem man kaum noch Luft bekam. Konsequenterweise ist der gequetschte Corpus dann auch geplatzt. Und seine Teile fliegen massenhaft durch den endlos unbegrenzten Raum. Dieser ist nicht reglementiert. Deshalb dachten wir schon, die Musik wäre befreit. Doch da ist leider etwas, das alle herumfliegenden Teile erneut an sich bindet und zusammenhält. Und zwar: die aufmerksamkeitsökonomischen Prinzipien: Verkürze, halte dich nicht mit langen Passagen auf, komme gleich auf den Punkt, beginne am besten sofort mit dem Refrain und variiere ihn anstelle einer Strophe! Der Text muss einprägsam sein, mache aus ihm einen Satz, oder einige wenige, sich wiederholende Phrasen, damit auch der letzte Diskothekentänzer um vier Uhr morgens die paar einfachen Worte mitsingen kann!
Schmidt spielt damit und genau darauf an. Doch So wie es Ingenieure tun: distanziert und berechnend. Hier ist also kein einziger Titel auch nur ansatzweise gefühlig oder gefällig. Allein die Sounds und der audiophil spartanische Apparat dieser Musik lassen das nicht zu. Die Titel sind viel zu intelligent, um nur zu gefallen. Alles sitzt und klingt so, wie es sein soll.
Exemplarisch seien hier drei Titel kurz beleuchtet:„Strom“ (02): Dieser Song besteht aus textlichen Aufzählungen und musikalischem Minimalismus. Klar voneinander abgegrenzte Sounds, die einen dreidimensionalen Eindruck hinterlassen. Dabei werden alle Maßeinheiten des Stroms aufgezählt, dann alles, womit man ihn erzeugen kann und schließlich was alles aus Strom gemacht ist – das allerdings scheint mir eher assoziativ.„Stop (Imperialist POP)“ (07): In diesem Titel werden die Namen der Großen im Musikgeschäft aufgezählt. Zum einen die der Label, zum anderen die der Stars. Eine bissig satirische Auseinandersetzung mit diesem Betrieb. Diese gipfelt dann in der Aufforderung: „Gaga, Gomez, Timberlake, give us a funking break!“ (Interessant hierbei ist die Tatsache, dass HD 2013 gleichzeitig mit dem neuen Timberlake-Album erschien.) Dazu ein treibend stampfender Rhythmus, der eigentlich mehr Track ist als Song und das Fehlen eines klassischen Aufbaus, d.h. das der Struktur, eines Refrains.„Ich bin meine Maschine“(09) ist dann der Höhepunkt und Abschluss des Albums: Hier handelt es sich um einen angenehm fließenden Minimal-Techno-Pop, in dem der für Menschen hörbare Frequenzbereich klanglich abgebildet wird. Es beginnt mit 20, 40, 60, 100 Hertz (wobei ich selbst erst ab 60 Hertz etwas höre) und läuft dann bis 20000 Hertz weiter. Erst wird die Hertzzahl genannt, und dann wird diese abgespielt. Musikalisch ist dieses Stück auf ´s Extremste reduziert. Ohne popmusikalisch obligatorische Melodie. Nur dahinfließender Rhythmus mit dem jeweilig passenden Frequenzton. So arrangiert, dass das Stück beweglich bleibt.
Dieses Album ist strukturell brillant, der Einsatz der musikalischen Mittel exakt, kühl und objektiv, also all das, was mit dem Begriff der Intelligent Dance Music (IDM) umschrieben wird – ohne es ausschließlich zu sein. Dieses Album nämlich ist mehr. Es ist ebenso Techno- wie Elektro-Pop. Und vor allem die konzeptionelle Auseinandersetzung mit einer so gut wie zur Vergangenheit gehörenden Epoche.
Seit Jahren nämlich, vielleicht schon Jahrzehnten, hat sich im POP eine intellektuelle Leere breitgemacht. Jeder Befreiungsversuch wird sofort vereitelt. Es wird das vermeidlich Neue festgemacht, bezeichnet und verwertet. POP ist also nicht mehr als eine aufgeblasene Kulisse, die immer wieder aufgepumpt wird und vor der ein zeigefreudiger Idealkörper mit seinen Extremitäten wackelt und winkt. (awk)
Format: LP |