NOBLESSE OBLIGE oder was haben Klaus Kinski, Klaus Nomi und Santa Klaus gemeinsam?
NOBLESSE OBLIGE ist eine meiner MySpace-Entdeckungen, welche ich auf Empfehlung von Christian Fuchs (BUNNY LAKE) gemacht habe und die mir sonst sicher durch die Lappen gegangen wäre. NOBLESSE OBLIGE ist ein Duo, welches aus Valerie und Sebastian besteht und zumindest in England schon mit ihrem minimalen wie wilden und anarchischen Disco Punk für Furore gesorgt hat. Als Einflüsse machen sie bei MySpace Klaus Kinski, Klaus Nomi und Santa Klaus geltend, aber man könnte auch genausogut Punk, sleazy Disco, Glam Rock, schwulen Synth-Pop und Industrial anführen. NOBLESSE OBLIGE provozieren und verstören, können aber auch den Club zum tanzen und schwitzen bringen – über all das und auch das immer noch aktuelle Album „Privilege Entails Responsibility“ führte ich folgendes Interview mit Sebastian von NOBLESSE OBLIGE:
„I Don’t Care If You’re A Muslim, I Don’t Care If You’re A Jew, I Don’t Care If You’re Christian, Cause I Hate All Of You!“ (aus “Offensive Nonsense”)
? Wie habt Ihr Euch als Duo gefunden und was gab dabei den Ausschlag zur Gründung von NOBLESSE OBLIGE bzw. welche musikalischen wie kulturellen Einflüsse wirkten auf diesen Prozeß ein?
Wir haben uns bei einem maskierten Ball in London vor etwa 3 Jahren kennengelernt. Valerie arbeitete zu diesem Zeitpunkt an Theaterproduktionen, während ich gerade mein erstes Bandprojekt beendet hatte. Unsere gemeinsame Leidenschaft für französische Schwarzweißfilme, Gauloise, Cointreau und JOY DIVISION führten zu der letztendlichen musikalischen Kollaboration.
? Wie hieß denn Dein erstes Bandprojekt, in welche Richtung ging dieses und warum ist es letztendlich gescheitert?
Es war ein süßlich angehauchtes Electro-Pop-Projekt, das letztendlich daran scheiterte, daß meine damalige Bandkollegin meine Ambitionen nicht mit mir teilte. Unser größter Erfolg war immerhin ein Support-Slot für WOLFSHEIM…
? Der Sound von NOBLESSE OBLIGE ist minimal, trashig und punkig – weniger ist oft mehr oder?
Obwohl ich unseren Sound nicht grundsätzlich so beschreiben würde stimmt es, daß wir es immer anstreben, mit simpelsten Mitteln einen distinktiven Sound zu schaffen. Es sind (glaube ich) auch gerade die kleinen Unreinheiten, die einen gewissen Charme in unserer Musik ausmachen.
? Ein großen Anteil nimmt bei Euch die Provokation ein, die weder vor Links oder Rechts, so wie Religionen und Rassen Halt macht – ist das dem Geiste des Punks geschuldet oder was bezweckt Ihr mit Eurem aggressiven Vorgehen?
Es ist nie unsere Absicht gewesen, zu provozieren. Ich würde uns auch nicht als aggressiv bezeichnen. Wir haben nur einen bestimmten Sinn für Humor, den nicht viele Menschen mit uns teilen.
? Hattet Ihr bisher schon Probleme wegen Eurem Auftreten mit Hitler-T-Shirt, Goebbels-Samples, militanten Posen usw. oder prallen alle eventuellen Vorwürfe durch die Präsenz Deiner farbigen Partnerin ab?
Das Hitler-Shirt war in England ehrlich gesagt nicht gerade der Partyknüller – gekauft habe ich es übrigens in einem indischen Souveniershop in der Oxford Street, aber egal. Nein, wir sind mit so manchem davongekommen, da die Leute (denke ich) intelligent genug sind zu merken, daß wir einfach nur ein paar Schrauben locker haben und auch ganz sicher nichts Böses im Sinne haben.
? In wie weit seid Ihr in die Fetisch-Szene involviert, da Eure Plattencover und Auftritte im einschlägig bekannten Londoner Torture Garden dies vermuten lassen?
Mit der Fetisch-Szene haben wir eigentlich recht wenig am Hut. Der Anblick langweiliger Camden High Street-Latexklamotten und ein Haufen verschwitzter, nackter Bimbos haben für mich keinen ästhetischen Reiz. Der Torture Garden ist aber immerhin einer der wenigen dieser Clubs die es schaffen, etwas Glanz an den Tag zu bringen. Dort sind wir auch schon seit langer Zeit Stamm-DJs und stellen regelmäßig mit Live-Auftritten neues Material vor.
? Ihr seid vor einiger Zeit von London nach Berlin gezogen – was gab den Ausschlag für diese Veränderung und wie fühlt Ihr Euch in der deutschen Hauptstadt wohl?
Wir hatten einfach mal Lust auf einen Szene- und Umgebungswechsel, wollten wieder etwas frische Luft schnuppern und “im Exil” ein neues Album aufnehmen. Berlin gefällt uns gut, hier konnten wir es uns zum Beispiel erlauben, ein eigenes Tonstudio einzurichten. Wir arbeiten hier nicht nur an unserer eigenen Musik, sondern produzieren auch andere Künstler. Gerade habe ich zum Beispiel einen Track für die nächste ASCII DISKO-Single abgemischt.
? Warum konntet Ihr Euch in London nicht den Luxus eines eigenen Studios leisten – ich denke London ist das Mekka für alle aufstrebenden Musiker?
London ist sicherlich ein Mekka für Musikliebhaber, die Szene ist jedoch verklemmt und nicht offen für wirklich Neues, da alles an bestimmte Trends gebunden sein muß. Viele Clubs haben sich zu stark etabliert und ändern sich kaum und nach fünf Jahren haben sie mich nur noch gelangweilt. Außerdem erlauben es einem die unglaublichen Mietpreise und Lebenskosten nicht, eine gewisse Lebensqualität zu genießen. Trotzdem liebe ich London und die Engländer über alles und bevorzuge lieber Beans‘n Toast als Schrippen und Eisbein.
? Eurer Album-Intro verknüpft ein bekanntes klassisches Prokofiev-Thema mit einer minimalen wie wirkungsvollen Bassline – BLOOD AXIS haben gleiches Thema vor über einen Jahrzehnt in ein martialisches Stahlgewitter namens „Reign I Forever“ gekleidet – kennt Ihr diesen Track bzw. das Album „The Gospel Of Inhumanity“, welches meiner Meinung nach wie kein anderes für vertonten Faschismus steht und über die Zeit nichts an Faszination eingebüßt hat?
Leider nein. Der Grund weshalb wir Prokofiev´s „Romeo und Julia“ gesampelt haben ist, weil es in der ersten Szene des Tinto Brass-Films „Caligula“ verwendet wird. Ursprünglich war das Stück als musikalisches Thema für unseren nach dem Film benannten Clubabend gedacht, kam dann aber als Intro mit auf die Platte.
? Betreibt Ihr die gerade erwähnte Partyreihe zu Ehren des römischen Kaisers Caligula auch jetzt in Berlin weiter und wenn ja, was erwartet den geneigten Besucher dort?
Togas, Traubenfütterer und 2 charmante DJs. Wir sind dabei, die Caligula-Partyreihe in Berlin wiederzubeleben. Zur Zeit suchen wir aber noch nach einem gescheiten Veranstaltungsort.
? Den Song „Fashion Fascism“ habt Ihr wohl der verkoksten Londoner Modeszene gewidmet und wenn ja, wie wurde dieser bisher aufgenommen?
Es geht in dem Stück generell um die Parallelen zwischen Mode bzw. der Modeszene, und Faschismus, stark inspiriert durch die Essays und Bilder der Barbara Krüger. Da eignete sich das Goebbels-Sample natürlich ausgezeichnet, da sich das Wort “Krieg” so schön auf “Sleek” reimt. In den Londoner Szeneclubs wie Nagnagnag war dieses Stück immer eines der Live-Favoriten.
? Auf Eurer MySpace-Seite war auch eine DEATH IN JUNE-Coverversion zu finden – warum gerade „Fall Apart“ und wie seid Ihr mit dem verrufenen Uniformfetischisten Douglas P. in Berührung gekommen?
„Fall Apart“ ist meiner Meinung nach eines der schönsten Liebeslieder überhaupt. Ich wollte wissen, wie es sich mit Schlagzeug und einer Frauenstimme anhören würde. Daher haben wir eines verschneiten Nachmittags in meinem Wohnzimmer ein Mikrofon aufgestellt und das Lied (neben mehreren anderen Coverversionen) zum Spaß aufgenommen. Ich weiß nicht sonderlich viel über Douglas Pearce, finde ihn aber einen tollen Liederschreiber und Sänger. Ein toller Schauspieler ist er mit Sicherheit nicht, wie er in „Pearls Before Swine“ unter Beweis gestellt hat. Mit seinen angeblich kontroversen politischen Ansichten habe ich mich nicht viel beschäftigt, da sie mich nicht interessieren. Die meisten Musiker machen sich peinlich, wenn Sie versuchen ihre politischen Meinungen zu äußern.
? Welche weiteren Coverversionen habt Ihr denn bei der „Fall Apart“-Session noch eingespielt?
Es bestehen NOBLESSE OBLIGE-Cover Versionen von Nino d’Angelos „Jenseits von Eden“, Stephanie von Monaco’s „Ouragan“ und Eric Burdon’s „When I Was Young“. Eines der ersten Lieder, das wir überhaupt aufgenommen haben, ist eine Version des „Lady In The Radiator“-Songs aus „Eraserhead“.
? Von Soundtrack-Legende Michael Nyman habt Ihr „Memorial“ geremixt bzw. gecovert – war das eigentlich legalisiert?
Nein, nicht wirklich. Der Remix wurde ja auch noch nicht offiziell veröffentlicht. Nach einem seiner Konzerte in der Londoner Barbican Hall bin ich auf Nyman zugegangen und habe ihm unseren Edit in die Hand gedrückt. Er bedankte sich und meinte, „Memorial“ sei seine bis weit beste Komposition gewesen, dem ich selbstverständlich zustimmte. Es ist ein Stück aus dem Soundtrack des Peter Greenaway Films „The Cook, The Thief, His Wife and Her Lover“ – einer meiner Lieblingsfilme. Leider hat Michael sich noch nicht bezüglich einer möglichen Veröffentlichung des Re-Edits gemeldet…
? Euer Album „Privilege Entails Responsibility“ ist in Deutschland bisher nur als teurer Import erhältlich – wird sich das noch ändern oder hat hier niemand an Euch Interesse?
Wir arbeiten hart an einer Wiederveröffentlichung des Albums für den GAS-Markt, doch leider fehlt es in der Musikindustrie ganz offensichtlich an Leuten mit Eiern. Ab sofort sind das Album, sowie unsere Singles und weitere Fanartikel aber direkt von uns über einen Online-Shop auf unserer MySpace Seite erhältlich.
? Was sind Eure Pläne für 2007 und darf man eventuell auf ein zweites Album hoffen?
Wir nehmen gerade unser zweites Album in unserem Studio auf. Musikalisch haben wir uns seit dem ersten Album extrem weiterentwickelt und das wird man auch zu hören bekommen. Einflüsse auf dem neuen Album sind vor allem 70er Soft-Pornos, Ennio Morricone, Serge Gainsbourg und Klezmer. Geplant ist auch die Veröffentlichung des MOTOR-Remixes unserer ersten Single „Bitch“. Außerdem schreiben wir gerade den Soundtrack für „L’Amour Toujours“, dem neuen Film von Edwin Brienen, in dem wir neben Hauptdarsteller Erwin Leder selber mitspielen. Weiterhin haben wir auch vor, viele Konzerte in Deutschland zu spielen. Wir sind froh, hier zu sein.
? Eine Standart beim BLACK ist die Frage nach den aktuellen musikalischen Favoriten bzw. den All-Time-Top 5?
Top 5: LCD SOUNDSYSTEM “North American Scum”, VICTORIAN ENGLISH GENTLEMAN´S CLUB “Impossible Sightings Over Shelton”, Michael Gira “Failure”, GEILE TIERE “Geile Tiere” und SILVER APPLES “I Have Known Love”.
All Time: NEU! “s/T”, PINK FLOYD “The Wall”, THROBBING GRISTLE “20 Jazz Funk Greats”, VELVET UNDERGROUND & NICO “s/T” und X MAL DEUTSCHLAND “Fetisch”.
? Ich danke Sebastian für dieses Interview und wünsche für die Zukunft alles Gute bzw. bin sehr gespannt auf das neue Album.
(M.Fiebag)
Discografie
2005 – „Bitch/Daddy“ (7“/MCD) – Horseglue Records
2005 – „Quel Genre De Carcon/Lil’ Dirty“ (7“/MCD) – Horseglue Records
2006 – „Privilege Entails Responsibility“ (LP/CD) – Horseglue Records
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