Dass die extreme Musik so unterschiedlich, also nur im Kontext verwendet werden kann, liegt wohl an der Offenheit derselben. Doch da beginnt auch schon die Schwierigkeit. Meint Offenheit eben nie nur eine Richtung. Da kann es schwer werden, dem Anspruch einer großen Hörerschaft gerecht zu werden. Vor allem, wenn diese will, dass niemand verletzt oder ausgegrenzt wird. Was dann ein Widerspruch ist. Zumindest wenn man bedenkt, dass gerade die extreme Musik ausgegrenzt wird und selbst ausschließlich ist. Das heißt, so brachial, so verletzend. Also thematisch, oder durch die meist extreme Lautstärke. Und so versteht sie sich auch. Sie steht in Opposition zu dem, was die meisten hörbar nennen – was, denkt man es weiter und setzt es in den zeitlich aktuellen Kontext des Homo Consumericus nichts anderes als konsumierbar bedeutet.
Bei der extremen Musik ging es schon immer darum, den schönen Schein zu enttäuschen, die Realität einzulassen, sie zu überspitzen, das als hässlich Geltende zu emanzipieren, das übliche Eins-zwei-drei-vier zu zerstören. Es ging also nie darum, dahinter weiter machen zu können, sondern darum, einzureißen. Oder anders, mit den Worten Walter Benjamins ausgedrückt: „Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen. Sein Bedürfnis nach frischer Luft und freiem Raum ist stärker als jeder Hass.“
HURE ist ein exzellentes Beispiel dafür. Sie macht sich Luft, kommt wie ein Störgeräuschgewitter daher. Sie entlädt sich digital und ist vielleicht noch als Meditation zu bezeichnen. Sie ist laut und extrem. Arbeitet auf eigene Kosten und bedient vor allem Leute mit besonderem Interesse. Sie ist kraftvoll, voller Tatendrang. Sie räumt ab und vor allem: Ihr Zerstörungswille meint nicht die leere Pose.
Angefangen hat alles vor etwas weniger als 10 Jahren. Damals noch in anderer Besetzung, doch vom optischen Erscheinungsbild her mit dem heutigen fast deckungsgleich. Allerdings noch nicht so digital. In den Anfangsjahren wurde mit umgebauten (Bass-) Gitarren gespielt. Das Auftreten verwies Richtung Crust oder Hardcore. Was zu dieser Zeit jedoch schon markant war, hat mit dem äußerlichen Rest zu tun. Hier nämlich fällt HURE ganz besonders auf. Umwickelt mit Gaffa-Tape und mit Papphauben, die ebenfalls schwarz beklebt sind, unkenntlich gemacht, wird in Rockermanier der Oberkörper geschüttelt. So, wie es eben auf den üblichen Rockevents von den Frontmännern zu sehen ist. HURE karikiert dieses Gehabe, das halboffene Hemd, das Bein auf dem Monitorlautsprecher und eine Hand lässig ins Publikum gehalten. Beinah absurd wird´s, wenn man sich nun den Sound dazu vorstellt. Der ist dermaßen hart, dass selbst die bestgeschulten Musikprofis resignieren, weil sie keine sinnvolle Struktur heraushören können. Das ist Lärm. Also die extremste Form dessen, was politisch wie musikalisch einst im Hardcore anzusiedeln war. Schon auf dem Debutalbum SOG von 2016 war das zu hören. Doch etwas wärmer. Wie durch einen Röhrenverstärker gezogen. Die auf dem vorliegenden Tonträger 1-11_112/// befindlichen vier Stücke gehen im Vergleich dazu um einiges weiter. Der Höreindruck ist deutlich digitaler, erinnert also nicht mehr an extrem verzerrte Gitarrengeräusche, sondern an MERZBOW, GENOCIDE ORGAN und WHITEHOUSE (vgl. „a cunt like you“), also an Bands/ Projekte, die aus dem Genre Power-Electronics kommen.
An Power Electronics hängt in der Beschreibung von HURE allerdings noch der Punk an. Vermutlich deutet dieser Zusatz darauf hin, dass die Wurzeln nicht im Industrial liegen, sondern in Hardcore zu suchen und zu finden sind. Auch beim Label AUTONOMA INDUSTRIALE scheint die Ausrichtung eher ins Festgelegte, einer vom neutralen Standpunkt aus betrachtet festgelegten Seite des politischen Spektrums zu zeigen. Und das ist hier gar nicht despektierlich oder abwertend gemeint. Eine andere Perspektive tut auch diesem Genre gut.
Ein, was den Sound betrifft, weiterentwickeltes und wenn auch nur kurzes, so doch eindrückliches Album für spezielle Kunden, die die inflationäre, postindustrielle Ödnis ihr Zuhause nennen müssen. (awk)
Format: TAPE |
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