Ô PARADIS – Ein kurzes Interview in einer sonderbaren Zeit

Ô PARADIS habe ich durch deinen Beitrag auf dem Current 93 Tribut-Sampler „The bells shall sound forever“ kennen gelernt und da mich der Name an das Lied von Death in June erinnerte, fand ich das schon sehr interessant und wie kommt man auf solch einen Bandnamen?  Hier nun ein kurzes Interview mit Demian in einer sonderbaren Zeit.

Als ich 23 Jahre alt war, war alles, das Texte von David Tibet enthielt, sehr wichtig für mich. Klar, wenn man etwas völlig versteht, geht das Mysterium verloren. Wenn wir nichts mehr für etwas empfinden, interessiert es uns auch nicht mehr, aber wenn wir eine Verbindung, einen magischen Faden in der Dunkelheit, spüren, dann erklimmen wir es. Für mich ist es interessant, etwas zu untersuchen und mich dann auch wieder überraschen zu lassen. Unser Geschmack sagt viel aus über unsere Gegenwart. Will sagen: Der Bandname wurde damals mit einer bestimmten Intention gewählt, aber die Bedeutung hat sich verändert.

? Inwiefern haben dich die Werke von David Tibet und/oder Douglas P. beeinflusst?

Einerseits ganz offensichtlich emotional. Wir alle stellen das Radio auf unsere persönliche Frequenz ein. Andererseits war es aber auch eine intellektuelle Herausforderung. Viele der Künstler, die im Umfeld von Current 93 und Death in June aktiv waren, sind für mich immer noch präsent, sinnlich verbunden mit meiner künstlerischen Welt. Aber glücklicherweise habe ich mich auch weiterentwickelt und meinen Horizont erweitert.

? Welche Künstler meinst du?

Ich erwähne ungern Namen in Interviews, das nimmt die Überraschung, den Spaß. Ich meine, wenn du als Teenager ein Fan der ganzen World Serpent Bands warst, ist es doch kein Wunder, wenn du mit 45 bei einem Bier mit einem Kumpel über Kenneth Anger oder Bobby Beausoleil sprichst. Im Endeffekt ist es doch im Leben meist so, man verbindet halt die Punkte, ein bisschen wie in einem Ausmalbild.

? Und wie begann es konkret, also mit dem Musikmachen und mit deinem eigenen Projekt?

Ich erinnere mich, wie ich mit 14 den Bass von The Cure Songs nachspielte. Während sich Ô Paradis so langsam entwickelte, spielte ich in einer ranchera Band namens „Dusminguet“ Bass. Aber alles ganz allein entscheiden zu können, ist schon einzigartig. Du magst der einsamste König der Welt sein, aber immerhin bist du der König.

? Ranchera? Mexikanische Volksmusik?

Ja, das war eine sehr surreale Erfahrung. Witzigerweise fällt mir gerade ein, dass der Gitarrist in der Band hin und wieder ein Bauhaus-T-Shirt trug. Ich war der Jüngste und im Geiste ein ziemlicher Punk. Ein Titel aus unserem Repertoire war zum Beispiel Desmond Dekkers „Israelites“. Aber es ging um mehr Sex, Drugs & Rock’n Roll als in allen anderen „dark Bands“, die ich je kennengelernt habe. In Barcelona gibt es ein spitze Filmfestival namens „Inedit“, bei dem ein Film über diese Band gedreht wurde.

Ein paar Jahre später kam ich auf Einladung des italienischen Regisseurs, der seinen Film wegen seiner Leidenschaft für die Maultrommel gemacht hatte, zu diesem Filmfestival zurück. Ich denke, die sonderbarsten Entscheidungen können zu einem logischen Resultat führen, wenn du bei der Sache bleibst („keep your spirit alive“).

? Singst du auch manchmal auf Katalanisch? Wieso?

Ich kann mich auf Spanisch besser ausdrücken als auf Katalanisch, nur deswegen schreibe ich auf Spanisch. Manchmal habe ich auch auf Englisch oder Katalanisch gesungen, aber das hing dann am Kontext, nicht einfach mal so. An diesem Punkt der spanischen Geschichte würde ich wohl auch auf Katalanisch singen, wenn es politische oder finanzielle Gründe gäbe, aber ich mag es, dass Ô Paradis über solchen Dingen steht und nach Höherem sucht.

? Was für einen Punkt der Geschichte meinst du?

Die Konfrontation zwischen den Republikanern und den Aufständischen in Spanien, den die Aufständischen gewannen, was zur Franco-Diktatur führte, ist ein unversöhnlicher Kampf zwischen zwei Arten von (Lebens-)Gefühl, aber beide lieben dasselbe Mädchen. Die Wunde öffnet sich immer mal wieder, oder: sie ist eigentlich immer offen, nur manchmal blutet sie mehr.

? Ich glaube, Spanien („mit dem traurigen Schicksal“, wie Benito Pérez Galdós sagte) erlebt gerade einen solchen Moment. Dies erhöht den katalanischen Patriotismus und die Feindlichkeit des spanischen Staats gegenüber Katalonien. Oder ist es umgekehrt? Welchen Unterschied macht das?

Ich glaube, mein neues Album, „Liquido“, beginnt mit einem persönlichen Konflikt, aber es brennt nicht nur innen, sondern auch außen. Der Kampf verbrennt auch das Land und weitet sich immer mehr aus, bedroht auch ganz allgemein Spiritualität. Womöglich ist dieser Kampf der Antrieb, der Motor des Lebens. Nur fahren wir dabei ein Auto mit einem zu sehr lärmenden Motor.

? Ich fragte auch, weil ich selbst versuche, etwas Spanisch und ein klein wenig Katalanisch zu lernen und mich auch für die kulturellen Unterschiede interessiere. Die einzige andere katalanische Band, die ich kenne, ist Vagina Dentata Organ.

Witzig, dass du das erwähnst, denn die Tochter von Jordi Valls (Vagina Dentata Organ) hat mich für das Artwork im Inneren meines neuen Albums fotografiert.

? Interessant! Wie geht es ihr? Und wann können wir dein neues Album hören?

Zoë Valls ist eine Frau, mit der man sich wunderbar frei unterhalten kann. Sie ist schön, frei und authentisch. Mein schönstes Erlebnis mit ihr war, als wir uns an einem Sommertag auf der Terrasse mit einem Gartenschlauch abkühlen mussten, so fies war die Sonne. Ich sehe sie als Freundin, in dieser Zeit, in der Freundschaft wie ein Witz erscheint.  Das neue Album wird am 19.02.2021 bei Dark Vinyl Records erscheinen.

? Ja, mittlerweile konnte ich es schon anhören und genießen! (Rezension irgendwie „im Heft“!) Folgende Fragen beziehen sich noch auf deine letzten beiden Veröffentlichungen, als dieses Interview begann. Wie lerntest du Novy Svet kennen? Auf „Weiter Weg“ arbeitest du ja wieder mit Jürgen Weber zusammen. Erzähl uns von dieser Zusammenarbeit!

Wenn sich Jürgen nicht für Ô Paradis interessiert hätte, hätten wohl viele meiner Hörer mich niemals kennengelernt. Ich glaube, wir hatten eine wunderbare und intensive Freundschaft. Nun, da das Mysterium des ersten Kennenlernens schon eine Weile vorbei ist, lieben wir uns mehr denn je, mit der Ungeschicklichkeit einer 20-jährigen Freundschaft. Das letzte Album von Ô Paradis, „Weiter Weg“, wurde fast vollständig auf Deutsch eingesungen, und zwar von zwei meiner alten, platonischen Lieben: Jürgen Weber und Rosa Solé.

? Auch das Les Pardisiers Album hat mir sehr gefallen! Wieso wurde das nicht als Ô Paradis featuring Thomas Nöla herausgebracht?

Ganz einfach weil Les Paradsiers zu 50% Thomas Nöla und zu 50% Demian Recio ist. Thomas sehe ich als Bruder, wir kennen uns sehr gut, sodass wir ganz ruhig und entspannt gemeinsam das Leben genießen können. Du musst wissen, dass Ruhe Glück für mich bedeutet. Wir machen nicht einfach Musik. Wir forschen gemeinsam.

? Wann und wieso entscheidet sich ein Künstler dazu, ein neues Projekt zu gründen?

Wenn man etwas Neues gemeinsam erklären kann, das man getrennt nicht hätte erklären können.

? Danke für das Interview, hat mich sehr gefreut!

Danke auch! Ich hoffe, wir können uns mal unterhalten, wenn diese sonderbaren Zeiten vorüber sind.

(flake777)

 

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