BRUCE SPRINGSTEEN – Letter To You (2LP/CD)

Im vorigen Jahr erst meldete sich Bruce Springsteen mit dem Album „Western Stars“ nach einer Pause erfolgreich zurück und um so überraschender folgt diesem jetzt gleich noch ein neues Album zusammen mit seiner legendären E STREET BAND. Bevor es aber um dieses gehen soll, möchte ich etwas weiter ausholen bzw. gut 32 Jahre in meinem Leben zurück gehen. Auch in der DDR der 80er Jahre war der amerikanische Rockmusiker ein Begriff, da sein Hit-Album „Born In The U.S.A.“ sogar mit zwei Jahren Verspätung bei Amiga veröffentlicht wurde und so einen Hauch von Freiheit in unser abgeschottetes Land brachte. Natürlich deutete der „Zonenpöbel“ die eigentlich amerikakritischen Texte von Bruce Springsteen damals völlig anders und „Born In The U.S.A.“ wurde in der DDR zu einer Sehnsuchtshymne. Mir persönlich war diese Amerika- wie Westhörigkeit jedoch schon immer suspekt und da ich sowieso auf New Wave, Punk und anderweitige schräge Musik stand, mir ein Bruce Springsteen natürlich völlig egal. Im Sommer 1988 jedoch dann nicht mehr, denn es sollte MEIN Sommer werden, da ich die Lehre abgeschlossen hatte und mich zusammen mit meinem Schulfreund Steffen auf einem restaurierten Post-Tandem-Fahrrad (das wir natürlich „Two Imaginary Boys“ getauft hatten) auf große DDR-Tour begab. Krönendes Ziel der Reise sollte Berlin sein, wo auf dem Open Air-Gelände in Weißensee u.a. ein Konzert von DIE ART und DIE SKEPTIKER stattfinden sollte. Als wir jedoch nach einer abenteuerlichen Tour auf dem Campingplatz ankamen, war dieser völlig überfüllt und wir durften nur ausnahmsweise eine Nacht dort verbringen. Grund dafür war Bruce Springsteen, welcher extra vom Kulturministerium der SED eingeflogene wurde, um aus dem inzwischen schon etwas dampfend-gärenden Unzufriedenheitskessel der DDR etwas Druck abzulassen. Frustriert radelten wir am nächsten Morgen wieder zurück in Richtung Heimat, machten dann jedoch am Briesensee im Spreewald für ein paar Tage Station, welchen wir auf dem Hinweg entdeckt hatten und der sich als wahrer idyllischer Geheimtipp entpuppte. Bruce Springsteen hatte seit dem aber für mich auf viele Jahre hin einen bitteren Beigeschmack und ich wurde nicht müde, dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu erwähnen, um damit meine Ablehnung des amerikanischen Mainstream-Rockers zu begründen. Warum habe ich jedoch jetzt sofort „Hier“ gerufen, als die Ankündigung von „Letter To You“ von Sony Music kam? Mein Platten-Freund Bernd von der norddeutschen Ostseeküste hatte mir vor einiger Zeit nämlich die 5LP-Live-Box von Bruce Springsteen mit seiner E STREET BAND im sehr guten Zustand für ganz kleines Geld eingeredet und als Vinyl-Süchtiger konnte ich da nicht nein sagen. Die insgesamt 40 Live-Songs aus den Jahren 1974 bis 1985 waren ja im Grunde wie eine Best Of, die mich dann irgendwie doch gepackt und mitgerissen hat. Hatte sich plötzlich mein Musikgeschmack verändert, bin ich eventuell sogar altersmilde geworden oder liegt es einfach daran, dass der Altmeister inzwischen vom „links-grün versifftenn“ Presse-Feuilleton Prügel bezieht, weil er sich nicht mehr so deutlich politisch positioniert? So schien mir das neue Album nun ein guter Test, dieses vielleicht herauszufinden. „Letter To You“ ist das inzwischen schon 20. Studio-Album von Bruce Springsteen, welches er spontan in nur wenigen Tagen in seinem Home Studio in New Jersey zusammen mit der E STREET BAND geschrieben und eingespielt hat. Dabei sind unter den insgesamt 12 neuen Songs sogar noch drei alte Kompositionen aus der Zeit ihres Debüt-Albums in den 70er Jahren, die sie bisher aber noch nicht aufgenommen hatten. Das Album an sich ist einfach nur ein authentisch-erdiges Rock-Album und wenn man so will, ein klassisches Bruce Springsteen-Werk. Neben einigen nachdenklich-melancholischen Songs überwiegen die kräftig-knackigen Rock-Gitarren-Riffs vom sogenannten Boss, der übrigens mit seinen 71 Jahren körperlich und stimmlich immer noch topfit ist. Und ja, ich empfinde es sehr angenehm und auch irgendwie ehrlich, dass sich die aktuellen Texte vom Boss nicht um Donald Trump oder Black Lives Matter drehen, sondern sentimentalen Wehmut, Familie, Freundschaft, das Altern, die Vergänglichkeit und letztendlich den Tod thematisieren! Irgendwie scheint es mir in dieser hysterischen Zeit voller vorbeugender politischen Korrektheit plötzlich herrlich subversiv, Bruce Springsteen statt Billie Elish zu hören und da kommt mir „Letter To You“ gerade recht! Letztendlich scheint es mir sogar, als wolle Bruce Springsteen mit diesem „Brief an mich“ persönlich um Verzeihung für diesen Sommer 88 bitten, der letztendlich dann doch noch Mein Sommer geworden ist, da ich noch am Abend unserer Rückkehr meine damalige Traumfrau völlig überraschend erobern konnte und daraus eine sehr ernste Beziehung wurde, welche erst im Sommer 1991 im Zuge der Nachwendewirren, dem Wiedervereinigungstaumel und dem eigenen Neuaufbruch zerbrach. Aber auch der Sommer 91 wurde MEIN Sommer, doch das ist wieder eine andere Geschichte, weshalb wir uns lieber der sympathisch-emotionalen Rock-Nostalgie von „Letter To You“ hingeben sollten! (Marco Fiebag)

Format: 2LP/CD
Vertrieb: Columbia / Sony Music
 

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