Als Anfang 1987 im Rahmen der „Parocktikum“-Sendung auf DT64 die ersten Songs von JOY DIVISION über den Äther in die DDR gehen, war es um mich geschehen und ich wusste sofort: Das ist es! Dieser Sound, der Name und vor allem dieser Bass hatten es mir angetan und ich war seit dem der Band verfallen. Ich weiß auch noch ganz genau, als Lutz Schramm (der John Peel des Ostens) am 18.08.1988 die komplette „Substance“-Compilation gesendet hat und ich spät Abends das „Rummachen“ mit meiner damaligen Freundin unterbrechen musste, um die Aufnahme auf Kassette zu starten! Nach dem Mauerfall war dann natürlich meine erste gekaufte Platte eine von JOY DIVISION bzw. die Doppel-LP „Still“ und welche ich bis heute in Ehren gehalten habe, auch wenn ich inzwischen eine seltene Original-Ausgabe mein eigen nennen darf. Am oberen Falz des rauen grauen Kartons vom FOC kann man heute immer noch die Verfärbung von meiner braunen Thälmann-Lederjacke erkennen, da ich die Platte so fest wie einen Schatz an mich gepresst, zurück über die Grenze nach Ostberlin getragen habe. Weitere einleitende Worte zum Alleinstellungsmerkmal von JOY DIVISION erspare ich mir jetzt aber, denn jeder Leser dieser Seiten hier wird dazu die Grundkenntnisse haben. Das war aber nicht immer so, denn 1989 gab es noch wenig zugängliche Informationen über die Geschichte der Band und so wusste ich zum Beispiel über den Freitod von Sänger Ian Curtis nur aus der BRAVO, wo dieser bei einem Artikel über NEW ORDER erwähnt wurde. Deutschsprachige Literatur über dieses Thema war zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht verfügbar und erst Ende 1992 erschien mit „INsideOUT“ im Sonnentanz-Verlag immerhin ein kleines broschiertes Buch, welches erstmals umfassend die Eckdaten, eine Diskografie, die Texte und ganz wichtig, eine Auswahl der Bootlegs auflistete. Heute im Zeitalter des Internets klingt das natürlich völlig unglaublich, aber damals war es wirklich nicht ganz einfach, an solche fundierte Informationen heranzukommen. 1996 kam dann die deutsche Übersetzung von „Aus der Ferne…“, was die Erinnerungen der Witwe Deborah Curtis waren, die ihre (recht schlichte) Sicht der Tragödie um JOY DIVISION und insbesondere Ian Curtis darlegte. Erst 2013 und 2015 wurden folgend die Memoiren bezüglich JOY DIVISION von Peter Hook und Bernard Sumner in Deutsch veröffentlicht, welche erstmals interessante Einblicke in die Produktion der Musik aus erster Hand ermöglichten. Und jetzt endlich liegt nun auch die deutsche Ausgabe der Geschichte über diese einflussreiche Band namens „Sengendes Licht, die Sonne und alles andere“ vor. Der sperrige Titel bezieht sich dabei auf einen Ausspruch von Factory-Chef Tony Wilson, um den damals neuartigen Sound von JOY DIVISION zu beschreiben. Der renommierte englische Journalist Jon Savage verzichtet in dem Buch bewusst auf eine eigene Wertung der Band (zumal er selbst ein aktiver Beobachter gewesen ist) und montiert dafür äußerst geschickt und kurzweilig Interview-Zitate von Zeitzeugen chronologisch aneinander, was ja in dieser Form auch schon bei Jürgen Teipels „Verschwende Deine Jugend“ sehr gut funktioniert hat! So kommen neben den vier Bandmitgliedern noch 32 weitere Personen zu Wort, welche damals die kurze Zeitspanne des Bestehens der Band aktiv begleitet haben. Neben den erwartbaren Tony Wilson, Deborah Curtis, Rob Gretton, Peter Saville und Martin Hannett, sind das u.a. auch Mark Reeder (DIE UNBEKANNTEN), Annik Honore (Freundin von Ian Curtis), Anton Corbijn (Fotograf), Richard Kirk (CABARET VOLTAIRE), Jeremy Kerr (A CERTAIN RATION) und Pete Shelley (BUZZCOCKS), welche mit einer Fülle an Interna aufwarten, die in dieser Form noch nie so gebündelt präsentiert wurden. Die Bebilderung des Buches ist dafür allerdings recht mager ausgefallen, wartet jedoch mit seltenen und bisher unveröffentlichten Fotos auf, die vor allem von Daniel Meadows und Mark Reeder stammen. Alles in allem ein großartiges wie empfehlenswertes Buch, das auch mit seinem ungewöhnlichen Cover- bzw. scharfkantigen wie starken Karton-Einband irgendwie dem exklusiven Design von Factory entspricht! 384 Seiten umfasst diese sogenannte „Oral History“, die mit 20 Euro meiner Meinung nach recht preisgünstig zu erwerben und schon jetzt ein Referenz-Buch zum Thema JOY DIVISION ist! (Marco Fiebag)
Format: Buch |
Stichworte: |