HERBST IN PEKING – Kismet Radio (CD/DL)

Als anlässlich des 30. Jubiläums des sogenannten Mauerfalls durch RadioEins „Die 100 besten Ost-Songs“ gekürt wurden, belegten HERBST IN PEKING völlig überraschend und umgeben von den eigentlich vorhersehbaren CITY, SILLY, PANKOW, KARAT und PUHDYS mit ihrem Song „Bakschischrepublik“ den sensationellen Platz Nummer 8! Dieser Song nährt bis heute die Legende, HERBST IN PEKING wären eine Punkband (gewesen). Das waren & sind sie natürlich nicht, aber nichtsdestotrotz war die „Bakschischrepublik“ die erste offizielle Independent-Single der DDR und ein wichtiges Lied im Soundtrack zur Wende. Die Band klang vor und nach dem Ende der DDR immer anders, der Song wurde fast nie live gespielt, erfährt aber jetzt auf dem neuen Album „Kismet Radio“ eine aktualisierte Auferstehung. Im Vergleich zum Vorgänger-Album „Splitter der Schöpfung“ hat sich bei HERBST IN PEKING einiges getan, die lange stabile Trio-Besetzung aus Rex Joswig, Pegman und Thor Sten Beckmann existiert nicht mehr. Letzterer hat die Band inzwischen leider verlassen und dafür ist Helmar Kreysig als Produzent & Spezialist für russische Synthesizer vom Seiten-Projekt !THE SAME nachgerückt. Durch diesen Wechsel und gleichzeitigen Wegfall der zweiten Gitarre hat sich natürlich auch das Soundbild von HERBST IN PEKING wieder mal verändert und ist deutlich elektronischer & dubbiger geworden. Nun ist es ja schon immer so gewesen, das HERBST IN PEKING-Werke wahre Wundertüten sind und man nie wirklich weiß, was einen erwartet. Manchmal sind da Kieselsteine drin, Süßigkeiten, Rauschmittel oder eben auch mal Pflastersteine! „Kismet Radio“ ist nun von allem etwas oder auch nichts; ist das überhaupt ein richtiges Album oder ein Sampler oder am Ende nur eine Schimäre aus dem Äther? Für den Sampler würde zumindest ein gewisser Sammelsurium-Charakter der insgesamt 13 Tracks auf „Kismet Radio“ sprechen, da einiges in anderen Zusammenhängen schon bekannt ist und hier wie eine Choreografie für eine Radiosendung angeordnet ist. Zu Beginn jeder vollen Stunde gibt es im Äther natürlich die Nachrichten und so startet auch „Kismet Radio“, wobei es einem schon bei der „The News“-Zukunftsvision kalt den Rücken runter laufen kann. Mit „Genau Jetzt“ knüpft man dann im treibend-aufpeitschenden „Lust For Life“-Rhythmus-Korsett nahtlos an „Splitter der Schöpfung“ an, um allerdings mit dem darauf folgenden TON STEINE SCHERBEN-Cover „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ die aktuelle elektronische Richtung von HERBST IN PEKING einzuschlagen. Mit abgeklärt-lakonischer Stimme rezitiert Rex Joswig über einen dubbig-pochenden Beat die alte Hausbesetzer-Hymne und gibt so dem linken Kampf-Schlager eine völlig andere Bedeutung. „Bakschisch Republik Doom 2019“ schlägt in die gleiche Kerbe und dekonstruiert den Song zu einem finsteren TodesDub, der diesen „Wende-Hit“ aktueller denn je erscheinen lässt! Ganz anders und trotzdem irgendwie passend folgt „German Fool (Nosferatu Mix)“, der als fetziger Dubstep mit Mariachi-Trompete über einen dunklen Tanzboden fegt. Ein weiterer Geniestreich ist die Interpretation des MATTAFIX-Gassenhauers „Big City Life“, bei der vor allem die dezent-feine Gitarrenmelodie von King Snow alias Pegman besticht. Keine Cover-Version vom letzten GORILLAZ-Album ist dagegen „Zürich bei Nacht“, sondern nur eine faszinierende Feldaufnahme eines fanatischen Predigers in bester Jim Jones-Manier und ganz im Stile des verstörenden „St. Alzheim“ von HERBST IN PEKING. Davor, dazwischen und danach gibt es neben Poesie von Krzysztof Niewrzeda und Paul Celan natürlich noch einige Collagen, Remixe und sogar eine seltene Unplugged-Aufnahme der „Bakschischrepublik“ aus dem Jahre 2009 zu entdecken, was sich jetzt vielleicht konfus lesen mag, aber im Fluss der Sendung wirklich funktioniert. Am Ende ist nur eines sicher: HERBST IN PEKING waren, sind und bleiben mit „Kismet Radio“ ein „Hervorragendes Volkskunstkollektiv der Sonderstufe“! (Marco Fiebag)

PS: Auf Tour am 25.01. Dresden, 12.02. Berlin, 27.03. Leipzig und 28.03. Salzwedel – Stay Tuned!

Format: CD/DL
Vertrieb: Peking Records / Moloko+
 

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