Seit über 10 Jahren verfolge ich nun schon den musikalischen Werdegang der isländischen Cellistin Hildur Gudnadottir, welcher auch eng mit dem britischen Experimental-Label Touch und Arbeiten für u.a. PAN SONIC, MUM, Ben Frost, SUNN O))) und Johann Johannsson verbunden ist. Mit letzten, viel zu früh verstorbenen, Landsmann und Mentor von ihr unternahm sie auch die ersten Soundtrack-Produktionen, bis sie im vorigen Jahr erstmals in Hollywood beim Score für „Sicario: Day Of The Soldato“ alleinig verantwortlich war. Der völlig überraschende Durchbruch folgte jetzt jedoch mit ihrem Soundtrack für die HBO-TV-Mini-Serie „Chernobyl“, mit dem sie sich gleich einen Emmy verdiente! Der Erfolg der aufwendig, wie authentisch inszenierten Serie über das Reaktorunglück im sowjetischen Tschernobyl 1986, ist nämlich auch zum Teil ihrer atmosphärisch-bedrohlichen musikalischen Untermalung zu verdanken. Ähnlich Greta Thunberg, welche ja bekanntlich CO2 sehen kann, macht Hildur Gudnadottir die radioaktive Strahlung nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hier zumindest gefährlich hörbar. Schroffe elektronische Sounds in zumeist grauer Schattierung, extrem verfremdete Cello-Klänge und verwaschenen russische Chor-Fragmente mit ihrer typisch melancholisch-orthodoxen Aura verschmelzen in (leider viel zu kurzen) 35 Minuten zu einem wirklich atemberaubenden Soundtrack der Extra-Klasse! Zur Seite steht ihr dabei mit Chris Watson (Ex-CABARET VOLTAIRE & THE HAFLER TRIO) ein alter Bekannter aus dem Touch-Umfeld, der im Auftrage der BBC inzwischen zu einem renommierten Field Recorder geworden ist und hier stimmige Feld-Aufnahmen direkt vom Unglücksort in der jetzigen Ukraine mit in den Sound einfließen lässt. Industrial- und Angst Pop-Hörer dürften an dem schroff-fauchenden Score auch ohne Bezug zur TV-Serie großen Gefallen finden, zumal von „Chernobyl“ auch eine exzellente 180g-Vinyl-Ausgabe in der gewohnt hohen Qualität der Deutschen Grammophon erhältlich ist. Definitiv der Soundtrack des Jahres!
PS: Nach dem Emmy-Erfolges für Hildur Gudnadottir sichert sich die Deutsche Grammophon sofort einen Exklusiv-Vertrag mit der Künstlerin, zumal inzwischen auch Hollywood nachzog und sie gleich für den Soundtrack zum aktuellen „Joker“-Blockbuster verpflichtete. Ihr abermals äußerst düster-bedrückender Score dazu scheint dabei jedoch das Mainstream-Publikum deutlich zu überfordern, wenn man aus den bisher meist negativen Reaktionen darauf schließen darf. Bleibt zu hoffen, dass die „Traumfabrik“ sie nicht mit „Fließband-Aufträgen“ verbrennt, wie es in der Vergangenheit schon mit Graeme Revell (SPK) oder ihrem Label-Kollegen Johann Johannsson ergangen ist. Vom Ersteren hört man leider schon lange nichts mehr und Letzten fand man Anfang 2018 nach einer Überdosis Kokain tot in seiner Berliner Hinterhofwohnung in Kreuzberg auf, nachdem seine Auftragsarbeiten für „Blade Runner 2049“ und „Mother“ bei den verantwortlichen Regisseuren auf Nichtgefallen stießen. (Marco Fiebag)
Format: LP/CD |
Stichworte: |