„Mit digitaler Soundsynthese kann man grandiose One Night Stands haben“ – Interview mit MARTIN KOHLSTEDT

Heute gehts in den schönen Osten des Landes, genau genommen nach Thüringen, dort erblickte nämlich Martin Kohlstedt das Licht dieser Welt. Und er fand schnell den Zugang zur Musik und dem Keyboardspielen in der Ausrichtung Jazz. Nun hatte Martin, das nimmermüde,  schöpferische Phänomen,  Blut geleckt und mit 18 Jahren erhielt er den Klavieroberstufenabschluss und hing sofort eine Ausbildung für interaktives Klavier hinten dran. Daraufhin studierte er Medienkunst und Mediengestaltung in Weimar und wirkte nebenbei in sieben versch. Band Projekten mit. Martin arbeitete dann als junger Pianist / Komponist mit z.b. Ryo, Karocel und Marbert Rocel zusammen und gründete 2011 die Musikfirma MAMARO,  in der er sowohl kommerzielle Projekte wie auch Filmsoundtracks und Hörspiele produzierte.

Die ersten beiden Fulltime Veröffentlichungen, mit Arbeitstitel „Tag“ aus 2012 und „Nacht“ aus 2014 sind laut Martin als musikalische, zeitlose Einheit anzusehen, die emotionalen und tiefgehenden Klavierklänge derAlben erzeugten auch bei mir eine gewisse Nachdenklichkeit und innerliche Ruhe. Übrigens hat Martin auf den zwei Reworks EPs mit Hundreds, Christan Löffler, Douglas Dare, FM Belfast und Dwig zusammen gearbeitet. Auf dem Album „Strom“ aus 2017 wurden dann sogar elektronische Einflüsse in die melodischen Klaviersounds integriert, so das die Tracks insgesamt eine kraftvollere Note erhielten und last but not least erschien in 2019 das Meisterwerk „Ströme“ , hier arbeitet der Künstler mit dem Gewandhaus Chor Leipzig zusammen und es ist ein dynamisch, fulminantes und monumentales Kunstwerk entstanden, aber dazu äußerst sich Martin auch im Interview.

Das Besondere an dem rastlos und kreativen Geist Martin Kohlstedt und seiner Musik ist, das seine Stücke die perfekte Verbindung von analoger und digitaler Instrumentierung darstellen, gepaart mit seiner Energie und Unberechenbarkeit, sein Publikum immer wieder mit rein musikalischen Grenzüberschreitungen zu überraschen. Gerade diese künstlerische Freiheit und die Spontanität die Martin so schön in seinen musikalischen Reisen auslebt,  machen für mich den „wahren“ und experimentiellen Musiker, der fernab irgendwelcher musikalischen Trends komponiert, erst aus. Nun gebe ich aber ab, an den „musikalischen Grenzgänger“ Martin Kohlstedt, der uns einiges zu erzählen hat. Vorhang auf !

Hallo Martin, ich habe Deine neue Platte „Ströme“ feat. Gewandhaus Chor irgendwo entdeckt ! Das klang für mich schon mal spannend. Dann habe ich einmal in Deine aktuellen und älteren Arbeiten reingehört und war äußerst angetan von den atmosphärischen Klavier Klängen in Verbindung mit filigraner Elektronik.

Daher schon mal die Frage an den Dich, wie bist Du zu solch Klängen und der Elektronischen Musik allgemein gekommen, wann begann es ??

Die Wurzel ist und bleibt das Piano. Alle intuitiven Kompositionen aus dem Moment werden größtenteils aus längst Vergangenem inspiriert und setzen sich immer wieder neu zusammen. Um das kalte Wasser echter Improvisation erhalten zu können, brauchte ich irgendwann einen Diskurspartner auf der Bühne – ein artifizieller Gegenspieler zum organischen Sound des Pianos der nicht vom modularen Vokabular abhängig war und dadurch viel intuitiver und unmittelbarer agieren sollte. Auf einmal kam mein erster Synthesizer ins Spiel. Nun konnte ich „schreien“, Tore zu neuen Gefilden öffnen, große Druckluftschlösser aufbauen oder alles mit einem Whitenoise reinwaschen, wenn sich das Stück zu sehr verkopfte.

Zu Deiner aktuellen Veröffentlichung „Ströme, wie kamst Du auf die Idee einen Chor mit 70 Leuten in Deine Klänge einzubauen oder um sie herum zu komponieren. Wie läuft das bei Dir im Studio sonst ab, wie wird da produziert bei z.b. Alben wie „Nacht“ oder „Tag“ ??

Ich bin ein Eigenbrödler, brauche den Rückzug bei mir zu Haus am eigenen Klavier. Es muss ziemlich viel stimmen, bevor ehrliches Zeug aus dem Unterbewusstsein heruasläuft; das man die zarten ersten Gebilde nicht durch unangebrachte virtuose Schnörkel bewusst zu verändern versucht. „Tag“ und „Nacht“ waren deshalb auch für mich die Suche nach meinem Grundvokabular – der Versuch sich daran zu erinnern, wie man sich als 13jähriger an die Tastatur gesellte und ganz ohne Ziel Motive zusammenbaute ohne weiteres von dem Instrument und der Musik zu verlangen. Ähnlich wie die elektronischen Sounds diese Stücke konfrontierten bestand auch der Reiz einen klassisch perfektionierten Chor gegenüberzustellen, einfach weil es ersteinmal nicht möglich scheint. Das schreit nach Reibung und da bin ich natürlich sofort zugegen.

Welche Instrumente / Synthesizer hattest Du generell über die Jahre verwendet und welche Techniken prägen Dein aktuelles Soundgebilde, alsowie sieht Deine Produktionsumgebung und Dein Equipment ( Studio – Hard und Software ) im Studio gerade aus ??

Erst schlug mein erstes Fender Rhodes Mark 1 die Brücke vom Klavier zur Elektronik. Dazu mein KorgMS2000 Synthesizer, ein wahrer kleiner Allrounder,der mich auf der Bühne schnell zu den Sounds brachte die mir beim improivisieren einfielen. Da ich gerade im Studio sitze brauche ich mich nur umschauen. Ein Yamaha CP70, der gute Alte Juno60, gern kombiniere ich die analogen Sounds mit den Sounds alter Sampler, mein Roland Phantom XR. Auf dem Computer bin ich noch alter Verfechter von Samplitude in Kombination mit allen Späßen von Native Instruments im Kontaktplayer, gerade in vielen Filmmusiken mein Rettungsboot. Da hinten steht mein renovierter Blüthner Flügel aus 1915er Fürstenerbe, darunter eine undefinierbare Effektkette, bei der ich manchmal selbst nicht weiß, was sie wieder vorhat.

Einige Musiker arbeiten mit analogen Synthies anstatt mit digitalen Computern und Software, klingen analoge Sounds wärmer und sind somit eine emotionale Komponente in der elektronischen Musik oder bist Du reiner Digital Fan ??

Nunja, mit digitaler Soundsynthese kann man grandiose One Night Stands haben – die wahre Liebe jedoch finde ich persönlich in analogen, organischen Synthesizern. Auf der Bühne lasse ich mir das Ende offen, meistens wird es eine Kombinationen aus beidem.

Setzt Du auch Samples und Effekte ein und welche Plug in sind Deine Favoriten ??

Die meisten Sample-Streiche löse ich über die MPC oder über meinen Roland Fantom XR, für Effekte mag ich das Line6 M13 kombiniert mit ein paar Gitarreneffektgeräten. Bekommt das Rhodes einen leicht angezerrten Tube Delay, der dann nach und nach im Feedback detuned, kannst du mich beruhigt schlafen legen – mehr braucht der Tag nicht.

Ist Deine Technik ( Keyboard / Synthesizer ) bei Liveauftritten grundsätzlich anders als im Studio ??

Nein, mein Studio ist die Bühne, da gibt es keine Differenzierung. Manchmal dünne ich live ein paar Möglichkeiten aus, damit die Vielfalt mich während des Livegeschehens nicht blockiert.

Bist Du zudem ein Sammler von Antiquarischen Synthesizern, eventuel noch von Geräte aus Deinen Anfangszeiten der frühen Jahre ?

In dem Punkt scheint bei mir das Schicksal mitzuwirken, denn all die 7 Synthesizer, die ich besizte, sind mir irgendwie zugeflogen. Ich mag es eigentlich meine Geräte bis ins Mark zu verstehen und anzuwenden. Je mehr Synths sich bei mir finden, desto mehr verfalle ich dem durchklicken von Presets und bin vom Wesentlichen abgelenkt – den Gedanken, den ich gerade noch hatte in Strom zu übersetzen.

Welche technische Entwicklung würdest Du Dir für den Elektro Musikbereich noch wünschen, benutzt Du Apple oder Windows??

Gerade programmiere ich eine Maschiene die Samples aus ihrer Umgebung sammelt, abgleicht, eine Bibliothek daraus entwirft und sie anwendbar macht für eine selbstgenerierte Komposition. Sie lernt gerade zu spielen wie ich und analysiert meine Spielweisen, dadurch gewinne ich wieder einen weiteren Einblick in meine Intuition – Immer dann, wenn sie etwas nicht hinbekommt. Aufgeführt wird das Ganze zum ersten Mal beim diesjährigen Burning Man Festival in der Wüste Nevadas und dient mir als wohl ewig währendes Forschungsprojekt. Ich denke mal viele KI’s sind da schon tiefgründiger am Werk und gerade mit den Anbindungen neuronaler Netzwerke könnten wir uns nach und nach dem menschlichen Ursprung der Musik wieder nähern, das würde ich mir dann auch wünschen. Da ich programmiere erübrigt sich die Frage nach dem Betriebssystem.

Zum Schluss ein kleiner Ausblick: Was möchtest Du Musikalisch noch umsetzen z.b. eventuell etwas im Bereich der Filmmusik ??

Die Filmmusik hat es mir schon angetan, ca. 3-4 Produktionen im Jahr verwüsten mir hier meinen Desktop. Hinzu kommt meine Kompositionsmaschiene, das wird mit jedem Monat spannender. Gerade führe ich auch die ersten Chor-Fetzen aus dem Projekt „Ströme“ zurück auf die MPC und bereite kleine elektronische Pralinchen vor für die Festivalsaison 2020 vor. Es wäre ja schön, wenn ihr vorbei kommt, vielen Dank !

(S.Erichsen)

(Photos: Copyright J-Konrad-Schmidt / Mike Zenari)