CURRENT 93 – Live in Berlin 2018 : EIN KONZERTBERICHT

Am Vorabend des zweiten Advents verdunkelte sich Berlin: Current 93 gastierten im abseits des Zentrums, direkt an der Spree gelegenen Funkhaus Berlin und präsentierten im Großen Aufnahmesaal der ehemaligen Heimstatt des DDR-Rundfunks ihr neuestes Album The Light Is Leaving Us All.Den Prolog des Konzerts bildete eine dreiteilige Klangcollage: das ein idyllisches England aus längst vergangenen Tagen beschwörende Hushabye Mountains aus dem Musical-Fantasy-Film Chitty Chitty Bang Bang ging über in das Leitmotiv aus Jeff Waynes Vertonung von H. G. Wells Klassiker War Of The Worlds, wo ebenjene Idylle von Marsianern genüsslich vernichtet wird. Den Abschluss bildete dann Chirpy Chirpy Cheep Cheep in der Version von Middle Of The Road, das mit Sirenen und anderen Geräuschen gemischt wurde, um in einer infernalischen-apokalyptischen Lärmkaskade zu münden. Während das letzte Dröhnen verklang, betraten David Tibet und seine Mitstreiter Alasdair Roberts (Gitarren), Aloma Ruiz Boada (Violine), Andrew Liles (Elektronik, Schlagzeug), Ossian Brown (Drehorgel), Reinier von Houndt (Tastenistrumente) und Michael J. York (Flöte, Dudelsack) die Bühne. In der folgenden Stunde präsentierten die apokalyptischen Barden eine 1:1-Interpretation von The Light Is Leaving Us All, einschließlich des auch auf dem Album allgegenwärtigen Vogelgesangs, welcher der Darbietung einen ganz besonderen Zauber verlieh. Meines Wissens haben Current 93 in der Vergangenheit keines ihrer Alben in dieser Form live aufgeführt und unterstrichen so den Charakter von The Light Is Leaving Us All als einem organisch zusammengefügten Konzeptalbum, das nicht in seine Einzelteile zerlegbar ist.

Wie man es von der Band kennt, verzichteten Current 93 auf eine spektakuläre Show, im Mittelpunkt standen einmal mehr der charismatische Gesang von David Tibet, seine alpträumerisch-verrätselten Lyrics sowie eine Musik, die den dynamischen Neo-Prog-Rock der letzten Jahre verlassen hat, um sich wieder mehr dem Folk anzunähern. Da der gar nicht so große Aufnahmesaal es Band und Publikum ermöglichte, eng zusammenzurücken, entstand eine intime Wohnzimmeratmosphäre, die der Musik einen ganz speziellen Raum zur Entfaltung gab.

Im Zugabenteil griff David Tibet dann beherzt in die Kiste seines reichhaltigen Repertoires, ohne allerdings einige der großen Klassiker aus den frühen Tagen zu berücksichtigen. Zu hören waren Niemandswasser, Then Kill Ceasar, All The World Makes Great Blood (das Tibet in einer seiner wenigen Ansagen seiner Freundin Ania Goszczynska widmete) und The Blue Gates Of Death. Man hätte der glänzend eingespielten Band noch stundenlang weiterlauschen können, aber mit dem einschmeichelnden Schlaflied Hushabye Mountains  schloss sich der musikalische Kreis dieses Abends an der Spree. Nach über eineinhalb Stunden in der Klang- und Bildwelt David Tibets kehrte das Licht zurück und das Publikum verlor sich in der Berliner Nacht.   (M.Boss)

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