Jean Michel-Jarre und „Oxygene“ das sind mittlerweile zwei Synonyme. 1976veröffentlicht, hat sich „Oxygene“ bis heute ca. 12 Millionen mal verkauft. Damit ist dieses Album einer der Meilensteine der analogen Synthesizer-Musik der 70ies und brachte diese Art von Klängen einem großen Publikum nahe, das bisher Berührungsängste mit elektronischer Musik hatte. Was dazu führte, dass viele JMJ für einen Pionier hielten, andere ihm – bis heute – die Verkommerzialisierung und den Ausverkauf der elektronischen Avantgarde vorwerfen.
Beides ist nicht ganz richtig. Der heute 70-jährige JMJ wurde 1948 als Sohn des Filmkomponisten Maurice Jarre geboren, kam also schon früh mit Musik in Berührung. Während sich viele deutsche Elektroniker von KH Stockhausen inspirieren ließen, trat Jarre schon 1969 der „Groupe De Recherches Musicales“ bei, die von Pierre Schaeffer geleitet wurde, dem Namensgeber der Musique Concrete und beschäftigte sich schon sehr früh mit elektronischer Klangerzeugung und Klangmanipulation. Jarres erste zwei Alben „Les Granges Brulée“ und „Desert Places“, beide 1973 veröffentlicht, waren bereits Synthesizer-Platten und enthielten Musik für reale oder imaginäre Film- und Fernsehproduktionen, die eher an die Synthi-Novelty-Hits der damaligen Zeit erinnerten. Als „Oygene“ 1976 produziert wurde, gab es bereits „Ricochet“ von Tangerine Dream, „Timewind“ und „Picture Music“ von Klaus Schulze oder auch Isao Tomitas „Pictures At An Exhibtion“. Das Parkett, auf dem JMJ nun tanzte, war bereits gelegt. Wann immer ich andere Pioniere und Zeitgenossen der Elektronik sprach und das Thema JMJ aufkam, gingen die Meinungen und Einschätzungen deutlich auseinander.
Als ich Edgar Froese 1997 interviewte, ließ er an der damals veröffentlichten Fortsetzung von „Oygene“ kein gutes Haar: Er würde sich schämen, etwas derart anachronistisches zu veröffentlichen. Ironischerweise wurde Froese und JMJ später gute Freunde und das letzte Stück, das der ehemalige TD-Kopf zu Lebzeiten aufgenommen hat, war mit JMJ. Auch in meinen zahllosen Gesprächen mit Klaus Schulze war JMJ oft Thema. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Kollegen hatte Klaus Schulze einen hohen Respekt vor JMJ: Er habe das geschafft, wozu sich Klaus selbst nie in der Lage sah: Elegische, visionäre Synthesizer-Epen in einem vierminütigen Popstück zu komprimieren.
Nach dem überwältigenden Erfolg von „Oxygene“ ging JMJ zunächst auf Nummer sicher: Zwei Jahre später erschien 1978 mit „Equinoxe“ der Nachfolger, etwas rhythmischer zwar, aber in Aufbau, Produktion und im Klang dem Vorgänger sehr ähnlich… Nicht wenige Fans mutete „Equioxe“ damals wie ein zweiter Teil des ersten „Oxygene“-Albums an – aber der sollte erst – genau 20 Jahre später im Dezember 1996 veröffentlicht werden, weitere 20 Jahre später dann der dritte Teil.
Jean-Michel Jarre: Ich hatte immer Probleme damit, Titel für meine Stücke zu finden. So habe ich die Stücke auf „Oxygene“ und „Equinoxe“ einfach durchnummeriert – und schon damals waren sie wie einzelne Kapitel eines Buches, dem eine Fortsetzung folgen könnte. Zudem mag ich Fortsetzungen, vor allen Dingen im Film und im Fernsehen. In der Musik sieht man das viel zu selten. Bei den Fortsetzungen von „Oxygene“ habe ich darauf geachtet, dass es einen musikalisch roten Faden gibt – bei „Equinoxe“ war das Cover-Artwork von Michel Granger die Initialzündung.
Das Cover von „Equinox 1“ mit den vielen durch Ferngläser beobachtenden Kreaturen ist sicher eines der ikonenhaftesten Cover überhaupt. Ich dachte, es wäre ganz witzig, sich vorzustellen, was mit diesen Figuren, diesen Wächtern passiert ist. Es ist also eine Art „Equinox“ auf Stereoid , ein Reboot.
Im Gegensatz zu den auch musikalisch schlüssigen Fortsetzungen von „Oxygene“ weist das neue „Equinox“-Album musikalisch nur wenig Parallelen zu dem Vorgänger auf..
Jean-Michel Jarre: Richtig. Die Fortsetzungen von „Oxygene“ waren immer eine musikalische Weiterentwicklung des Originals. „Equinox Infinity“ ist zwar Teil derselben Welt, verhält sich aber eher so wie „Blade Runner 2“ zu „Blade Runner 1“. Es sind zwei verschiedene Stories. Der erste Teil von „Equinox“ – der Tag und Nacht Gleiche – war eine Wanderung durch den Tag vom Aufstehen bis zum Tagesende. „Equinox Infinity“ hingegen ist eine Geschichte, die vom Cover-Artwork inspiriert wurde. Die Wächter mit den Ferngläsern symbolisieren die technische Evolution. Die Wächter, diese Technologie beobachtet uns, lernt von uns und werden eventuell irgendwann die Macht übernehmen. Wir beschäftigen uns ja schon jetzt mehr mit unserem Smartphone als mit unserem Partner oder unserer Familie. Doch dabei beobachtet UNS die Technologie. Sie spioniert uns aus und verkauft uns Produkte, die wir nicht brauchen. Wir können mit der zunehmenden Technologie nur überleben, wenn wir sie klug und sinnvoll in unser Leben und unsere Umgebung integrieren. Das kann gelingen – oder auch nicht. Darum wurde „Equinoxe Infinty“ mit zwei verschiedenen Covern veröffentlicht: Eines ist friedlich in grün und blau – das andere zeigt die Apocalypse. Einmal Utopia, einmal Distopia. Und die Musik sollte ein Soundtrack sein, der zu beiden Welten passt.
Musikalisch mutet „Equinoxe Infinity“ dabei teilweise wie ein gewollter Bruch zum Vorgänger an.
Jean-Michel Jarre: Als ich mit dem zweiten Teil von „Equinox“ begann, hatte ich überlegt, dieselben Instrumente einzusetzen wie auf dem ersten Teil, ebenso wie ich es bei den „Oxygene“-Fortsetzungen gemacht habe. Da ich aber auch bei der ersten Produktion von „Equinoxe“ keine Instrumente eingesetzt habe, die schon 30 Jahre alt sind, wollte ich das auch diesmal nicht tun. Zumindest nicht ausschließlich. So habe ich versucht, die analoge mit der digitalen Welt zu kreuzen.
„Equinox Infinity” ist ein Album, um dem es um den technologischen Aspekt der Menschheitsgeschichte geht. Eine Entwicklung, die JMJ trotz aller Gefahren als eher positiv einstuft.
Jean-Michel Jarre: Als Menschen haben wir immer ein dunkles Bild von der Zukunft. Das hat damit zu tun, dass wir sie nicht vorhersehen können – und sie hat natürlich auch mit unserem EIGENEN Ende zu tun. Doch die meisten Sterne, die wir am Himmel sehen, sind nicht die Zukunft, sondern schon lange verglüht. Auch das Internet ist nicht futuristisch, all unsere Visionen ziehen wir aus Erlebnissen der Vergangenheit. Für mich ist künstliche Intelligenz der Schlüssel zur Zukunft, zumal wir nur einen kleinen Teil unserers Gehilrns nutzen. Wenn der Rest von Maschinen übernommen würde, wäre das eine positive Entwicklung. Natürlich gibt es auch Gefahren und es könnte wie in „Terminator“ enden.
Sowohl „Equinox 1“ als auch die Fortsetzung klingen dank der Elektronik relativ zeitlos.
Jean-Michel Jarre: Was Musik alt klingen lässt oder sie zeitlich verordnen lässt, ist das Klang des Schlagzeugs und des Basses. Wenn das feht– und darüber hinaus auch noch kein Songformat existiert und man nicht für den Dancefloor produziert – ist die Musik ziemlich zeitlos.
Auch wenn wir uns in diesem Artikel hauptsächlich auf die Klassiker “Oxygene” und “Equinoxe” konzentrieren, umfasst das gesamte Schaffen von Jarre natürlich weitere, technisch zum Teil visionäre Alben, die nicht immer vom kommerziellen Erfolg gekrönt wurden. Auf dem 81er Album „Magnetic Fields“ z.B. benutzte er schon sehr früh das digitale Sampling, auf dem 84er „Zoolook“ wurde diese Methode noch verfeinert. Jarre war darüber hinaus immer offen für Experimente – auch mit anderen Musikern. Für sein sogenanntes „E-Projekt“ traf und spielte er sich mit befreundeten Musikern, mit Menschen, die ihn beeinflusst haben – und Künstler, die wiederum von ihm inspiriert wurde. Darunter Namen wie Moby, Gary Numan, Massive Attack, Yello, Pete Townhed, Vince Clark, Edgar Froese, The Orb, Hans Zimmer bis hin zu Edgar Snowden. Diese musikalischen Begegnungen wurden 2015 und 2016 auf den Alben „Electronica 1 und 2“ veröffentlicht.
Wie kam Jarre auf diese Idee – und welcher Künstler hat ihn rückblickend am nachhaltigsten beeindruckt?
Jean-Michel Jarre: Als elektronische Musiker arbeiten wir meist sehr isoliert und sind allein mit uns. Ähnlich wie ein Autor oder Maler. Mein Wunsch war es, anstatt sich über Soundfiles im Internet auszutauschen und zusammen zu arbeiten, die Menschen von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Die Begegnung mit Pete Townhend von The Who war sehr beeindruckend. Es war mir sehr wichtig, dass er dabei ist, denn viele übersehen, dass Pete Townshend auf so epochalen Stücken wie Baba O Reilly“ oder Alben wie „Who’s Next“ oder „Quadrophenia“ einer der ersten britischen Rockmusiker war, der den Sequenzer verwendete. Peter Townshend ist immer noch Punk, Rebell, genauso begeisterungsfähig wie ein 17jähriger Teenager und ausserdem ist er ein Musiker, der auch heute noch genau mitbekommt, was draussen vor sich geht.
Was waren die Parameter bei der Zusammenarbeit mit seinen berühmten Kollegen – und was hat JMJ bei diesem Projekt für sich gelernt?
Jean-Michel Jarre: Ein Dogma war, dass jeder Song 50/50 sein sollte. Ich habe versucht, mein Gegenüber zu respektieren, Ich habe es vermieden, ein Soundfile von mir bearbeiten zu lassen, sondern jedes Stück beinhaltet 50 % JMJ und 50% meinen Gast. Jeder Musiker, mit dem ich gearbeitet habe, war eine Inspiration, hatte seine eigene musikalische Identität und seinen eigenen Sound. Du musst nur 30 Sekunden ein Gary Numan-Stück hören – und du weisst, es kann nur GN sein, egal welchen Stil er gerade bevorzugt. Ich habe gelernt, dass, was immer Du als Musiker versuchst: Du bleibst Du selbst und kannst Dir nicht entfliehen. Im Prinzip machst Du immer dasselbe, egal, ob Du experimentierst oder nicht. Was mich wirklich antreibt, ist die Neugier und Besessenheit, diese Mixtur aus Frustration und Hoffnung, eines Tages doch noch das definitive Album zu kreieren. Und da es nie gelingen wird, das ideale Album zu schaffen, werde ich immer weiter machen.
(E.Stieg)
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