Die TV-Serie „Babylon Berlin“ ist ja gerade in aller Munde und wer aus diesem bildgewaltigen Sittengemälde der 20/30er Jahre keine Parallelen zu der aktuellen Lage in Deutschland ziehen kann, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Von „Oben“ wie „Unten“ werden wieder die gleichen Fehler gemacht und wahrscheinlich soll oder muss es so sein, dass sich Geschichte wiederholt! Das musikalische Solo-Projekt von Tobias Herzz Hallbauer aus Dresden namens SØNDERLING legt deshalb seit einiger Zeit mit seinem Elektrokabaré den Finger in die offene Wunde. Dieses Jahr erschien dann die CD „Piratencabaret“, welche ein künstlerischer Crossover aus Musik, Hörspiel und Theater ist und für mich eines der Alben des Jahres darstellt. Nervös gesamplete und geloopte Jazz & Swing-Sounds mit Lo-Fi-Charme, treffen dabei auf Beats aus dem Laptop und Texte inspiriert vom Roman „Leb wohl, Berlin“ von Christopher Isherwood, welcher ja auch die Grundlage für das weltbekannte Musical „Cabaret“ war. Ich selbst habe den Sound vom SØNDERLING als ST GERMAIN trifft Brecht/Weill und Max Raabe umschrieben und alles weitere erklärt Tobias Herzz Hallbauer anschließend im Interview selbst:
? Tobias, wenn ich mich recht erinnere, bist Du ja als freier Theater-Schauspieler unterwegs – sicher ein hartes Los in heutigen Zeiten und kann man davon leben?
Das ist so nicht ganz richtig. Auch wenn ich fast immer in einem Theater-Kontext auf der Bühne stehe, würde ich es dennoch nie wagen, mich als Schauspieler zu bezeichnen. Ich bin Theatermusiker – das trifft es wohl am besten. Und wenn es notwendig ist, in diesem Zusammenhang szenisch zu agieren, tue ich es halt. Tja… und ob man davon leben kann…: Ich mache das jetzt schon seit über zwanzig Jahren und es ging und geht immer irgendwie. Mal besser, mal schlechter.
? Als Musiker bist Du mir erstmals mit Deiner Band HERZZ ins Radar gekommen und ich hatte die Gelegenheit, mit Euch für die letzte gedruckte BLACK-Ausgabe Nummer 50 ein Interview zu machen. Jetzt 9 Jahre später gibt es HERZZ schon lange nicht mehr, aber nach dem Ende der Band folgten einerseits die großartigen MACHINE DE BEAUVOIR und Dein Solo-Projekt SØNDERLING – warum hat es mit HERZZ letztendlich nicht geklappt?
Wir haben HERZZ natürlich nie offiziell aufgelöst… Aber ab 2011 etwa traten, bei fast jedem in der Band, Projekte, die bis dato eher „nebenbei“ liefen, mehr in den Fokus. Wir haben noch häufig Konzerte gespielt – aber fanden nicht mehr die Zeit und vor allem die Muße, um an neuen Songs zu arbeiten. Dann musste ich krankheitsbedingt im Herbst 2012 kurzfristig eine Mazedonien-Tour absagen und bin dann bis Mitte 2013 erst einmal in der Versenkung verschwunden. Als ich da wieder rauskam, hatte sich vieles verändert: Die herrliche MACHINE DE BEAUVOIR war anständig losgerollt und ich selbst kam aus der Versenkung auf einem anderen Territorium raus, als ich rein geschlittert war. Da war´s dann irgendwie vorbei mit der Band, aber ganz undramatisch, eher organisch und ein Lauf der Zeit halt…
? Deine Solo-Aktivitäten sind ja von einer stetigen Transformation durchzogen und der Weg bis zur aktuellen SØNDERLING-Inkarnation war lang – kannst Du diese Wandlung kurz umreißen?
Oh… ich versuch´s mal „in kurz“: Den SØNDERLING habe ich mir 2014 „gebaut“ – anfangs nur, um mir selbst einen komplett neuen Freiraum zu schaffen. Unter meinem eigentlichen Namen hatte ich ja einige Projekte und Produktionen erarbeitet, die alle recht unterschiedlich waren und in verschiedensten künstlerischen Genres angesiedelt. Irgendwie wollte ich aber einfach mal nur Projekt unbezogene Musik machen und zwar die, auf die ich gerade Lust hatte. Die Maxime hieß dann einfach: Ein SØNDERLING darf alles! Nach meiner ersten Live-Show als SØNDERLING im Herbst 2014 schlug dann aber sofort wieder meine Theater-Ader zu und ich fing an, spezieller an dieser Figur zu feilen und an dem, was ich mit ihr anrühren, oder sogar bewegen könnte. So entstand dann nach und nach diese ambivalente Dark-Cabaret-Gestalt. Und daraus resultierend wieder eine konkretere Musik, die ihre Wurzeln hauptsächlich in den Theatersongs der 20er Jahre hat; sie aber durch Samples, Programming, Synthesizer usw. in einen heutigen musikalischen Kontext setzt.
? Neben VELVET UNDERGROUND & NICO, war auch David Bowie ein wichtiger Einfluss auf Deine musikalische Sozialisation – wie hat Dich sein plötzlicher wie unerwarteter Tod getroffen?
Mit voller Härte im Halbschlaf, nach durchgemachter Nacht morgens sieben Uhr per SMS. Es war wirklich ein heftiger Schlag, da wir (die Dresdner Theater-Company „Freaks und Fremde“ und ich) kurze Zeit vorher Premiere mit der Produktion „Loving The Alien“ hatten. Für dieses Stück hatte ich über ein Jahr lang Bowie-Songs gecovert und neu eingespielt – das war wie ein Rausch, ich konnte gar nicht mehr damit aufhören und war vollkommen „bowiesiert“. Im Stück singe ich die Songs live und am Abend vor seinem Tod hatten wir auch noch Vorstellung mit anschließender Bowie-Geburtstagsparty… ich konnte Bowie für ein paar Monate wirklich nicht mehr anhören.
? Da Du ja mit Deinem „Elektrokabaré“-Programm schon länger unterwegs warst, überraschte jetzt das SØNDERLING-Debüt-Album „Piratencabaret“ mit komplett neuen Songs und Konzept – wieso diese Verschiebung und wird es die „Elektrokabaré“-Songs auch noch auf Tonträger geben?
Die „Elektrokabaré“-Songs wird es geben und das Album ist so gut wie fertig gemischt. Aber es ist noch nicht klar, wann. Mir scheint zur Zeit das „Piratencabaret“ des SØNDERLINGs Nonplusultra zu sein, was an der Brisanz der Thematik und Texte liegt und mir einfach in unseren Zeiten unter den Nägeln brennt. Daher auch die Verschiebung, die – um das ausdrücklich zu erwähnen – explizit dank Ralf Friel von MOLOKO+ möglich wurde. Durch Ralf gab es auch den Kontakt zu Ole Christiansen, der das Layout und die Grafik für das Album gestaltete. Wie ich jetzt erst erfuhr, ist Ole Christiansen bereits im Juli verstorben und mich hat das sehr getroffen. Leider habe ich ihn nie persönlich kennengelernt und hatte auch keinen direkten Kontakt zu ihm; aber er muss ein unglaublich sensibler, außergewöhnlicher Mensch gewesen sein. Ohne dass ich ihm irgendeine zusätzliche Information zum Konzept der Arbeit gegeben hätte (er kannte nur die Musik), hat er ein Cover gestaltet, dass mich und alle meine „Piraten“ sehr bewegt hat. Es ist absolut perfekt und anrührend und uns blieb regelrecht die Luft weg, als der Entwurf kam. Ich wäre ihm so gern einmal begegnet…
? Das Konzept des „Piratencabaret“ basiert auf dem Roman „Leb wohl, Berlin“ von Christopher Isherwood, welcher ja auch die Vorlage zum Film „Cabaret“ war – was bedeutet Dir diese Vorlage?
Den Film kannte ich natürlich und es reifte, parallel zum Ausbau der SØNDERLING-Figur in die Form, die er jetzt hat, sehr schnell der Gedanke, „Cabaret“ auf die Bühne zu bringen, natürlich mit dem SØNDERLING als Conferencier. Außerdem hatte ich die große Freude, in Sandra Maria Huimanns (allen bekannt als Frontfrau von MACHINE DE BEAUVOIR) erster Inszenierung, Oscar Wilde´s „Salome“ an den Landesbühnen Sachsen, zum ersten Mal gemeinsam mit der Schauspielerin Julia Rani auf der Bühne zu stehen, und irgendwie war mir klar, dass sie eine perfekte „Sally Bowles“ wäre. Durch die Arbeit an den Landesbühnen und mit der „Cie. Freaks & Fremde“ lernte ich weitere SchauspielerInnen und Performer kennen, die (in meiner Lesart) fast beängstigend gut in die mir vorschwebende Besetzung passten. Dann las ich Christopher Isherwood´s Roman und er hat mich völlig gepackt. Er ist eben nicht Fiktion: er entstand in „Real-Time“ in Berlin Anfang der 30er Jahre und ist ein erschreckend aktuelles Zeitdokument. Bob Fosse’s Film ist natürlich umwerfend; musikalisch und choreographisch faszinierend, aber meiner Meinung nach tangiert er nur die Romanvorlage. Es gibt Figuren, die im Film nur am Rande oder gar nicht auftauchen, aber im Buch eine Tiefe haben, das einem schwindelig wird. So musste also eine eigene Fassung entstehen.
? Die Geschichte scheint sich ja zu wiederholen und gerade die beim „Piratencabaret“ thematisierte Zeit der Weimarer Republik ist im Moment aktueller denn je – siehst Du das ebenfalls so und war das eventuell auch der Grund für die Wahl der Vorlage?
Genau das (und nur das) war der Grund für die Wahl dieser Vorlage!
? Ist es nicht aber nicht gerade spannend, den aktuellen „Tanz auf dem Vulkan“ hautnah mitzuerleben? Gerade für unsere Generation, die schon einmal einen krassen Systemwechsel miterlebt haben, bietet sich jetzt eine weitere seltene Gelegenheit, richtige Geschichte zu erfahren oder wie siehst Du das?
Na ja, als „spannend“ kann ich es für mich nicht bezeichnen. Es ist, milde ausgedrückt, besorgniserregend, was gerade geschieht. Ich hätte nie gedacht, dass es (in diesem Fall speziell als Künstler) schon bald durchaus möglich sein könnte, dass man sich in einer Art „Hendrik-Höfgen-Situation“ wiederfindet. Man schaue nur mal auf das Wahlprogramm der AfD unter dem Menüpunkt „Kultur und Medien“: da wird einem himmelangst. Wenn solch ein Denken die Kulturlandschaft bestimmt (ich bleibe jetzt mal rein bei der Kunst und Kultur), kann man als weltoffener, experimentierfreudiger, in Subkultur und Nicht-Kommerzialität verwurzelter Künstler, eigentlich einpacken. Es hilft nur, sich so unabhängig wie möglich zu machen und umso mehr dranzubleiben. Der damalige Systemwechsel war für mich spannend und vor allem aber, weil ich ihn mit fünfzehn Jahren erlebt habe und somit genau in einem Alter, in dem ohnehin alles unstet, neu, ungewohnt ist. Da standen plötzlich ungeahnte Türen offen und es sind bei Gleichaltrigen die unterschiedlichsten, wildesten, bemerkenswertesten Lebenswege und -geschichten in alle Richtungen und Höhen und Tiefen daraus hervorgegangen. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang auch die Verbindungen zu jenem Umbruch zweihundert Jahre früher: Verschiedene Persönlichkeiten, die zum Zeitpunkt der Französischen Revolution ebenso in diesem Alter waren, haben sich auf Pfade begeben, die ungewöhnlich waren und bis heute wirken. Entscheidend dafür ist immer der Zustand, in dem Neues entstehen kann – in großer, wie in kleiner Dimension: zwischen den Ordnungen, zwischen Zeit und Zeit oder eben einfach „zwischen den Stühlen“.
? Unser Sachsen und insbesondere Dresden ist ja dabei als absoluter Hort des Faschismus und Fremdenhass ausgemacht worden – wie erlebst Du diese Situation in unserem Bundesland?
Das ist eine äußerst schwierige Frage und ich glaube, ich kann nur auf einem Umweg darauf antworten… Durch mein Tun bin ich sehr viel unterwegs und mittlerweile in ganz Europa. Und eben nicht als Tourist und „Draufschauer“, sondern mittendrin. Man arbeitet vollkommen selbstverständlich mit den unterschiedlichsten Menschen, gerade auch am Theater. Und in den großen Städten atme ich wirklich auf, weil es in den unmittelbaren Begegnungen offen und ohne Hass zugeht. Das Problem liegt, meiner Meinung nach, allein in der Provinzialität. Sowohl örtlich, als auch in den Köpfen. Dresden ist so eine kleine Prinzessin: ja, sie war und ist schon immer sehr schön und malerisch und nicht umsonst seit jeher Anziehungspunkt gewesen. Aber, wenn dieses Prinzesschen sich nur immer und immer wieder im Spiegel anschaut und sich an ihrer Schönheit ergötzt, fängt sie an, die Welt um sich herum zu vergessen und bleibt in ihrer Selbstverliebtheit stecken. Jede Veränderung, jeder frische Wind, jede Erschütterung im Gang der Welt wird als Bedrohung empfunden. „Wir haben es schon immer so schön und geordnet hier und wollen auf gar keinen Fall, dass sich daran auch nur das Geringste ändert“. Hass auf das Fremde resultiert allein aus der Angst vor dem Fremden. Neugierde auf das Fremde, Unbekannte (und das kann durchaus eine zunächst scheue Neugierde sein) wäre doch ein so viel besserer Weg?! Da ich hier geboren und aufgewachsen bin und nur mit kurzen Unterbrechungen seit über vierzig Jahren hier lebe, kann ich das, aus unmittelbarer Erfahrung heraus, sagen: Diese merkwürdige Angst und der daraus resultierende Hass sind hier – aber eben nicht nur hier – schon lange eingepflanzt in die Köpfe. Jetzt bricht es sich öffentlich Bahn. Aber: Trotzdem komme ich seit zwei Jahren, im Gegensatz zu den Jahren davor, immer wieder sehr gern zurück in die Stadt und zwar aus dem Grund, dass ich seit dieser Zeit im ZENTRALWERK in Dresden-Pieschen wohne und arbeite – einer Kultur- und Wohngenossenschaft in einem ehemaligen Fabrikkomplex mit äußerst wechselhafter Geschichte. Hier begegnen sich jeden Tag Menschen verschiedenster Herkunft, Vergangenheit, Gesinnung und Profession. Das fühlt sich unglaublich gut an und beginnt auch, in diesem „schwierigen“ Stadtteil zu wirken. So bekam ich zum Beispiel die schönsten Reaktionen auf das ja explizit geschichtlich-politische „Piratencabaret“ von Leuten, von denen man am ehesten festgefügte „Stammtisch-Meinungen“ erwartet hätte und die sich „So etwas“ vor gewisser Zeit wohl nie angeschaut hätten.
? Kennst Du die Bestseller-Reihe von Volker Kutscher, welche inzwischen unter dem Namen „Babylon Berlin“ verfilmt wurde und ebenfalls in dieser aufregend-spannenden Zeitepoche handelt? Musikalisch ist der Soundtrack zur Serie ja nicht ganz unähnlich dem Sound vom SØNDERLING…
Da muss ich gestehen, dass ich weder TV noch sonst was besitze, um Serien zu schauen und beim Sitzen vorm Rechner schnell nervös werde und irgendwas anderes machen muss. Ergo: ich kenne die Serie vom Namen her und alles, was ich darüber höre, klingt sehr spannend – aber nein: gesehen habe ich noch nichts davon. Gelesen auch nicht. Das wusste ich gar nicht – das gibt es als Buch?
? Die Live-Premiere von „Piratencabaret“ fand an drei aufeinander folgenden Tagen im absolut intimen wie beengten Rahmen im Zentralwerk statt und hätte sicher auch auf großer Bühne Erfolg gehabt – was ist Dein persönliches Fazit der Premiere und warum diese bewusste Limitierung für das Publikum?
Die drei ersten Aufführungstage im Mai waren unbeschreiblich und vergingen wie im Flug; erst im Nachhinein, als ich Videoaufzeichnungen sah, wurde mir langsam klar, was wir da in einem enorm kurzen, aber total intensiven und dennoch genussvollen Probenprozess auf die Bühne gebracht haben. Es war der Abschluss einer, für mich, knapp anderthalb Jahre langen Arbeit daran, die wirklich alle Höhen und Tiefen – persönlich und künstlerisch (obwohl das bei mir quasi nicht zu trennen ist) – enthielt. Die Limitierung auf diesen winzigen Cabaret-Raum war auch Teil davon: Das Projekt war angedacht für eine große Bühne, mit Live-Kapelle, noch mehr Beteiligten und einer Raum-Situation wie in den früheren Varietés. Da war vieles bereits erarbeitet und auch finanziell bereits angekurbelt. Aber dann kam, nach fünf Monaten oder so, von Verlagsseite eine Absage betreffs der Textrechte. Nur zwei Sätze: „Thank you for your interest. We are sorry to report, that these rights are not available.“ Nachdem ich, ein paar Tage später, wieder vom Grund eines Whisky-Sees auftauchte, dachte ich mir: Jetzt erst recht! Wir umgehen diese rechtliche Klippe geschickt, machen alles kleiner, aber vollkommen unabhängig. Das Problem dabei war natürlich, dass ich meinen Darstellern keine festen Honorare mehr garantieren konnte, da wir komplett „gegen den Hut“ spielen mussten. Aber das war einer der berührendsten Momente, die ich je erlebt habe: alle Beteiligten haben gesagt: „Wir bleiben dabei“. Wahnsinn! Und es war (und ist!) die perfekte „Crew“ an Bord dieses Piratenschiffs.
? Nach der großartigen Premiere von „Piratencabaret“ im Zentralwerk bist Du nach eigener Aussage in ein „schwarzes Loch“ gefallen – wie muss man sich so einen Zustand nach drei wirklich erfolgreichen Tagen vorstellen?
Zu tun hat das natürlich mit all dem, was ich schon in der vorherigen Antwort angeführt habe: Anderthalb Jahre intensive Arbeit, zehn Tage wunderbare Proben, drei Tage lang herrlichstes Spielen und dann… ist das Cabaret plötzlich leer, die Stühle hochgestellt, die Bühne noch im Zustand der letzten Szene und der Raum im Zustand der Abschlussparty… Da steht man dann mit dem Besen in der Hand alleine da drin und weiß: Jetzt ist es erst einmal vorbei. Da hilft bei mir kein Erfolg oder so – da kannst du nur noch heulen. Und die alltäglichsten Tätigkeiten dauern plötzlich Stunden. Aber irgendwie schaffe ich es zum Glück bislang fast immer, mich an den eigenen spärlichen Haaren selber wieder aus der dunklen Röhre zu ziehen. Da reicht manchmal nur eine kleine, zündende Idee für etwas und die Situation verkehrt sich wieder ins Gegenteil. Dann geht es mit vollen Segeln auf in das nächste Experiment oder so…
? Ein ebenfalls sehr spannendes Projekt, an dem Du beteiligt bist, ist DIE ELEKTROHAND GOTTES zusammen mit dem österreichischen Schauspieler Philipp Hochmair, welches insbesondere in dessen Heimatland so richtig durch die Decke geht – wie ist der aktuelle Stand dabei?
„…durch die Decke“ trifft es am besten. Gerade als wir mit der ELEKTROHAND (also meinen äußerst geschätzten Kollegen Jörg Schittkowski und Alwin Weber) und Philipp in Dresden im Studio waren (bei unserem äußerst geschätzten Sound-Master Nikolaus Woernle), um am Album zu „JEDERMANN Reloaded“ weiterzuarbeiten, bekam Philipp einen Anruf der Salzburger Festspiele, ob er am kommenden Tag für den erkrankten Tobias Moretti den „Jedermann“ auf dem Domplatz in Salzburg übernehmen könnte. Also innerhalb von dreißig Stunden… Er hat natürlich zugesagt. Ein totaler Wahnsinn und so etwas hat´s in der Geschichte der Festspiele noch nie gegeben. Philipp hat in den Vorstellungen total brilliert, was natürlich auch damit zu tun hat, dass er durch unsere gemeinsame „Reloaded-Version“, die wir ja häufig spielen, vollkommen im Stoff steht. Jedenfalls war er am darauffolgenden Tag auf allen Titelseiten der österreichischen Zeitungen und jetzt kann er dort kaum noch auf die Straße gehen, ohne erkannt zu werden. Hierzulande kann man vielleicht gar nicht so nachvollziehen, was der „Jedermann“ in Österreich für eine Bedeutung hat – es ist jedenfalls immens. Für die Band ist das natürlich ein Glücksfall: wir werden allein dieses Jahr noch dreimal am Wiener Burgtheater spielen und die Vorstellungen waren nach zehn Minuten ausverkauft…
? Wie geht es mit dem SØNDERLING weiter?
Des SØNDERLINGs Fokus bleibt auf alle Fälle auf das „Piratencabaret“ gerichtet und wir werden wieder spielen, wenn auch noch nicht genau klar ist, wann. Das ist aber eher ein räumlich-logistisches Problem. Es wird aber natürlich, wann immer es sich anbietet, weiterhin die Solo-Shows geben, in die ja auch eine Prise „Piratencabaret“ eingeflossen ist. An neuem Material aber arbeitet der SØNDERLING gerade nicht. Stattdessen konzentriert sich Herr Herzz Hallbauer auf eine neue Bühnenproduktion im kommenden Jahr.
? Was sind Deine aktuellen musikalischen Favoriten?
Das hat auch mit der kommenden Produktion zu tun. Ich arbeite an einer Bühnenfassung von Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ und da ich Musik fast nur in Arbeitszusammenhängen höre, stammen meine derzeitigen Favoriten aus diesem Umfeld: Jürgen Kniepers Soundtrack zum Film ist großartig; dann gibt es da aber auch noch Nick Cave, Lou Reed und (in Sachen Berlin unumgänglich und für mich am wichtigsten) natürlich die EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN.
? Danke Tobias für dieses ausführliche Interview und alles Gute weiterhin für den SØNDERLING mit seinem „Piratencabaret“ & „Elektrokabaré“. Des weiteren geht Dank an Holm Sohn und Rene Jungnickel für das Fotomaterial.
(Marco Fiebag)