Seit schon fast 18 Jahren geistert jetzt Tobias Herzz Hallbauer durch den musikalischen Untergrund Dresdens, sei es nun Anfangs mit seiner Band HERZZ oder inzwischen mit seinem Solo-Projekt SØNDERLING. Gerade letzteres hat ja schon einige Häutungen durchlaufen und was mal als Nico- & David Bowie-Hommage begann, ist inzwischen im Berlin der 20/30er Jahre angekommen. Er selbst bezeichnet seinen Sound als Elektrocabare‘ und ich würde das Ganze als eine gesamplete wie geloopte Minimal-Ausgabe von ST GERMAIN trifft Brecht/Weil und Max Raabe umschreiben. Das eigentliche „Elektrocabare’“-Debüt-Album steht ja eigentlich noch aus, aber dafür ist jetzt das Konzept-Album „SØNDERLINGs Piratencabaret“ kurzfristig vorgezogen worden, welches den geneigten Hörer zu einem künstlerischen Crossover aus Musik, Hörspiel und Theater mitnimmt. Dies verwundert auch nicht, da Tobias Herzz Hallbauer ebenfalls als Schauspieler tätig ist und diese Fähigkeit vor allen bei den Live-Auftritten des SØNDERLINGs zu Gute kommt. Doch auch auf Tonträger ist diese verruchte Cabaret-Atmosphäre aus der Weimarer Zeit hautnah zu spüren, wenn man sich nur auf die runde ¾ Stunde Laufzeit der CD einlässt. Dem Album liegt der Roman „Leb wohl, Berlin“ von Christopher Isherwood zu Grunde, welcher ja auch Inspiration für das gleichnamige Musical, wie auch den späteren Film „Cabaret“ mit Liza Minnelli war. Dieses melancholisch-dekadente Sittengemälde kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland scheint im Moment aktueller denn je (siehe auch die Serien-Verfilmung der Bestseller-Buch-Reihe von Volker Kutscher namens „Babylon Berlin“) und der SØNDERLING legt dabei genüsslich den Finger in die Wunde. Er lullt uns ein, wiegt uns in trügerisch-glamouröser Sicherheit und lässt uns plötzlich wie unerwartet aufschrecken! Dafür braucht er nur 10 Kapitel bzw. Titel, bei denen er vor allem Unterstützung durch die singenden Schauspielerin Julia Rani in der Rolle der Sally Bowles erhält, die ihre Figur absolut großartig und authentisch verkörpert. Musikalisch stelle man sich dazu das PALASTORCHESTER in der Laptop-Variante und eine etwas halbseidene wie schmutzigere Ausgabe von deren Kapellmeister Max Raabe vor, die im digitalen Sound Jazz- und Swing-Samples mit rudimentären Hip Hop- und Drum’n Bass-Rhythmus kombinieren. Die „Hits“ des Konzept-Werkes sind dann ganz klar „Wir sind das Geld“ und „Chtonk!“, wobei letzteres auf einen Text von Charlie Chaplin aus „Der große Diktator“ fußt und beide Songs auch in das Solo-Programm vom SØNDERLING Einzug gehalten haben. Ganz großes Kino sage ich da nur und die „Piratencabaret“-Premiere mit Musik, Tanz und Theater an drei restlos ausverkauften Abenden im Club „Lady Windermere“ in Dresden war das ebenfalls! Für mich ist „Piratencabaret“ eines der Alben 2018 und ein Interview mit dem SØNDERLING folgt in Kürze auf diesen schwarzen Seiten. (Marco Fiebag)
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