Die Girls Under Glass, die 1986 in Hamburg gegründet wurden, sind leider gerade dabei Ihre Abschiedstour durchs Bundesweite Ländle zu absolvieren. Beim Bremen Konzert traf ich im Merchandise Bereich auf die Band und bekam die Jubiläums Tour CD GUG – XXX 2016 mit auf den Weg ! Nach solchen „Bestechungsversuchen“ muß nun natürlich ein Interview mit den scheidenden Goth Dinos für das Blackmagazin folgen. Der wie ich vor allem auf die älteren Alben wie „Live at Soundgarden“ oder „Humus“ und „Darius“ oder die „Down in the Park“ EP, aber auch die vielen Nebenprojekte wie die kultigen Cancer Barrack mochte, sollte sich die Antworten von Volker Zacharias und Tom Lücke auf der Zunge zergehen lassen. Übrigens sind die Antworten von Tom Lücke, seit seinem Ausstieg bei GUG 1989, die ersten Interview-Antworten, die er nun exklusiv für das Blackmagazin gibt. Das wird hoffentlich vorallem die älteren Fans sehr erfreuen.
Hi Tom und Volker… mit den Girls Under Glass seid Ihr im Jahr 1986 in meiner Geburtsstadt Hamburg gestartet und da es schon sehr lange her ist, vielleicht zuerst mal die Information, vor allem für die jüngeren Blackleser, wie Eure Musikkarriere begann und wie Ihr damals auf die Elektronische Gothrock Schiene mit der Gruppe gekommen seid ?
Tom (Anmerk: für die 2016 / 2017 Anniversary Shows wieder dabei): Hauke und ich skizzierten nach dem Ende von Calling Dead Red Roses erste Ideen für neue Tracks, als dann Volker eines Tages zu uns in den Proberaum stieß. Zu dritt starteten wir die ersten GUG Tracks, die sich rasch formten. Wir machten was wir machten, auch inspiriert durch den damals neuen Sound, der aus UK rüber kam. Aber wir dachten nicht, wir wollen jetzt klingen wie…es ergab sich für uns ganz natürlich. Es war eine Wechselwirkung von Hauke Harms, Volker Zacharias und mir. Auf einem Konzert in Edinburgh lernte ich Mitte der 80-iger Chris Reed kennen (Red Lorry Yellow Lorry). Ich drückte ihm unser Demo Tape in die Hand und sagte „give us a call when you come to Germany“. So spielten wir dann später Supportgigs für die “Lorries” in vollen Hallen. Mit Fields Of The Nephilim war es ähnlich. Ich suchte damals ohne Vorankündigung das Management in London auf und legte unser Tape auf den Tisch. So war das, vor dem WWW (virtuelles Lachen). Beide Bands kopierten wir aber nicht, hatten aber natürlich schon Einflüsse auf uns.
Bitte erkläre unseren Lesern einmal das Konzept eines Girls Under Glass Albums Deiner Wahl.. Was steckte dahinter und wieviel Arbeitszeit habt Ihr in die Produktion investiert und wie lief der Arbeitsprozeß ab ?
VOLKER: Die Ansätze sind tatsächlich bei jedem Album andere, das beinhaltet auch die Frage der Produktionszeit oder wer zu welchem Zeitpunkt mit ins Songwriting einsteigt. Sehr untypisch war die Produktion des Albums „Equilibrium“. Mit dem Album hatten wir uns nach einigen eher experimentellen Alben wieder zu unseren Roots zurückbesonnen und erstmalig wieder ein sehr „klassisches“ GUG Album produziert. Wir haben schon bei den allerersten Songwriting-und Mixing Sessions gemerkt, wie gut die Sachen flutschen und wir sehr schnell zum Endergebnis kamen. Das war eine tolle Erfahrung. Dieses Album schrieb sich quasi fast von selber. Wir waren vom Start bis zum final Mix in nur wenigen Wochen fertig. Den größten Aufwand hatten wir hingegen bei der Produktion des letzten Albums „Zyklus“, welches wir aber in einem externen Studio aufgenommen und gemixt hatten. Hier hatte JP Genkel (u.a. auch bei Lacrimosa tätig) einen großen Anteil an der Produktion und dem Sounddesign und im Nachhinein würd ich sagen, dass es unser stärkstes Album geworden ist.
Wie habt Ihr Euch zur Gründung auf den Gruppennamen Girls under Glass geeinigt ? Wer war dafür verantwortlich ?
Tom: Ich wohnte damals in einer kleinen Wohnung unweit vom Probenraum bei der Kampnagelfabrik (hier auf dem Gelände entstand auch zum ersten Tourplakat zum Debutalbum Humus als Quartett, noch mit Dr. Fluch am Bass). Der Bandname kam mir dort in der Wohnung in den Sinn. Ich hatte mich u.a. durch ein Buch über die Geschichte der Unterwäsche/Dessous und das Leben inspirieren lassen. Ich brachte den Bandnamen mit in den Raum und für alle passte es. Aus dem besagten Buch kopierten wir ein Motiv für das Cover zum Demotape „The Question, The Answer–Pop“. Dieses erschien kürzlich (2016) erstmals als Vinyl. Und einen ersten GUG Schriftzug „malte“ ich damals gar für das erste Tape noch mit einem Geo-Dreieck. Wahnsinn! Grafik à la Steinzeit. Dieser GUG Schriftzug und das Motiv aus dem Buch ist nun folgerichtig seit 2016 auf dem Cover der LP „The Question, The Answer–Pop“ zu sehen.
Wie seid Ihr in das Licht der Öffentlichkeit getreten, wo waren die
ersten Live Auftritte, wie hat sich das entwickelt ?
Als Volker 1986 nach der CDRR Auflösung für eine erste Session zu uns in Raum kam, legte er gleich los wie die Feuerwehr. Für Hauke und mich war damals sofort klar, er ist‘s. Es passte sofort. Ich wechselte augenblicklich komplett zum Gesang. Sehr rasch erarbeiteten Hauke, Volker und ich unser erstes Set. Hauke und ich hatten als Mitglieder von CDRR (Calling Dead Red Roses) in einem Jahr (1985) etwa 10 Konzerte (alle ausschließlich in Hamburg) gespielt. Es gab davon damals nur Demo Tapes von CDRR. Plattenaufnahmen waren zu Beginn von GUG überhaupt nicht angedacht. Wir wollten nur unseren Sound und uns leben. Wie gesagt, an Aufnahmen/Recordings dachten wir zero. Das machen die richtigen Bands, dachten wir. Wir mussten einfach „unser Ding“ machen und wir guckten nicht weit nach vorn. Wir lebten sehr im Hier & Jetzt. Später bei den ersten großen Konzerten kam uns das zu Gute. Wir schleppten quasi einfach unseren Ü-Raum auf die Bühne und drückten auf Start. Das beschreibt ganz gut unsere Überzeugung, unser Ding zu machen, alles aus uns rauszuholen.
Bei dem allerersten Konzert (damals KIR Hamburg in der Max Brauer Allee) hatten wir meiner Erinnerung nach als Konzept lange Zwischeneinspielungen, Sounds aus abgeklebten kleinen Fernsehern oder vom Tape. Nach dem ersten Song des allerersten Live Konzertes war also für das Publikum das Songende nicht unbedingt erkennbar. Niemand hatte uns natürlich je zuvor gehört. Für mich war es nicht wirklich wichtig, dass es somit keinerlei Applaus nach dem ersten GUG Track gab. Damals, 1986, lebten wir sozusagen in unserem Raum. Der Raum war riesig, in einem Bunker (noch heute gibt es dort Probenräume). Tagsüber hatten wir alle unseren „Film“ abseits des Raumes. Abends probten wir, um einfach auch gut zu werden, uns bühnentauglich zu bekommen und dann ein gutes Demo aufnehmen zu können. Wir probten viel und lang, egal ob Winter, Hochsommer, mindestens jeden Sonntag, fast immer bis tief in die Nacht oder gar den Morgen hinein. Zu unserem Start 1986 gab es zwar zu programmierende Drumcomputer und Sequencer, doch brauchbare Software oder live einsetzbare Computer waren noch ein paar Monde entfernt. Nach dem ersten Konzert ging es gleich zügig weiter mit Auftritten. Mit dem ersten und zweiten Album machten wir gleich zwei gute Touren.
Habt Ihr alle eine musikalische Ausbildung genossen und wie seid Ihr an Eure jeweiligen Instrumente gekommen ?
VOLKER: Keiner von uns hat eine musikalische Ausbildung genossen. Wir haben uns anfänglich an bestimmten Vorbildern orientiert und uns die Sachen selber draufgeschafft. Als ich 1986 bei GUG als Gitarrist einstieg, konnte ich quasi überhaupt nicht spielen, hatte aber ein dermaßen gutes Gefühl für das, was eine Gitarre zum GUG Sound beitragen kann, dass ich aus den wenigen Spiel-technischen Mitteln, die mir damals zur Verfügung standen,das Maximum rausgeholt habe. Das hört man deutlich bei Songs wie „Humus“ oder „Bad Dreams“. Das ist alles super einfach und rough, spieltechnisch wirklich auf Anfängerniveau, aber es hat dennoch den Sound der Band mitgeprägt.
Welche musikalischen Einflüsse gibt es bei Euch, gibt es Vorbilder,
wie sieht Eure Motivation und Inspiration aus ?
Tom: Das war damals mein musikalischer Input: My Bloody Valentine, Cocteau Twins, Clock DVA, Chris & Cosey, Test Dept., Fra Lippo Lippi, Martin Hall, Cindytalk, Chrome, Sisters of Mercy, RLYL, Sex Pistols, Tangerine Dream, Klaus Schulze.. 1981 hatte ich glücklicherweise Kraftwerk in der Musikhalle Hamburg live erleben dürfen. Damals auf dem Konzert war ich ganz jung, ich ging alleine zum Konzert. Vor mir nahm Udo Lindenberg Platz. Und ich wohnte in einem Hamburger Vorort, weit entfernt von der City. Und mit einem Mal das alles!
Mit welchen Künstlern aus der aktuellen Szene versteht Ihr Euch am besten ?
VOLKER: Wir verstehen uns mit fast allen Bands aus dieser Szene gut bis sehr gut, mit einigen von Ihnen, wie Project Pitchfork oder Fair Sex, Catastrophe Ballet etc. haben sich Freundschaften entwickelt, bei anderen Bands haben wir teils durch unsere Jobs, die ebenfalls in der Musik-oder Livebranche sind, regelmäßig Kontakte als Geschäftspartner. Ich selber spiele zudem ja auch noch bei Cassandra Complex und Seasurfer, deren Members auch jeweils noch mit anderen Musikern/Bands vernetzt sind.
Was sind Eure All Time Heroes im heimischen Plattenregal , was zückt Ihr immer mal wieder zum Hören heraus ?
VOLKER: Ich höre überwiegend aktuelle, neue Musik, die aber oftmals auf Original-Ideen aus den 80ern basieren. Ich bin nach wie vor dem New Wave und Postpunk-Sound treu geblieben und hör da echt viele neue Bands. Da Du nach ALL TIME FAVES fragst, würd ich da aber eher bei den altbekannten Namen wie Joy Division oder Gary Numan bleiben. Beide Acts haben mich nachhaltig inspiriert und geprägt und ich hör sie mir immer noch regelmäßig an. Ich höre aber auch nach wie vor viele Klassiker von Bands wie Cocteau Twins, Dead Can Dance und auch Swans.
Was außer Musik bereichert noch Euer Leben, außergewöhnliche Hobbys
oder Filme, Bücher ?
Tom: Heute bereichert meine kleine Tochter absolut mein Leben. Aber auch Kunst, Reisen und coole Bands sind mir sehr wichtig. Ich höre noch gerne Musik aus Australien. Australien Sound der 90er ist heute noch immer mein Ding, ich konnte einige meiner Lieblingsbands (z.B. Died Pretty, Dirty Three, Radio Birdman) dort auch live sehen. Australien hat mich sehr inspiriert, vor allen Dingen meine ersten beiden Reisen dorthin. Und ich liebe Sarah Blasko, die unglaublicher Weise auch mal nach Hamburg über den Teich kam. Das Konzert war großartig (bekomme jetzt noch eine Gänsehaut). Sie bringt in 2018 ein neues Album raus und ich bin schon gespannt.
Wie steht Ihr zu Musikpiraterie, also illegal heruntergeladene
Songs oder ist es für eher kleine Bands ein Vorteil, dadurch eventuell sogar
bekannter zu werden ?
Tom: Ich habe einige Jahre im Musikbusiness gearbeitet. Für mich verbietet sich das illegale Herunterladen von Songs, auch ohne dass ich dort gearbeitet hätte. Ich höre sehr viel Internetradio, da hört guter und neuer Sound sowieso nie auf. Und jeder kann heute eine legale Musikbox im Handy haben. Ich finde, Promo ist heute der Weg. Mit Facebook, Bandcamp und Soundcloud kann man heute gut starten, neue Projekte und Bands auf den Weg bringen.
Da ich ein Fan vom guten alten Vinyl bin, wie steht Ihr zur gerade wieder auflebenden Vinylkultur? Veröffentlicht Ihr auch in Vinyl oder ist die Zukunft wirklich das digitale Streaming, also Bandcamp und Co. ?
Tom: Also ich persönlich kaufe seit einigen Jahren wieder Vinyls, gerne mit Download Möglichkeit. Und gerne direkt vom Künstler bei Konzerten. Allerdings kaufe ich keine Doppelvinyls. Alle 3 Songs die LP umzudrehen, ist mir schon lästig. CDs haben für mich eigentlich „ausgedient“, gelegentlich kaufe ich aber doch eine, dann muss die Band aber auch echt Granate sein.
Was mich damals begeistert hat, waren die zwei Alben von Trauma und ebenfalls die Klänge von Cancer Barrack…sind solch Nebenprojekte für Künstler generell wichtig ?
VOLKER: Die Frage würde ich mit JA beantworten. Eine Band steckt manchmal auch in einer Art Korsett, alleine schon durch die Erwartungshaltung der Fans, der Plattenfirmen und auch der eigenen Erwartungshaltungen. Mit einem Projekt, welches losgelöst von diesen Erwartungen ist, kann man sehr befreit musizieren und kommt alleine dadurch manchmal zu großartigen Ergebnissen. Außerdem kenne ich kaum einen Musiker, der privat nur auf EINEN bestimmten Stil steht. Die meisten sind sehr open minded und vielschichtig interessiert. Ich glaube, es ist für die eigene Entwicklung, auch in musikalischer Hinsicht wichtig manchmal Neuland zu betreten.
Was kommt nun nach dem musikalischen Ende der Girls Under Glass…könnt Ihr alle ohne die Band und Eure Musik den Tag überstehen, das kann es doch nicht gewesen sein, gibts neue Projekte ?
VOLKER: Naja, ich spiele aktiv und aktuell in 3 Bands. Damit bin ich erstmal komplett ausgelastet und wir haben auch lose Ideen, evtl. für Girls Under Glass nochmal neue Songs zu schreiben, allerdings ohne das Ziel ein komplettes Album fertigzustellen. Ganz ohne Musik und Musizieren werd ich wohl nicht auskommen. Da habe ich auch nach über 30 Jahren noch nicht die Lust verloren. Ich bin selber gespannt, wie es in 2018 weitergeht. GUG wird dabei eher eine untergeordnetere Rolle spielen, aber je nachdem wie sich die Dinge so entwickeln, kann sich das natürlich auch noch ändern. Lets wait and see…
Was kommt nun nach dem musikalischen Ende der Girls Under Glass.könnt Ihr alle ohne die
Band und Eure Musik den Tag überstehen, das kann es doch nicht gewesen sein, gibts neue Projekte ?
Tom: Huih, das ist ja jetzt echt eine Frage! Ich bin ja quasi gerade erst wieder aufgetaucht, als mich die Band zu den GUG Anniversary Gigs in 2016 (Hamburg /WGT 2016) und dann für die drei 2017 Anschlusskonzerte (Bremen/Berlin/NCN 2017) eingeladen hat. Das war schon sehr super für mich, das erleben zu dürfen. Und hey, GUG waren 2017 im Jahr 31 der „Bandgeschichte“-w o w! Für mich war es auf jeden Fall Granate. Ich bin jetzt ausgeschlafen und offen für das was kommen mag. Diese Info jetzt hier: In 2018 spielen GUG auf dem Amphi Festival, Köln. Kommst Du dahin? Bis dann! See you!
(Sven Erichsen)
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