Unglaublich, wie konnte das passieren? Bereits vor einem Jahr veröffentlichten KLEZ.E ihr viertes Album „Desintegration“ – stolze sechs Jahre nach ihrem letzten Werk „Vom Feuer der Gaben“. Und erst jetzt habe ich diese wunderbare Gruppe für mich entdeckt, dabei macht das Trio bereits seit 2002 musikalisch aktiv. Wer sich jetzt fragt, was eine deutschsprachige Indiepop-Band bei BLACK zu suchen hat, der atmet erstmal tief durch, legt die Klingen beiseite und reflektiert noch einmal den Titel des aktuellen Albums. Richtig, D-E-S-I-N-T-E-G-R-A-T-I-O-N! War da nicht was? Die fast schon dreiste THE CURE-Kopie ihres aktuellen Studioalbums ist selbstbewusst unprätentiös und in deutscher Sprache neu interpretiert – das macht diese Band tatsächlich so verdammt interessant… und relevant!
Sicher, nicht alle können mit den Frühwerken der Band etwas anfangen, auch wenn man Bandleader, Produzent und Songschreiber Tobias Siebert schon immer ein Talent für intelligente deutschsprachige Musik assistieren konnte. Das der düstere Wave-Pop schon immer in der eigenen Seele schlummerte, konnte man aber bereits auf den Frühwerken erahnen. Aber erst 2017 positionierte sich die Band vom Image radikal schwarz. Siebert trägt mittlerweile selbst die schwarzen Haare hochtoupiert. Was einige als peinliches Robert Smith-Plagiat interpretieren werden, ist hingegen ein authentischer Kunstkniff der Zeit. Düstere Zeiten schreien nach düsterer Musik, schließlich ist auch im gegenwärtigen Mainstream ein 80s-Revival zu spüren. Wer das stimmungsvolle und sehr politische Album noch nicht für sich entdeckt hat, der sollte mal reinhören, denn gerade THE CURE-Fans können der Platte verfallen.
Im Rahmen ihrer Clubtour im Frankfurter Club DAS BETT, der noch immer dafür steht, Wave, Industrial und Gothrock, eine Plattform im kalten Großstadtdschungel zu bieten, kam es zum Interview mit der Band. Schön, dass hier erwachsene Männer ihre 80er-Jahre Sozialisation nicht nur „aufleben“ lässt, sondern vor allem „lebt „– allein ihr Bühnenoutfit aus beinlangen schwarzen Kutten scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Gut so. Im Interview gibt sich Tobias Siebert tatsächlich auch so pessimistisch und depressiv, wie er auf Platte in seinen Texten klingt. Hier riecht nichts nach Marketingkalkül – hier hat eine Band ihren Sound neu erfunden und freut sich über jeden neuen Hörer, der sich dafür begeistern kann.
BLACK: Euer DESINTEGRATION-Album ist nun seit knapp einem Jahr auf dem Markt. Im Zuge der Vorbereitung hab ich sehr viele Kritiken zum Album gelesen. Während es für die einen „eines der wichtigsten deutschsprachigen Alben des Jahres ist“, ist es für viele „weinerliches Gewimmer“. Wie steht ihr zu dem Werk ein Jahr nach Veröffentlichung?
Tobias Siebert: „Wir lesen die Berichterstattung zu unseren Alben eher kaum bis gar nicht. Wenn Du von „weinerlichem Gewimmer“ gelesen hast, macht mich das fast glücklich. Wir waren nie die coolen Typen in der Schule, die sich ständig schlagen wollten, wir waren die, die mit den Mädchen rumhingen. Unter „Desintegration“ versteht man den sozialen Zerfall innerhalb einer Gruppe. Damit haben wir uns schon positioniert und dazu stehen wir auch ein Jahr später noch und ich finde man kann durchaus die eine oder andere Träne über diese Zeit verlieren…“
Natürlich habt ihr bereits in diversen Interviews eure Nähe zu THE CURE und den offensichtlichen Wave-Bezügen erklärt, daher möchte ich in diesem Interview ein Stück weiter gehen und auf euren politischen Kontext zu Sprechen kommen. Wave- & Gothrock waren in den 80er-Jahren so populär, da das permanente Gefühl einer Bedrohung über der Welt schwebte und ein Hype apokalyptischer Sounds ausgebrochen ist. Wenn wir ehrlich sind, hat sich nicht viel verändert. Die Welt steht noch immer am Abgrund. Daher die Frage: Habt ihr das düstere Soundgewand bewusst in den Mantel politischer Songs gepackt?
„Als wir uns Ende 2015 trafen und die ersten Texte fertig wurden und wir begannen dazu zu spielen, hat sich der Sound fast wie von selbst eingestellt. Zeit wiederholt sich, Geschichte wiederholt sich und jede dieser Stimmungen hat ihre Mittel zu klingen. Flangereffekte anzuschalten fühlte sich sehr richtig für uns an und die Erinnerungen, die wir damit auch in uns weckten, haben die Aussage der Wiederholung nur noch stärker unterstrichen.“
Ihr bezieht als Band ganz klar Stellung für linke, soziale und alternative Politik. Was macht euch als Band aktuell wütend?
„Wut verklärt den Blick. Wir fühlen uns aktuell eher unwohl als wütend. Auf unserer Tour gerade, wenn wir die Großstädte verlassen und über Land unterwegs sind, dann zeigt sich ganz gut, dass sehr viel mehr an Engagement aus Richtung der Chefetage nötig ist. Die sind aber nur am Streiten und beschimpfen sich auf eine sehr pubertierende Art und Weise. Ich finde das sehr gruselig und habe mitunter schlimme Zukunftsvorstellungen.“
Wie beobachtet ihr im Zuge eurer eigenen Sozialisation die Subkultur in Deutschland. Gerade jüngere Konsumenten schließen sich nicht zwingend mehr bestimmten Szenen an, sondern ko-exististieren gleichzeitig in mehreren Welten. Findet ihr das gut – oder glaubt ihr, dass ein Stück Orientierung und Selbstfindung damit auf der Strecke bleibt?
„Ich versuche gerade meine Nostalgie los zu werden. Das Netz hat so vieles so schnell verändert. Es gibt nun andere Dinge, die für Orientierung und Selbstfindung stehen. Ich wünschte, die Jugend würde ihre Jeans aus eigener Haltung aufreissen und nicht schon so zerrissen kaufen wie es gerade „in“ ist. Vielleicht aber auch ein ganz schönes Spiegelbild der zerrissenen Gesellschaft aktuell.“
Seid ihr selbst noch an der „Schwarzen Szene“ aktiv und interessiert. Oder beobachtet ihr diese, möglicherweise auch bei euren Konzerten, da ihr gerade mit dem letzten Album sicher einige neue Hörer dazu gewonnen habt?
„Ich habe mit 16 im „Live Club Berlin“ gearbeitet. Wenn es freitags und samstags dunkle Partys gab, habe ich am Tresen gestanden, später auch aufgelegt. Das war eine sehr schöne Zeit. Der Club wurde leider aufgelöst. Wenig später habe ich dann meine ersten Bands gegründet. Ich empfand die Szene damals sehr spannend und habe mich darin wohl gefühlt. Ich glaube, einmal schwarz…immer schwarz. Wie sich das zu heute verändert hat, kann ich nicht sagen. Ich bin so oft im Studio und nur noch sehr selten auf Parties unterwegs. Wenn wir dann allerdings über die Tanzfläche schweben, fühlt sich auch 2017 noch alles wie 1992 für uns an.“
Als offensichtliche THE CURE-Verehrer muss ich euch natürlich fragen, wie ihr das Spätwerk von Robert Smith & Co findet. Die Band hat sich seit ihren Anfängen ja doch radikal verändert.
„Die „Wish“ war die letzte Platte, die in mir das „Cure“ Gefühl aufkommen liess. Zu den darauffolgenden Alben habe ich tatsächlich den Zugang verloren.“
Wie steht ihr zum Musikkonsum der Gegenwart? Glaubt ihr, dass das rituelle Musikhören via phyisischem Medium weiterhin fortbestehen wird oder habt ihr kein Problem damit, wenn eure Musik einfach „weggestreamt“ wird?
„Ich bemerke bei mir selbst eine starke Hörveränderung. Ich halte es online kaum aus, länger als drei Lieder in ein und dem selben Album zu bleiben. Das gelingt mir nur, wenn ich meine Schallplatten auflege. Da passiert also zwangsläufig irgendwas. Die Möglichkeit, alles sofort hören zu können, treibt durch die Playlisten. Die CD wird wohl früher oder später vom Markt verschwinden und die Schallplatte wohl noch etwas bleiben. Irgendwann liegt die Musik aber wohl nur noch in Wolken rum. Dann gibts auch keine gefüllten Bücherregale mehr. Das Zukunftszimmer wird ziemlich leer sein…“
Wie fühlt ihr euch als Individuen gerade außerhalb der Band? Wie ist eure persönliche Grundstimmung im Anbetracht des gegenwärtigen Weltgeschehens. Von globaler Flüchtlingskrise, Trump, Nordkorea-Wahnsinn und Klimaveränderungen?
„Das Unwohlsein reisst nicht ab. Ich glaube, ich habe meine Hoffnung in die Menschheit bereits aufgegeben. Es wundert mich alles immer weniger. Das ist alles gerade so geballt, dass es mich enorm abstumpft. Ich hoffe wir sprengen uns bald alle in die Luft. Ohne Menschen hat dieser Planet vielleicht noch eine Chance.“
Nennt uns eure fünf wichtigsten Referenzbands für den Sound von KLEZ:E.
„Siouxsie and the Banshees. No More. Dead can Dance. Portishead. Nine Inch Nails“
Welches ist euer persönliches bestes Album des Jahres 2017?
Tobias: „So ein richtiges Knalleralbum gabs für mich 2017 nicht. Mir fallen vereinzelt Stücke von Slowdive oder Grizzly Bear ein.“
Daniel: „Keines“.
Filip: „ Ein Knalleralbum 2017 hatte ich tatsächlich auch nicht. Es gab aber viel Gutes. Mike T. von Box and the Twins, der Band, die gerade mit uns auf Tour ist, hat mir das Album von Cigarettes After Sex empfohlen – das gefällt mir auf Anhieb auch sehr gut.“
In Interviews hat Tobias gesagt, dass „düstere Musik eine eigene Form von Energie“ gibt. Ist die Zeit für düstere Musik im Mainstream zurück – es ist ja durchaus ein ästhetisches 80s-Revival, auch vom Look, in den Straßen, zu spüren? Glaubt ihr, die 80er werden irgendwann in Vergessenheit geraten oder war diese Ära so stilprägend, dass sie immer wieder eine neue Hommage erfährt?
„Ich glaube an diese Wellenbewegungen. Auch weil Nostalgie ein sehr starkes Gewicht hat. Vergangene Zeiten werden sich immer auch in die Zukunft manifestieren. Und Du sagst es bereits in deiner Frage. Es ist eben auch eine verdammt düstere Zeit aktuell.“
Ihr spielt neben KLEZ.E noch in diversen Bands oder seid im Einzelnen als Produzenten aktiv. Welche weiteren Projekte darf man von euch erwarten?
Tobias: „Am 2.2.2018 erscheint mein zweites „Solo“ Album unter dem Namen AND THE GOLDEN CHOIR.“
Daniel: –
Filip: „Ich habe im Sommer angefangen mit einer befreundeten Musikerin an ihrem Projekt zu arbeiten. Das ist aber noch nicht ganz spruchreif.“
Bleibt der Sound von KLEZ.E im Wave-Pop oder könnt ihr euch vorstellen diesen radikal zu verändern, wenn die Zeit es bedarf?
„Alles ist möglich. Wenn morgen doch noch Hoffnung auftritt, könnte das auch unseren Sound massiv beeinflussen. Aber wie schon gesagt…einmal schwarz…immer schwarz.!“
Vielen Dank für das Interview.
(D. Charistes)
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