Vortex ist das 2008 gegründete Dark Ambient- & Soundart-Projekt des Mainzer Musikers und Filmwissenschaftlers Dr. Marcus Stiglegger. Mit organischen Feldaufnahmen, Ethno Percussions und finsteren Drones erschafft er einzigartige filmische Klanglandschaften. Inspiriert von Carl Theodor Dreyers Gothic-Horror-Klassiker VAMPYR aus dem Jahr 1930 und unterstützt von Oliver Freund (MARS) an der Gitarre, kreiert das Duo während ihrer eigenwilligen Live-Vertonung alptraumartige Soundcollagen mit zutiefst bedrohlichen Stimmungen. BLACK hat sich mit Marcus Stiglegger über seine konzeptionelle Show unterhalten und schon einmal nachgefragt, was wir 2018 vom neuen Album „Fall Of The Gods“ erwarten dürfen.
Marcus, mit deinem Dark Ambient/Ritual-Projekt VORTEX bist du bereits seit 2008 aktiv. Seit kurzem vertonst du den Horrorfilm-Klassiker VAMPYR von 1930 neu und trittst damit in einer Special Show auf? Warum hast du dir VAMPYR ausgesucht und wie kam es zu diesem Vorhaben?
Marcus Stigleggger: „Ich fühle mich dem klassischen Gothic-Horror seit meiner Kindheit eng verbunden, und VAMPYR hatte da immer eine Sonderstellung, denn es ist streng genommen eine deutsche Produktion aus der ganz frühen Tonfilmzeit, mit einer sehr traumartigen Atmosphäre. Wer ihn einmal gesehen hat, wird ihn kaum vergessen… Mir wurde immer gesagt, das VORTEX sehr soundtrackartig klingt, und da war es eine Frage der Zeit, das einmal auszuprobieren. VAMPYR schien mir da gut geeignet. Die Premiere hatte das Konzept dann beim Exground Filmfestival in Wiesbaden 2015. Das nächste Mal kann man die Performance in den Frankfurter Harmonie Kinos am 31.10. im Rahmen der Genrefilmreihe (Dis)Harmonie dort sehen.“
Wie bist du an die Komposition zum Film herangegangen, der ja vor allem durch seine morbide Aura und stimmungsvolle gotische Atmosphäre noch immer zu faszinieren weiß. Hätte es hier eine neue Live-Untermalung gebraucht?
„Die Idee war ja immer, eine musikalische Interpretation zu präsentieren, die von dem Film inspiriert ist, nicht aber in Konkurrenz zu seiner ursprünglichen Gestaltung zu treten. Die Erfahrung von mehreren Auftritten bestätigt, dass uns hier eine Modernisierung gelungen ist mittels Drones, Percussion, Stimme und E-Gitarre. Die Auftritte basieren auf einem synchron zum Film komponierten atmosphärischen Backing und werden dann live von mir und Oliver Freund an der Gitarre teilimprovisiert entwickelt.“
Sind weitere ähnliche Konzept-Performances mit VORTEX für weitere Filme geplant?
„Wir haben Anfragen, wobei VAMPYR noch aktuell ist. Ich plane, eine ähnliche Präsentation zusammen mit Julia Ostertags Film DARK CIRCUS, für den ich die Filmmusik ja komponiert hatte. Da würden Szenen des Films projiziert und live vertont werden. Das ist aber noch in der Entwicklung.“
Unterstützt wirst du live von deinem Freund und Mitmusiker Oliver Freund, mit dem du auch beim Darkfolk-Projekt MARS Musik machst. Ist er vollwertiges VORTEX-Mitglied oder nur ein Gastmusiker?
„Oliver ist ein extrem wichtiger Teil der Livepräsentation. Wir arbeiten seit Jahren symbiotisch und effektiv zusammen, ich könnte schwer auf ihn, sein Talent und seine Ideen verzichten. VORTEX an sich jedoch ist mein Projekt, zu dem ich mir je nach Thema passende Gastmusiker einlade – Oliver ist hier ebenso willkommen wie einige andere. Ich arbeite gerne mit den selben Leuten zusammen, auf die ich mich jeweils verlassen kann. Bei den kommenden Liveauftritten von VORTEX werden wir zu dritt auf der Bühne stehen, da es wesentlich mehr Percussion geben wird. Das erste Konzert dieser Art wird am 23. Juni 2018 in Leipzig stattfinden.“
Im Teaser zum neuen VORTEX-Album 2018 beschwörst du diverse Terminologien deiner Musik. Darunter „Aural Mythology“. Wie definierst du das im Kontext zu VORTEX?
„Ich habe mich persönlich immer mit alten und neuen Mythologien beschäftigt, und war auch stets daran interessiert, wie man Mythologie für den künstlerischen Ausdruck nutzen kann: im Film, in der Musik. Mit den Alben „Kali Yuga“ und „Moloch“ auf dem Label Cyclic Law begann meine mythische Trilogie, die 2018 mit „Fall of the Gods“ enden wird. Hier erprobe ich auf musikalische Weise eine Interpretation unserer Gegenwart aus der Perspektive des Mythos. Den inhaltlichen Konzepten lagen jeweils indische, persische und aktuell nordische Untergangsmythen zugrunde.“
Was kannst du uns im Voraus über das neue Album erzählen?
„Fall of the Gods“ (Cyclic Law, Mai 2018) wird ein extrem düsteres Werk, dominiert von dröhnenden Hörnern, schweren Drums, finsterem Chorus, geflüsterten Stimmen und flirrenden Gitarren. Wer die Serie VIKINGS mag oder den Film WALHALLA RISING, wird hier seine Freude haben. Das Album ist nichts weniger als der Soundtrack zu Untergang und Neugeburt unserer Welt.“
Hauptberuflich bist du als Filmwissenschaftler tätig. Wie würdest du VAMPYR in die Geschichte des Horrorfilms einordnen. Diverse Magazine bewerten den Film von Carl-Theodor Dreyer zu einem der besten Horrorfilme aller Zeiten. Für den englischen THE GUARDIAN ist das Werk unter den TOP 10 zu finden. Woraus resultiert heute noch die Faszination, fast 90 Jahre nach Veröffentlichung?
„Der Film wurde mit dem Geld des Hauptdarstellers auf Deutsch gedreht. Er ist quasi ein früher ‚Indie-Film’. Um den traumartigen Look zu erhalten, drehte Dreyer mit einem Nylonstrumpf über der Linse, der eine besondere Streuung des Lichts ermöglichte. Filmhistorisch ist VAMYPR als europäischer Genrefilm in den 1930er Jahre wichtig, vor allem durch diesen traumwandlerischen Stil. Er nimmt so etwa Jean Rollins Vampirfilme der 1960er und 1970er Jahre vorweg. Dreyer ist ja einer der ganz Großen des Kinos, und im vergleich mit seinen anderen berühmten Werken (DIE PASSION DER JEANNE D’ARC etwa) ist VAMPYR eher eine experimentelle Variante.“
Als Sound-Artist beschäftigst du dich viel mit Hintergrundgeräuschen und Musik im modernen Horrorfilm. Was hat sich hier deiner Meinung nach im Laufe der Jahre verändert / entwickelt?
„Da hat sich extrem viel verändert. Was sich früher nur David Lynch traute, nämlich mit extremen Subbässen zu arbeiten, ist längst Teil der Gestaltung von großen Filmproduktionen geworden. Wunderbares Beispiel ist BLADE RUNNER 2049, dessen Soundtrack ein eindrucksvolles Dark Ambient-Album abgibt. Hans Zimmer ist da nicht zu unterschätzen. Auch Regisseur wie Darren Aronofsky, Lars von Trier und Nicholas Winding Refn haben mit ihren Beiträgen zum Horrorgenre (MOTHER!, ANTI CHRIST, NEON DEMON) eine Erweiterung der Klangpalette forciert, der man sich nicht entziehen kann. Allerdings darf man nicht vergessen, dass gerade das Horrorgenre in der Tongestaltung stets eine Schlüsselrolle spielte – man denke nur an Tobe Hoopers experimentelles TEXAS CHAINSAW MASSACRE von 1974 (!).“
Wird es mit VORTEX auch eine Tour geben oder spielst du hier ausschließlich ausgewählte Locations auf Anfrage?
„Aus beruflichen Gründen kann ich mit VORTEX leider nicht touren, aber ich bemühe mich, alle attraktiven Angebote an Auftritten wahrzunehmen. Die Auftritte brauchen ja auch ein gewisses Ambiente und technische Voraussetzungen, um zu funktionieren. Da kann man nicht mal schnell in der Eckkneipe abrocken. Weitere Konzerte sind für 2018 geplant“
Gibt es weitere künstlerische Projekte, auf die du abschließend noch hinweisen möchtest?
„Ich bin gerade in der Mischung von „Fall of the Gods“, das mein bisher aufwändigstes Projekt ist, so dass alle Energie dort hinein fließt. Ich denke, mit dem Label Cyclic Law werden wir das angemessen präsentieren können. Zudem dreht der Filmemacher Danilo Vogt, der auch den Trailer von „Moloch“ verantwortet, ein langes Video, das bei zukünftigen Konzerten als Hintergrundprojektion zu sehen sein wird. Zu erwarten ist also quasi ein Gesamtkunstwerk für die Sinne. Vom Film komme ich als Musiker vermutlich nie los…“
Vielen Dank für das Interview. (D. Charistes)
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