„Das gesprochene Wort rockt“ – Interview mit OBERER TOTPUNKT

Von der Waterkant kommt ein Projekt, das sich den mysteriösen Namen – Oberer Totpunkt – gegeben hat.
 Das inszwischen schon kultige Trio aus Hamburg zelebriert einen kongenialen Mix aus apokalyptischen Lyrics und Minimal Elektro mit wütenden Rockgitarren und
 martialischen Drum Beats.
Die neue Platte von Oberer Totpunkt kommt musikalisch gesehen agressiver als der Vorgänger daher, ist aber genauso gnadenlos und treffsicher in seiner „Spoken 
 Word Welt“, von
 daher wollen wir die Protagonisten Bettina, Michael und Co. einmal ausführlich mit ihren spannenden Botschaften zu Wort kommen lassen.

Daher gleich mal nachgefragt wie Eure Musikkarriere begann und wir Ihr auf die  Eures Projektes gekommen seid ?Hi Bettina und Micha, Dank Eures Videos – 15 Songs / 15 Videos bin ich richtig zum Fan geworden. Endlich mal wieder ein kreatives und so ganz anderes, eigenes Projekt, das sehr viel verschiedene Einflüsse von Crossover-Dark-Rock, EBM bis Trashigen Hell-Elektro mit authentischen „German Spoken Words“in sich vereint. Genialer Mix. 

Bettina: Danke für die Blumen, Sven ! Tatsächlich war es ein Freund von uns, der die Initialzündung für die Kombination von gesprochenem Wort und Musik gab: Tom Wendt, der auch heute noch für das Mastering bei OT verantwortlich zeichnet. Wir haben dann angefangen, unsere kreativen Seiten zusammenzubringen. Micha, der Drummer und Composer, und ich mit Text und Vox… und fanden schnell: das ist es! OT war geboren! Jedes kreative Produkt ist auch ein Zeitdokument, es zeigt, womit man sich gedanklich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben beschäftigt hat. In jedem unserer Alben haben wir uns unter einem bestimmten Blickwinkel kreativ abgearbeitet: Beim Album „10 Grad vor OT“ (2007) ging es um das Thema Kriminalberichterstattung, beim Album „Erde ruft“ (2009) um die Auseinandersetzung mit Religion, bei „Stiller Zoo“ (2010) waren es Märchenwelten, bei „Desiderat“ (2014) Sehnsüchte. Jetzt also: „Neurosen blühen“ – Leitmotiv: Das Unbehagen in der Kultur. Und wir alle wissen ja: Der Nährboden von Neurosen sind Ängste. Michael: Seit den 80er-Jahren habe ich in einem Dutzend Bands Drums gespielt: New-Wave, EBM bis Drum´n´Bass. Anfang der 00er-Jahre habe ich mit Tom Wendt zusammen Musik gemacht. Tom Wendt Gitarre, David Nesselhauf Bass und ich an den Drums. Er hat dann von Bettina ein paar ihrer rabenschwarzen Kurzgeschichten aufgenommen. Wir hatten die Idee, daraus mehr als ein reines Leseprojekt zu entwickeln und starteten eine Spoken-Word-Band. Bettina hatte schnell einen passenden Namen für die Band: „Oberer Totpunkt.“ Für die ersten Songs habe ich Drums und E-Bass eingespielt und Composings mit Propellerhead Reason entwickelt. Tom Wendt hat mich auf das Programm gebracht. Ich vermute, weil ich ihm bei unserer Band im Ü-Raum mit meinen jämmerlichen Zoom-Sequenzer-Tunes auf den Sack gegangen bin. Das gefiel mir sofort, weil es ein intuitiv zu bedienendes All-in-One-Programm mit guten Sounds und unendlichen Erweiterungsmöglichkeiten ist. „Für eine Handvoll Haare“ und „Scharlachroter Schnee“ waren die ersten Tracks. Die  Resonanz hat uns motiviert das Debüt „10 Grad vor OT“ in Eigenregie zu releasen, da zunächst kein Label Interesse zeigte. Dann kam die alles entscheidende Frage: Wie bekommen wir das Live auf die Bühne? Und wie kommt man an einen Slot? Unseren ersten Auftritt mit OT hatten wir als Duo. Über Radio Schwarze Welle und die Sendung „Dunkel-Düster-Deutsch“ von Manni-P, der regelmäßig OT spielte, wurde unser unverkennbarer Sound verbreitet. Darüber kam auch der Kontakt zu Danse-Macabre-Chef Bruno Kramm, der von OT begeistert war. Seitdem sind wir bei seinem Label. Bisher haben wir mehr als 60 Songs und fünf Alben eingespielt und produziert und sind bei vielen Festivals live zu erleben. Tom Wendt von Skating Dog hat alle Alben gemixt und gemastert.

Erklärt den Lesern doch bitte einmal das Konzept Eures fünften großartigen Meisterwerkes „Neurosen blühen“, wieviel Arbeitszeit wurde in das fantastische Album investiert und wie lief der Entstehungsprozess incl. Studioarbeit, Mix & Mastering usw. bei Euch ab, wie sieht die Produktionsumgebung bei Euch aus ?

Bettina: Zum Konzept des neuen Albums: Überall da, wo Anpassung um den Preis der Unterdrückung von Lebendigkeit verlangt wird, blühen Neurosen. Angst ist der Boden, auf dem Neurosen wachsen. Die Welt war schon immer wahnsinnig. Gier nach Macht, Gier nach Geld, eine Sinnsuche, die keine Scheu vor Irrationalität hat … Führungseliten, denen es vor allem um ihren eigenen Vorteil geht. Menschen, die sich allzu bereitwillig blenden lassen und eifrig mit an dem Ast sägen, auf dem sie selbst sitzen. Kommt Dir das bekannt vor? Kein Wunder: Die Neurose ist längst soziale Norm. Und die Protagonisten, die zurzeit auf der Weltbühne agieren, halten uns in einer emotionalen Melange zwischen Thrill und Abscheu. Michael: Wir wollten auch diesmal die ganze Bandbreite von Spoken Word zeigen: Tanzbar, rockig, hart, groovig, funky, als Songtext, Rock-Lyrics, Rap, Poesie, Gedicht, Anklage, Hörbuch, in Reimform, als Echoreim, getoastet, rausgeschrien… Das hat unsere Titelauswahl bestimmt. Aber klar, das dauert eine ganze Weile. Für jedes Album sammeln wir Rough-Tracks. Die Hälfte wird weiterverfolgt und letztlich schauen wir, ob das ein Album werden kann. Die meisten Tracks haben rhythmische Gerüste. Neben loopartigen Titeln variiere ich gern mit klassischem Songwriting-Strophe, Bridge, Refrain und Akkorden. Die Songs entstehen über einen Basslauf, einen Drumbeat oder eine Reason-Sequenz oder auch durch fertige Texte von Bettina. Neu war diesmal die Mitarbeit von Stefan Frost. Er hat auch einige Basslinien eingespielt, aber am auffälligsten sind seine Gitarrenläufe. Neben Metal- und Rockriffs hat er bei einigen Songs Gitarren mit Flanger/Delay eingespielt. Stefan: Bei der Musik von Oberer Totpunkt ist es wichtig, die kühle und düstere Stimmung der Songs mit der Gitarre zu ergänzen, ohne dabei die Songs mit zu viel Gitarrenlast zu erdrücken. Text und Sprechgesang von Bettina stehen klar im Vordergrund, die Gitarre stellt eine weitere Komponente dar, sie bei ihrer Message zu unterstützen. Michael: Wenn ich die Sachen so im Kasten habe, dass es mir gefällt, gebe ich die Tracks Tom. Er  verwandelt dann meine zwar kreativen, aber klangtechnisch chaotischen Sequenzen in feine Hörkunst. Tom: Früher habe ich von Michael immer die Reason-Projekte bekommen und dann auch in diesem Programm gemischt und anschließend mit Wavelab gemastert. Oft unter Hinzunahme von iZotope Ozone. Allerdings ist man in Reason schon ein wenig eingeschränkt und so habe ich für dieses Album Einzelspuren und Stems bekommen. Die dafür nötigen Exporteinstellungen hatten wir vorher ausprobiert und festgelegt. Da der Entstehungsprozess der OT-Tracks sehr dynamisch ist und auf einen längeren Zeitraum fällt, kommt es schon mal vor, dass auf einer Spur Performances aus unterschiedlichen Sessions landen. Um dann eine klangliche Kontinuität für den Mix zu erhalten, ist manchmal schon ein wenig Detailarbeit nötig. Ich lege, sobald ich einen Track als Einzelspuren bekomme, sofort ein Projekt in Logic an und kann dann direkt beurteilen, ob das für den Mix passt oder ob Michael mir noch ein paar Anpassungen vorbereitet, eine Bassdrum oder Snare austauscht. Da ich weiß, worauf Michael Wert legt, kann ich dann sofort loslegen und mit ein paar Tricks den fetten OT-Sound angehen. Die Mixe schicken wir uns als MP3 in höchster Auflösung via Dropbox hin und her und ich bekomme detaillierte Anmerkungen und Wünsche zurück.

Welche Instrumente / Synthesizer hattet Ihr am Anfang Eures Schaffens eingesetzt – erste Instrumente – und welche Techniken prägen Euer aktuelles Soundgerüst, ich habe zudem vom Moog Theremin erfahren und Ihr habt Analogsynthsequenzen mit eingestreut, wie werden diese Techniken in Eure Basisklänge integriert ?

Bettina: Wegen seines außergewöhnlichen Klangs und der Ästhetik setzen wir das Moog-Theremin live schon lange fest ein, vornehmlich bei den Stücken „Blutmond“ und „Hamburg“. Hier fließt es ein in ein kreischendes Gitarren und Drumgewitter. Auf dem aktuellen Album ist es auch melodischer bei „Neurosen blühen“ und „Zurück ohne Zukunft“ zu hören. Michael: Die Songs kreiere ich mit Propellerhead Reason – Audio habe ich immer mit Ableton am Mac. Thermin und Vocals nehme ich über Bias FX direkt in Ableton auf. Die Audiofiles der akustischen und E-Instrumente sowie Vocals exportiere ich als Audio-Files. Reason ist dann das Master-Control-Programm. Die meisten Drums spiele ich mit E-Drums via Midi in BFD von FXpansion ein. Ich habe auch immer mal ein paar Snares, Hihats direkt vom Akustik-Set aufgenommen. Aber mit BFD 3 via Midi (eine Akustiksample-Software) klingt das einfach noch fetter. Die Gitarren und Bässe haben Stefan Frost und ich auf Empfehlung von Tom mit Bias-FX in Ableton Live aufgenommen. Ferner haben wir immer viele Gastmusiker und Sänger dabei: Tom Wendt hat einige Solo-Gitarren gespielt. Gästesänger wie der Vox-Inhumana-Chor, Schneewittchen, Bruno Kramm und Sänger alter Bands sind auch immer wieder dabei. Die reine Konserve hat uns noch nie richtig behagt. Deshalb treten wir seit unserem ersten Auftritt 2007 immer als Band mit akustischen Instrumenten auf. Live-Drums waren von Anfang an dabei. Es kickt auch die Musiker auf der Bühne ganz anders, wenn jemand auf die Trommeln eindrischt. Einen Live-Bassisten und Gitarristen haben wir auch seit einigen Jahren. Aktuell spielt Stefan Frost Bass und Gitarre. Gerade seine Gitarren-Riffs geben nochmal den Extra-Schub. Seit neuestem haben wir den Keyboarder Denis Scheither dabei, der viele Synth-Sequenzen live einspielt. So werden wir unabhängiger und flexibler. Es klingt live sowieso immer etwas anders, aber so hört und fühlt sich OT für uns reeller an.
Das Stück „Zurück ohne Zukunft“ hatten wir schon 2013 grob im Kasten und es sollte eigentlich auf das Album „Desiderat“. Der Text stand größtenteils, auch die grobe Struktur. Wir waren aber der Ansicht, dass so ein Bombaststück für das straighte Album „Desiderat“ nicht passen würde und haben es geschoben. Für „Neurosen blühen“ war es perfekt. Das Stück sollte sich vom esoterischen Intro bis zur Soloschlacht steigern. Ich habe dann, als ich die Nummer strukturiert hatte, meinem Bruder Andreas (Techno/Der Dritte Raum) einen kurzen Drum- und Bassloop gegeben und ihn um ein Solo gebeten – mit der Ansage, dass die Nummer rund zwölf Minuten lang ist. Er hat das wie eine Techno-Live-Nummer interpretiert und es passt total! Andreas: Das stimmt. 12 Minuten, 90 Bpm und einen Grundton. Mehr habe ich nicht bekommen. Aber ich kenne Michaels Soundvorstellungen und hatte eine gewisse Ahnung davon, in welche Richtung sich die Nummer entwickeln wird. Ich kenne seine Arbeitsweise und weiß welche Sounds er favorisiert und welche ich aus meiner Sicht ergänzen kann. Der OT-Sound klingt sehr direkt und knackig, was zum großen Teil der digitalen Produktionstechnik geschuldet ist. Ich dachte mir, schmeiß da mal ne Schippe Dreck drauf. Ich habe mir ein Logic-Blanko-Arrangement mit leicht geshuffleten Triggerspuren für zwei Analog Sequenzer und einen Drum Synthesizer gebastelt (2x Korg SQ 10 und Pearl Syncussion SY-1). Mit den Steuerspannungen der beiden Analog Sequenzer habe ich dann diverse Analogsynthies gefüttert und während der Aufnahme ordentlich an den Knöpfen gedreht. Die Synthies sind vor dem AD durch Hughes & Kettner ,Metal Master’, ,Tubeman’, ,Electro Harmonix_Tube Zipper’ und LAG-Spitfire-Röhren-Vorverstärker gelaufen. Als Klangerzeuger habe ich neben dem Pearl Syncussion noch Korg MS-20, Korg MonoPoly und Sequential Circuits_Pro One benutzt. Also alles in allem ein herrlich dreckiges Rausch-, Brumm- & Zerr-Konzert ganz nach dem Motto mehr Trash geht wohl nicht. Michael hatte sicher viel Spaß mit den Spuren. Ich sowieso.

Einige Musiker der Szene arbeiten auch in diesen Zeiten mit analogen Synthies anstatt mit digitalen Computern und Software, seid Ihr auch der Meinung das analoge Sounds wärmer klingen und somit durchaus eine wichtige, emotionale Komponente in der elektronischen Musik darstellen?

Tom: Also, in erster Linie ist es wichtig, dass der Künstler einen kreativen Flow hat. OT kommen mit Reason sehr gut klar; und Reason steht ja auch im Ruf, synthmäßig sehr authentisch zu sein. Ich finde persönlich, dass heute mit den richtigen Mix- und Masteringtools, wenn man das will, der Sound analoger als analog sein kann, obwohl man rein digital arbeitet. Man muss halt wissen, wo man hin will. Michael: Ich habe so eine kleine Auswahl an Lieblingssynthies: Ein paar habe ich real oder kenne sie, einige davon als Reason-Refills (Korg MS 20, Nord Lead 2 und Moog Phatty) und nutze auch gern die Reason Synthis wie Thor und Malstrom. Andreas: Es gibt da so eine gewisse, analoge „dirtyness“, die man meiner Meinung nach nur mit 40 Jahre alten Transistorschaltungen hinbekommt. Zugegeben, es gibt toll klingende Simulationen analoger Schaltungen, ja selbst Extrem-Analog-Style-Trash-Plugins á la Rob Papen-Raw, mit denen man geile ,auf die Fresse’ Sounds erzeugen kann. Mir fehlt da immer etwas. Und wenn es nur das Rauschen & Brummern der Vorverstärker ist. Von der Haptik ganz zu schweigen. Eine 40 Jahre alte nach Proberaum und Bier stinkende Kiste mit zig Knöpfen aus dem Regal zu holen und anzustöpseln übt auf mich eine andere Faszination aus, als in einem Flip Menü eines der 20 Plugins auszuwählen, um dann einen vom GUI-Programmierer gemalten Drehknopf mit der Maus zu bearbeiten. Analog versus digital – eine endlose Debatte. Ich liebe beide Welten. Analoge Technik ist unschlagbar, wenn es um Verzerrungen, Zufall und Lebendigkeit geht. Digitale Technik erleichtert die Arbeit. Ich bin jedenfalls froh, dass ich keine Tonbandspulen mehr kleben muss. Außerdem ermöglicht digital Processing-Dinge, die mit analoger Technik nicht zu realisieren sind. Und am Ende ist mein Computer das mit Abstand wichtigste Gerät im ganzen Studio.

Was möchtet Ihr Musikalisch noch umsetzen und erreichen, welche Inspiration und Motivation treibt Euch an ?

Michael: Motivation? Kreativ sein, Spaß haben, neue Songs schreiben, an der Liveshow arbeiten. Mit OT weitermachen, Sideprojekte verfolgen, und bei all dem nicht stressen lassen. Bettina: Die Kombination von Musik und gesprochenem Wort birgt noch viel Potential, das es auszuloten gilt. Das betrifft Die Band Oberer Totpunkt, aber auch unser Side-Projekt OT „unplugged“, bei dem wir uns auf die ruhigeren Erzählstücke konzentrieren und diese musikalisch begleiten. „Wirklich glücklich sind wir nur, wenn wir uns unserer selbst nicht bewusst sind“ heißt es in unserem Stück „Blutmond“. Das meint: Das Glück der Selbstvergessenheit, in dem wir einer Aktivität nachgehen, die uns völlig vereinnahmt, das Verschmelzen mit der eigenen Kreativität. Kurz: Was uns antreibt, ist die Sucht nach Glück.

Wie kam es zu Eurem außergewöhnlichen Bandnamen Oberer Totpunkt? Wer ist dafür verantwortlich?

Bettina: Der obere Totpunkt ist der Umkehrpunkt des Kolbens beim Viertaktmotor. Hier zündet der Motor oder er wird abgewürgt, aus meiner Sicht ein schönes Bild für den psychischen und emotionalen Zustand der Figuren in meinen Stories und Texten. Die befinden sich quasi an dem schicksalhaften Punkt in ihrem Leben, an dem sie entweder reüssieren oder versagen und aufgeben.

Wie seid Ihr in das Licht der Öffentlichkeit getreten, wo waren die ersten Auftritte, wie hat sich das entwickelt ?

Bettina:  Nachdem wir unser erstes Album unter eigener Regie herausgebracht hatten, zeigte sich, dass es gar nicht so einfach war, mit unserem Konzept live aufzutreten. Es ergab sich dann der Kontakt zu einer Band, die dabei war, eine Reihe zu konzipieren: Die Crystal Apes. So konnten wir uns vor genau zehn Jahren im Rahmen der ersten OneNightShow am 24.11. 2007 zum ersten Mal live auf einer Bühne, dem MarX in der Markthalle in Hamburg, präsentieren. Davon gibt es sogar eine Aufzeichnung: „Du und Ich“ war der Opener und damit unser erster Song, den wir live gespielt haben https://www.youtube.com/watch?v=TnAg_UA07bw
. Später folgten noch weitere OneNightShows. Zeitgleich hatten wir dann das Glück, dass uns ein schwarzer Radiosender spielte und Bruno Kramm auf uns aufmerksam wurde und bei seinem Label Danse Macabre aufnahm.

Habt Ihr alle eine musikalische Ausbildung genossen und wie seid Ihr an Eure jeweiligen Instrumente gekommen ?

Bettina: Zählt es mit, dass ich in der Schule in der Musikklasse war und auch im Schulorchester gespielt und etwa acht Jahre Querflötenunterricht inhaliert, allerdings eher so gar nicht geübt habe?

 Micha: Und ob das zählt. Die Querflöte bauen wir auch mal ein. Ich habe auch mit meinem Bruder Klavier spielen müssen und auch eine Orgel geschenkt bekommen. Aber das hat uns nicht interessiert und wir beide galten als unmusikalisch. Mitte der 80er-Jahre kamen wir über New Wave darauf, Musik zu machen. Ich wollte zuerst Bass spielen hab mich dann aber an die Drums gesetzt, mein Bruder Synthesizer. Bei den Drums bin ich geblieben. Anfang der 2000er war ich auf der Drumschool in Hamburg und habe auch Privat-Unterricht genommen. Am meisten bringen mir aber Lehrbücher und Videos. Propellerhead Reason hab ich mir auch mit Lehrbüchern beigebracht. Bass spielen auch. Ich bin guter Autodidakt. Dann muss ich mich nicht nach Zeiten richten sondern lerne, wenn ich Lust habe. Das wichtigste: Wenn möglich jeden Tag eine halbe Stunde spielen. Ich hole mir immer Hilfe, wenn ich bei irgendwelchen Sachen nicht weiterkomme.
Stefan: Ich hatte zunächst überlegt, Bass zu spielen. Einer der größten musikalischen Einflüsse als ich 14 war, waren bei mir Duff Mckagan (Bass/Guns´n´Rosés) & James Hetfield (Metallica). Der Gitarrenverkäufer damals empfahl mir eine Gitarre, weil man damit mehr  machen könnte. Hab drauf gehört und mit dem Gitarrenspiel angefangen. Aber auch nebenher immer Bass gespielt und das in diversen Bands.
Denis: Ich spiele seit dem 6. Lebensjahr Klavier. Habe dann mit 18 meine erste Metalband gehabt und habe seitdem in einigen Bands Keyboard und Bass gespielt. Bis 2015 war ich bei der Progressive-Metal-Band Synride aktiv. Da haben wir uns auch bei einem Konzert mit OT in Marias Ballroom kennengelernt. Seit 2017 bin ich bei OT dabei.

Mit welchen Künstlern aus der Szene versteht Ihr Euch am besten ?

Bettina: Den besten Draht haben wir zu Schneewittchen. Marianne ist auf vielen CDs von uns zu hören und die beiden unterstützen uns auch gern live, wenn es passt. Und wir spielen ebenfalls einige Tracks wie Rosengarten und Loch im Kopf mit Vocals und Drums gern bei Schneewittchen live mit. Aber generell verstehen wir uns mit vielen anderen Künstlern gut, darunter viele aus dem Hause Danse Macabre, denen wir bei Veranstaltungen öfter begegnen.

Was sagt Ihr zum Thema – mehr oder überhaupt Radioeinsätze – von solch Klängen wie Ihr sie zelebriert, wie könnte man sowas anschieben ?

Bettina: Die „klassischen“ Sender sind eher zurückhaltend, vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass sie ihr Programm von den Major-Labels diktieren lassen? Michael: Da gibt es anscheinend nicht die passenden Frequenzen, in denen wir stattfinden könnten. Vielleicht findet sich ja mal der passende Sender. Im Online-Radio wie Radio Dunkle Welle, Radio Schwarze Welle, CIA-Radio etc. laufen wir ja schon seit Jahren. Wir hören ja beim Auto fahren öfter Radio und können es kaum glauben das dieser nervige Deutsch-Pop auf allen deutschen Sendern in Rotation läuft. Ja definitiv. Das Online-Radio ist ja schon gut aufgestellt. Im Radio und TV fehlen Sendungen, die andere Sachen zeigen.

Wie sieht es mit Videos aus – ist das für Euch wichtig solche Clips zu den Tracks Youtube zu produzieren ?

Michael: Videos sind ein Riesenspaß für alle. Wir machen immer No-Budget-Videos und lassen den Kameraleuten freie Hand. Wir geben nur Grundideen vor. Wichtig ist uns nur, dass man die Band spielen sieht und dass nicht zu viel Story reingebaut wird. Ich bin kein Freund von 3:30 Videos, bei denen man versucht, eine komplette Geschichte zu erzählen. Das muss interpretationsoffen sein.

Habt ihr schon Auftritte im Ausland absolviert, wo hat es Euch am besten gefallen ?

Bettina: Unser erster Auslandseinsatz war in Wien. Eine tolle Stadt und tolle Leute dort! Wir hatten das Glück, dort mit Künstlern zusammentreffen zu dürfen, die schon viel erlebt und viel zu erzählen haben. Inzwischen waren wir ein weiteres Mal dort, ich hoffe, nicht das letzte Mal! 
Demnächst werden wir in Zürich auftreten, beim Schwarzen Ball. Das ist keine unbedeutende Veranstaltung! Wir freuen uns schon sehr darauf! 
Wir bekommen auch viel Feedback von Fans aus Spanien, Frankreich und Lateinamerika. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Jahren mal eine Tour dort organisieren können.

Was sind Eure All Time Heroes im heimischen Plattenregal – was zückt ihr immer mal wieder zum Hören heraus ?

Stefan: Es gibt einige wenige Bands, bzw. CDs, die ich mir immer wieder anhöre. Beispielsweise die ersten Sentenced CDs (finnischer Metal) oder The Black League (ebefalls finnischer Metal). Ich mag die düstere Atmosphäre auf den Scheiben. Viele neue Bands die ich mag, ebenfalls aus Finland, sind in den letzten Jahren hinzu gekommen. Bettina: Fehlfarben! Allerdings nur die „Monarchie und Alltag“. Tom Waits und Anne Clark!

 Michael: Ich bin Mitte der 90er- Jahre auf CD umgeswitched und habe seitdem kaum neue Platten gekauft. Wenn, dann nur von Bands. Befreundete Bands aus unserem Labelumfeld Danse Macabre und über meinen Bruder (Techno), weil in DJ-Kreisen Platten aufgelegt werden. Ich glaube in der Wave-Gothic-Szene geht es eher ums Sammeln. Ehrlich gesagt höre ich mir lieber neue Sachen an, als Songs, die ich schon tausendmal gehört habe. Über Webradio, Youtube-Sammlungen von Djs. Ich höre auch gern Sachen, mit Open-Flow wie Krautrock, Stoner-Rock, Psychedelic-Rock.Aber wenn ich mal ältere Sachen höre – dann auch gern: Wave, Industrial, Alternative-Rock, Nu-Metal aus den 90ern, New Wave aus den 80ern, 70er-Jahre-Rock, 70´s Funk. Und immer gern mal die guten alten Beatles.
Denis: Alle Alben von A-ha, die neueren von Kamelot und alles von Metallica bis einschließlich Black Album. Weiterhin Emperor, insbesondere Anthems to the Welkin at Dusk, Verisäkeet von Moonsorrow und einige mehr, deren Aufzählung hier aber den Rahmen bei Weitem sprengen würde. Ich höre aber auch gerne klavierorientierte Popmusik à la Elton John und Billy Joel oder beim Autofahren guten Trance.

Was außer Musik bereichert noch Euer Leben, außergewöhnliche Hobbys oder Filme, Bücher ?

Michael: Ich habe keine Hobbys. Ich mache nur Sachen, die ich liebe und bin froh das ich meine Leidenschaften professionell ausleben kann: Tauchen, Schreiben, Musik komponieren, Schlagzeug und Bass spielen. Grafik-Design, Fotografie. Die letzten fünf Jahre lag der Schwerpunkt bei Schreiben, Tauchen und Musik. Aber das verschiebt sich immer wieder. Einzige Nebenschauplätze ohne weitere Ambitionen sind Kochen, Wein trinken und Filme gucken – also die klassischen Altherren-Strickjacke-Hobbys. Dinge, die ich intensiver verfolge, wenn ich alt bin. Also ab morgen :)

Bettina: Ein Leben ohne Bücher ist für mich zwar denkbar, aber sinnlos. Ich würde es dennoch nicht als Hobby bezeichnen, sondern als lebenserhaltende Beschäftigung wie essen und trinken. Wenn ich nicht arbeiten müsste, um meinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften, dann hätte ich Hobbys. Allen voran würde ich Sprachen und Musikinstrumente lernen, viel mehr Yoga machen, viel mehr tauchen, viel mehr reisen und viel mehr über Reisen berichten. 

Denis: Musik ist mein Hobby und Passion Nummer Eins. Ganz ohne aktiv Musik zu machen könnte ich mir das Leben nicht vorstellen. Auch wenn ich gerne komponiere oder auch mal eine Stunde mit geschlossenen Augen am Klavier sitze und nur improvisiere, ist mir das gemeinsame musizieren mit meinen Mitmenschen am Wichtigsten. Und natürlich gemeinsam mit meinen Mitmusikern Bühnenluft schnuppern! Daneben engagiere ich mich ehrenamtlich im Bereich Japan beim JFFH (Japan-Filmfest Hamburg) und in einer Japan-AG mit Kindern und Jugendlichen. Gute Filme sehe ich ebenfalls gerne, wobei mir inzwischen berufs- und musikbedingt oft die Zeit für ausschweifende Kino- oder Videoabende mit Freunden fehlt. Stefan: Ich mache viel Sport. Ich habe jahrzehntelang intensiv Thaiboxen und Boxen betrieben. Später kam noch das Radfahren und das Laufen mit hinzu. Sich auszupowern tut gut und hält fit, auch für die Bühne ist es wichtig eine gute Kondition zu haben. Das unterschätzen viele. Was recht ungewöhnlich ist, ist die Tatsache, dass ich Schuhe und Taschen sammle. Ich bestelle mir in regelmäßigen Abständen immer mal wieder Doc Martens im Internet oder schöne Arbeitstaschen.

Wie steht ihr zu Musikpiraterie? Also illegal heruntergeladene Songs oder ist es für kleine Bands ein Vorteil, dadurch eventuell sogar bekannter zu werden ?

Stefan: Ich finde durch das herunterladen von kostenloser Musik bekommt das Ganze etwas Inflationäres. Dinge für die man zahlen muss machen deutlich, dass das Produkt einen Wert hat. Wenn ich immer auf alles was ich konsumiere kostenlos zugreifen kann, bzw. eine Festplatte voll mit MP3s habe, werde ich mich vermutlich nicht mit Band X oder Y näher beschäftigen, sondern vielmehr die Musik überfliegen. Man setzt sich mit Dingen für die man bezahlt hat anders, ggf. intensiver auseinander. Ich persönlich bestelle mir CDs über Amazon oder gehe in das Ladengeschäft, weil ich möchte, das der Künstler den ich gern hören mag durch mich etwas verdient. Der muss ja auch von irgendetwas leben.Bettina: Du kannst dich ja mal bei deinem Bäcker erkundigen, ob der ein paar Brötchen gratis rausrückt, weil er dadurch ja bekannter wird.

 Michael: Haha. Sehr gut! Auf Youtube, Soundcloud, Spotify etc. gibt es doch schon alles umsonst zu hören. Alben oder ganze Diskografien auf Server hochzuladen finde ich vollkommen asozial! Damit gräbt man den Künstlern, die sowieso selten daran verdienen jeglichen Respekt ab. Generell ist die Ausbeutungs-Bereitschaft vieler Bands viel zu groß. Einige Bands produzieren teure Videos, nehmen Alben im Studio auf und machen Promo, um dann bei Konzerten draufzuzahlen. Das Konstrukt ist schon sehr krank. Denis: Sicherlich ist die Situation inzwischen eine andere als damals das Kopieren von Musikkassetten und das Weiterreichen auf dem Schulhof (das meinen Musikgeschmack nachhaltig geprägt hat), das im Rahmen der Privatkopie auch legal war. Alle Alben, die ich gut fand, hatte ich mir damals trotzdem zusätzlich auch als Original gekauft, erst als Kassette, später dann als CD, selbst wenn ich die Originalkassette bereits hatte. Mir ist aber auch bewusst, dass mit den digitalen Medien die Verfügbarkeit und das Vervielfältigen deutlich einfacher geworden sind. Und da sehe ich ein noch größeres Problem: Musik ist durch das Überangebot und die ständige Verfügbarkeit für viele zum schnelllebigen Massenmedium geworden. Gekaufte Songs werden kaum noch gehört, sobald sie nicht mehr „in“ sind, Alben werden von den Fast-Music-Konsumenten kaum noch gekauft, während sich für mich auf vielen Alben die Perlen gerade unter den weniger bekannten Songs verborgen haben. Das bewusste Hören von Musik wird nur noch von wenigen praktiziert, Musik ist für viele zum beliebig austauschbaren Unterhaltungsmedium geworden. Glücklicherweise gibt es noch immer viele Musikliebhaber und Fans, die die Alben kaufen und für die Musik noch einen Wert hat. Mit einer meiner früheren Bands hatten wir uns entschieden, das Album frei unter einer Creative-Commons-Lizenz verfügbar zu machen, aber ich denke für die wenigsten Bands ist es ein Vorteil. Ausnahmen und Marketing-Genies gibt es natürlich immer. Man muss sich bewusst machen, dass wir viel Zeit, Herzblut und Geld in die Musik stecken. Jemanden, der schnitzt oder malt würde man doch auch nicht sagen „Gib mir das mal umsonst, ist doch Dein Hobby“.

Da ich ein Fan vom guten alten Vinyl bin, wie steht ihr zur gerade wieder auflebenden Vinylkultur – veröffentlicht ihr auch in Vinyl oder ist die Zukunft wirklich das digitale Streaming, sowie Bandcamp und Co. ?

Michael: Ich finde Platten in erster Linie wegen der Größe attraktiv, also eher aus visuellen und weniger aus akustischen Gründen. Artworks in 30x 30-cm-Größe wirken eindrucksvoller als 12x12cm Booklets bei CDs. Mit Digipaks oder Bundles kann man natürlich gestalterisch auch viel machen, aber letztendlich ist es wie bei Motoren. Der Hubraum macht den Unterschied. Gerade Booklets mit Schriftgrößen in Beipackzettel-5-Punkt-Typo machen wenig Freude. Ich denke mal Vinyl sollten wir auch mal ins Auge fassen, weil viele OT-Fans mit Sicherheit auch Schallplatten von uns sammeln würden. Ich bin mit Singles, Maxis und LPs aufgewachsen und habe daher eher eine nostalgische Verbindung damit. Ich mag es auch eher in Plattenläden rumzustöbern, allerdings auch weil es mehr Spaß macht, LP-Cover durchzublättern. CDs finde ich ehrlich gesagt praktischer. Platten sind einfach unglaublich empfindlich und nach kurzer Spielzeit muss man sie umdrehen. Nervig. Das Knistern und Knacken kann mich nicht begeistern. Soundunterschiede sind da, aber das geht für mich eher in den Bereich der Esoterik. Und da gibt es im Bereich der „MI“ unendliche Diskussionsbereiche zum Ausleben (siehe Analog vs. Digital). Eine Platte aufzulegen ist etwas besonderes und hat eine andere Art der Wertschätzung. Ich glaube es ist eher die Zeremonie: Die Platte vorsichtig aus dem Innencover herausnehmen. Auflegen, Kohlefaserbürste, Tonarm herüberschwenken, Abdeckung schließen etc. Denis: An mir ist die Vinylkultur vorbeigegangen. Einen Plattenspieler und einige Platten hatte ich auch mal, aber die CD war für mich immer einfacher zu verstauen und komfortabler zu handhaben, auch wenn ich die größeren Cover-Artworks gerade von Bands aus dem Metal-Bereich stets geschätzt habe und im Keller auch noch ein paar Alben habe. Ich kenne aber viele Freunde, die im Bereich der elektronischen Musik auflegen und dies noch immer mit Schallplatten machen oder aus dem Heavy-Metal-Bereich, die die Schallplatte für sich wiederentdeckt haben, nicht nur wegen der teils großartigen Cover-Artworks. Letztere zelebrieren das Hören eines Albums natürlich ganz anders, als dies mit einer CD oder mit MP3-Audiodateien möglich ist. Auch eine Art der Wertschätzung von Musik.

Und was möchtet ihr in der Zukunft mit Euren Projekt noch erreichen oder gibt es noch Nebenbaustellen, die nicht in das Konzept von OT passen ?

Bettina: Wir arbeiten parallel an der Umsetzung von OT unplugged. Also die ruhigeren Stücke, die wir live nicht spielen, aber trotzdem mögen wie aktuell bei der „Neurosen blühen“ Exquisites Requisit, 15bar und Zurück ohne Zukunft. Wir haben das 2010 beim WGT schon mal vorgestellt. Mittlerweile haben wir mit Denis an den Keyboards und Stefan für Gitarre und Bass auch die richtige Band, um die Titel frei ohne Backtracks zu spielen.

 

(S.Erichsen)

 

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