Diesmal haben wir wieder keine Mühen und Kosten gescheut und haben einen musikalischen Tausendsassa zu Gast. Es geht um keinen geringeren als Thorsten Quaeschning, der 1970 in Berlin geboren wurde und somit seine musikalische Karriere fast zwangsläufig in Richtung „Berliner Schule“ ausrichten mußte, zumal die Band, der er später beigetreten ist, da schon auf ihren kreativsten Höhepunkt zusteuerte. Thorsten war in der Hochschule für Künste Berlin, ist Multiinstrumentalist, Composer, spielt Keyboard, Schlagzeug und Synthesizer und er ist seit 2004 mit seinem Elektro Postrock Projekt Picture Palace unterwegs. Zudem seit 2003 festes Mitglied bei den großen Tangerine Dream von Edgar Froese und das soll schon was heißen. Musikalisch aufgewachsen ist er übrigens klassisch mit Wagner und Humperdinck, aber lassen wir Thorsten doch einfach mal selbst zu Wort kommen und ich kann schon mal verraten, das Thorsten hier wirklich interessante Einsichten zum Besten gibt.Hi Thorsten, bei Dir sind wir natürlich alle sehr gespannt, was Du uns zur Frage aller Frage erzählen wirst, nämlich wie Du zur Kultband Tangerine Dream gekommen bist ? Wie begann bei Dir generell Deine elektronische Musikkarriere und woher nimmst Du die Inspiration und Motivation ?
Hallo Sven, vorab vielen Dank für dieses Interview und die wirklich guten Fragen. Edgar fragte 2003 einen seiner Mitarbeiter, der gleichzeitig Sänger einer Gothic-Rock-Band war, welche Keyboarder aus Berlin für diese Position in Frage kämen. Gesucht war jemand, der auch ziemlich detaillierte Anforderungen an Software-Erfahrungen erfüllen musste. Es ging zum Beispiel um Steinberg Cubase, Wavelab, Halion, etc., um sicherzustellen, dass man auf der selben Plattform arbeitet und sich dort gut zurecht finden würde. Spieltechnik, globalere Interessen und Vieles mehr spielten natürlich auch eine größere Rolle. Er schlug drei Keyboarder vor. Mich kannte er aus der Gothic und Wave-Szene Berlins und aus einer Testphase von einigen Wochen wurden bis heute 14 Jahre. Innerhalb meines Lebens ist dies eine sehr lange Zeitspanne. Um „elektronisch erzeugte“ Musik kommt man als Synthesizer-Spielender nicht herum. Auch ist es eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass sich der Keyboarder innerhalb einer Band um Sequenzer und Aufnahmen kümmern muss. Dies war mein Einstieg in die „elektronische Musik“ circa 1993/1994, als ich innerhalb verschiedener Projekte auch meine ersten Hard- (Yamaha QY20) und Software-Sequenzer (Cubase auf einem Atari) basierten Kompositionen erarbeitete. Ab 2003 verbrachte ich circa die Hälfte der folgenden Jahre in Edgars Anwesen und Studio-Komplex in Österreich. Edgar war, wenn er wollte, ein ausgezeichneter Lehrer, der mir viele Dinge über elektronische Musik, Sequenzer-Reihen, Frequenz-Staffelung und wahrscheinlich noch zweimal so viele Dinge über Bereiche außerhalb des direkten, aktiven „Musik-machens“ beibrachte, was aber weitblickend betrachtet natürlich Synergie- und eine Art kreative Induktion- Effekte hervorruft. Die Frage der Motivation stellte sich für mich nie, da mein Leben darauf aufgebaut ist mich durch Musik auszudrücken und dies im Wesen und in der Persönlichkeit einen verankerten, selbsterlegten Zwang und somit eine Art natürliches „Muss“ darstellt. Inspiration wird durch mannigfaltige Dinge getriggert, ob dies nun Erlebnisse, Momente in Stille, Filme, Bücher, Bilder oder auch Gedanken sind, die während eines Fahrrad- oder Boots-Ausfluges von Impulsen zu Ideen transformieren. Diese Eindrücke im richtigen Moment festzuhalten, ist für mich die deutlich schwierige Aufgabe.
Wann hast Du mit Deinem eigenen Projekt begonnen – Picture Palace – in Deutsch wohl Lichtspielhaus – was mich gleich an ein Konzert vor ca. 15 Jahren der Band – In The Nursery – in Braunschweig im alten Analogkino erinnert, dort wurde ein Stummfilm aus Rußland des Jahres 1928 live vertont ?
„Picture Palace music“ entstand durch eine wilde Idee der Mitglieder einer anderen Band, in der ich um die Jahrtausendwende spielte und wir unsere Liebe für Stummfilme und Filmmusik, teilweise sogar gesamtheitlich betrachtet, entdeckten. Wir begannen Stummfilme wie „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Metropolis“ und „Faust“ mit den Mitteln des Zeitgeistes zu vertonen und diese auch in verschiedenen Kinos aufzuführen, spielten aber auch Denkmäler-Einweihungen, Spatenstich-Zeremonien, Galerien und an weiteren eher ungewöhnlichen Orten, bis wir uns 2010 dazu entschieden, auch Alben mit von Anlässen oder Filmen unabhängiger Musik zu veröffentlichen und diese dann in einem konzertanten Umfeld aufzuführen.
Haben sich über die Jahre Deine individuelle Musikausrichtung und elektronischen Sounds (der neuen Technik geschuldet) weiterentwickelt ? Wie sieht Deine Produktionsumgebung heute aus ?
Sicherlich habe ich mich in Geschmack und Ausführung verändert, zumindest hoffe ich dies, da alle anderen Szenarien doch sehr traurig, einseitig und deprimierend wären. Ob dies eine musikalische Evolutionsform in Richtung„Weiterentwicklung“ im Wortsinne von „Überlegen“ ist , kann ich selbst nicht beurteilen bzw. wage ich es generell anzuzweifeln, dass dies aus einer gegenwärtigen Position überhaupt möglich ist. Technischer Fortschritt kann Arbeitsprozesse beschleunigen, was wiederum zu vielleicht zeitpunktsgetreueren Zielen führt. Meine Arbeitsumgebung ist im stetigen Wandel und umfasst eine Menge Analoger-, Modularer-, Virtual Analoger- und Digital-Synthesizer, die man wiederum in Sparten wir FM, Wavetable, Samplebasiert, etc… aufsplitten könnte). Ich arbeite jetzt seit über 20 Jahren mit Steinberg-Software und sehe keinen Grund dies im Studio zu ändern. Live können Programme wie Ableton sicherlich einige Stärken ausspielen. Ich habe digitale und analoge Mischpulte und summiere nach Geschmack am Ende der Produktion noch 24 Spuren in bzw. durch einen speziellen Summierer. Dazu kommen noch ein paar Drummaschinen und Controller. Ich denke, dass ich bei Instrumenten ein vielleicht 80/20 Verhältnis von Hard- zu Software benutze. Bei Effekten ist dies genau gegensätzlich.
Erkläre den Lesern doch bitte einmal das Konzept eines Tangerine Dream Albums Deiner Wahl ? Wieviel Arbeitszeit wurde in die großartigen Alben investiert und wie lief der Entstehungsprozess mit Edgar Froese incl. Studioarbeit bei Euch ab ? Das selbe auch gerne für Picture Palace, wenn Du magst !
Eine Gemeinsamkeit von Tangerine Dream und Picture Palace Music ist meiner Meinung nach die Steigerung der Qualität, wenn nach einem starken Konzept, sei es für eine Phase oder nur ein Album, gearbeitet wird. Bei Tangerine Dream gab es Konzepte zu jedem Album oder auch Alben-Reihe wie z.B. die Literatur-Vertonungen „Sonic Poems“ („Island of the Fay“, „Angel in the west window, „Finnegans Wake“, „Hamlet“und „The Castle“ ). Nach einer langen Einarbeitungsphase in die Materie sprachen wir lange über Soundvorstellungen, Aufgaben innerhalb der Kompositionen und dem Spannungsverlauf der Geschichte und somit des Albums. Edgar hatte aufgrund seines Experimentiergeistes immer viel Freude daran, verschiedene Produktionswege , Arbeits- und Kompositionsweisen zu suchen und bestenfalls zu finden und umzusetzen. Da unsere Studios nur von einer Wand getrennt waren, trafen wir uns häufig über den Tag oder Abend verteilt in einem der Räume und tauschten Daten aus und besprachen die Musik des jeweils Anderen. Eine der größten Qualitäten von Edgar war das auf den Punkt bringen der Komposition und des Konzeptes, in Hinblick auf meine Arbeiten, auch das Kürzen meiner Stücke, die während des Produktionsprozesses immer kürzer wurden, was in meiner musikalischen Welt dann meist trotzdem noch eine Dauer von 7 -10 Minuten pro Stück bedeutet. Arbeitszeiten zählen würde mich eventuell von der Arbeit abhalten oder ablenken. Darum mache ich das nicht.
Wie ist Deine geschätzte Meinung zum Bereich Electro-Musik im Radio (z. b. Tangerine Dream, Jarre, Vangelis )die durchaus Radiokompatible Tracks produziert haben, wie könnte man diesen Bereich beeinflussen, um überhaupt einmal mehr von solcher Musik im Radio zu hören ?
Eine komplizierte und gute Frage. Hier muss man sehr viele Grenzen ziehen. Rechnet man elektronische Musik zu Instrumentalmusik, ist eine Radioplatzierung in einem Radio-Tagesprogramm sicherlich sehr schwierig oder vielleicht etwas für Klassik-spezialisierte Sender. Dürften „Vangelis – Conquest of paradise“ oder viele Enigma-Stücke überhaupt mit ihren Chor- und Stimmen-Passagen dazugezählt werden? Falls ja, wie bestimmt man den Unterschied zu einem Lada Gaga-Stück, das ausschließlich aus elektronischer Musik und Stimme besteht? Alle Grauzonen wie M83, Radiohead, Boards of Canada, etc. kurz mal beiseite gelassen. In Berlin gibt es z.B. „Elektro-Beats“ mit Olaf Zimmermann auf Radio Eins, einem staatlichen, regulären und beliebten Rundfunksender. Hier setzt sich eine Musikredaktion dafür ein, fest terminierte Genre-Sendungen im Serienformat, in diesem Fall wöchentlich, zu produzieren. Um allerdings in das Chart und Massen-bestimmte Tagesprogramm wiederum anderer Radiosender zu kommen, die einen anderen Ansatz haben, kann man nur aus einer Chart oder von den Massen geforderten Position heraus gespielt werden. Jetzt könnte man in diesem Bereich beim Thema: „Schwarmintelligenz“ ansetzen oder einsehen, dass es nur sehr wenige Personen gibt, die durch ihre Positionen diese steuern könnten. Hier gibt es nur wenige Ansichten, die falsch sind. Auf der einen Seite wünscht man es sich natürlich häufiger im Radio gespielt zu werden, auf der anderen Seite hat man vielleicht einen kritischen Blick auf subventionierte Kunst oder Quotenregelungen, dass z.B. eine bestimmte Sprache zu vorher festgelegten Teilen gesendet wird, was auch heißt, dass andere Stücke in anderen Sprachen unabhängig ihres Erfolges, Akzeptanz oder in einer wunderbaren Welt musikalischen Qualität deshalb nicht gespielt werden. Von der Problematik innerhalb der wunderbaren Welt einen über Qualität Entscheidenden zu erküren, im nächsten Schritt festzulegen wer diesen wählen darf, usw… Dann wohl doch keine leicht umsetzbare „wunderbare“ Welt. Hier könnten Streamingdienste, die leider auch zwischen Lösung und Problemursprung pendeln, durch die personalisierten Hörer-Playlistvorschlag- Algorithmen sicherlich auch ein Lösungsansatz sein. Das Auszahlungskonzept sollte man allerdings aus meiner Perspektive noch einmal überarbeiten.
Die von einigen Leuten als „Kavaliersdelikt“ betitelte CD Piraterie, ist das in Ordnung, wenn man Eigentum von Superstars wie von den oben genannten von irgendwelchen Seiten herunterladen kann und was sollte eine CD im Gegenzug aktuell kosten, um den Verkauf wieder anzukurbeln oder ist die CD gar ein Auslaufmodell ?
Jeder der Musik illegal herunterlädt sollte sich nicht wundern, wenn ein „Superstar“ in die Wohnung, Laden oder Firma des Herunterladenden kommt und einfach mit demselben Argument ein paar Sachen „mitnimmt“, wäre sicherlich eine zu simplifizierte Antwort, aber ein naheliegender Versuch dies in Relation zu erklären. CDs haben keine festen Preise da diese je nach vergangener Zeit auf dem Markt nach unten variiert werden. Auch eine sehr gute, schwierige Frage. Sollte man den Preis an Auflage und Produktionszeiträume anpassen? An Anzahl der beteiligten Musiker und Mitarbeiter? Dies würde wohl auf keiner Ebene funktionieren. Manche Personen sagen 14,99 EUR wäre zu viel für eine CD. „Dafür bekäme man ja auch drei große Milchkaffee im Bistro gegenüber“ funktioniert aber als Untermauerung dieser Aussage nur bedingt. Viele Leute erkennen, vielleicht zu recht, den Mehrwert einer CD nicht. Ein schönes Cover, ein Booklet und in Relation zum Streaming den immensen Vorteil, diese Kopie der Musik zu besitzen und nicht eventuell im nächsten Monat, falls der Künstlervertrag mit einem Streaming-Dienst ausläuft (oder dieser von einer Partei gekündigt wurde) seine Lieblingsmusik nicht mehr innerhalb des Players abspielen zu können. Additiv problematisch gestaltet sich allerdings die Abhörsituation beim Hörenden. Viele hören Musik über Smartphones, Tablets oder auch ihre Netbooks und Laptops. Hier geht der Trend der aktuellen Geräte allerdings in eine CD-Laufwerkfreie Umgebung. Man könnte vielen Leuten die CDs schenken; sie könnten sie allerdings trotzdem nicht abspielen. Dies ist sicherlich auch eine Frage der Altersgruppe der jeweiligen Hörenden, bleibt aber dennoch ein aktuelles Problem.
Ist die Zukunft, für mich als alten Plattensammler übrigens eine grauenvolle Vorstellung, tatsächlich der digitale Megatrend (das Streaming) ,wo Millionen von Songs überall und sogar legal jederzeit bequem und billig wie nie zuvor verfügbar sind ( Bandcamp und Co. ) ?
Ich finde das Angebote Vinyl inkl. eines MP3-Donwload am attraktivsten. Dies ist die Form in der ich seit Jahren Musik kaufe. Wie schon erwähnt kann man auch im Streaming nicht alles verteufeln, jedoch auch nicht annehmen, dass dies die Lösung für die Probleme der Musikindustrie arstellt. Andere Auszahlungsalgorithmen, die vielleicht Spielzeit abhängig sind, z.B. bis 30 Sekunden finde ich es fast fair, lächerlich wenig zu zahlen, weil in dieser Zeit der Hörer auch entscheiden könnte das Gehörte nicht gut zu finden. Danach wäre es allerdings auch fair, die Ausschüttungen massiv zu erhöhen. Ein weiteres Problem könnte die fehlende emotionale Bindung zu daumenfingernagelgroßen Covern sein, nicht mehr im Booklet stöbern zu können etc. und den selbst überbrückten Anschaffungswiederstand, seien es 14,99 EUR oder auch der überwundene Weg durch den Regen zum nächsten Plattenladen, wie einen kleinen Erfolg zu feiern. Das „Schätze sammeln“ kommt abhanden und die Chance geteilter Emotionen oder kollektiver Erinnerungen die Hörer zum „Fan“ (ich mag dieses Wort nicht, aber es beschreibt es vielleicht in diesem Fall doch am besten) werden lassen könnten.
Wie stehst Du zum Thema Musikvideos ? Bringt es Vorteile in diesen Audiovisuellen Zeiten Clips für You Tube oder andere Kanäle zu erstellen ?
Es bringt sicherlich Vorteile ein paar schöne Clips und Videos von seiner Musik oder von Auftritten auf YouTube zu haben. Hier müssen allerdings häufig verschiedene Kompetenzbereiche verschiedener Personen ineinandergreifen. Nicht jeder „gute“ Musiker ist zeitgleich ein toller Drehbuchautor und umgekehrt. Dies ist leider mit einem finanziellen Mehraufwand verbunden. Ich war nie ein großer Freund von Musikvideos, die auf der einen Seite spielende Musiker an einem Strand, Rennstrecke oder Rummelplatz zeigen und auf einer weiteren Ebene eine in 3 ½ Minuten erzählbare Story transportieren wollen.
Ich hatte vor kurzem ein uralten Auftritt von Tomita gesehen und war begeistert und zugleich erstaunt mit welchem Aufwand der Künstler dereinst aufgetreten ist ? Wie siehst Du die Entwicklung zur heutigen Zeit, wo so mancher EM Musiker lediglich mit einem Rechner auf der Bühne steht und ist der Hardwaresynth mit Tastern und Reglern live noch immer ein Vorteil ?
Eine aus meiner Sicht schlüssige Antwort wäre, dass ich wahrscheinlich Instrumente und Echtzeit-Kompositionen besser bedienen kann als Laptop-Sequenzer. Natürlich benutze ich diese auch, fühle mich aber am Hardware-Instrument und dem Gefühl echte Hardware Regler zu drehen sicherer. Diese Sicherheit überträgt sich im besten Fall wieder auf die Performance. Bei anderen mag dies umgekehrt sein. Schlussendlich zählt das Resultat.
Welche Technik bzw. Synthesizer hattest Du am Anfang Deines Schaffens eingesetzt, erste Instrumente – und welche Synths sind heute deine Favoriten und prägen euer Soundgerüst ?
Ich habe eine Menge Synthesizer über die Zeit gehabt und eine andere Menge behalten. Ende der 90er sparte ich mir ein gewisses Budget zusammen und ersteigerte alles was ich finden konnte, allerdings mit der von mir selbst auferlegten Regel, dass ich Geräte die mich nicht „ansprechen“ oder nicht zu „meinem“ Sound passen, nach 3 – 4 Wochen verkauft werden. So stellte ich mir meine eigene Sammlung zusammen, die wirklich auf meinen Sound und meine Arbeitsweise abgestimmt ist. Meine Favoriten sind sicherlich der Moog Voyager, Jupiter, Solina, MS20 und mein Eurorack-Modular- System. Vieles ist Phasenbestimmt, was in meinem Fall sehr für den Prophet, JD800, Z1 etc… gilt. In diesem Moment finde ich z.B. die Mutable Instruments Module unfassbar gut.
Der Synth Dino Jean Michel Jarre hat vor ca. 10 Jahren seine erste Veröffentlichung „Oxygene“ mit den Original Instrumenten aus 1976 live auf einer Tour performt. Wäre das mal ein Anreiz für Dich, ältere Tracks und Platten von T.Dream und P. Palace nochmal live oder generell neu performed zu präsentieren ?
Wir haben mit Tangerine Dream 2014 einige Scorcerer Konzerte in Dänemark und Australien gespielt. Als Teil unseres Sets spielen wir auch manchmal die erste Seite von Rubycon. Es gibt Überlegungen zukünftig das eine und andere Stück wieder innerhalb unserer Konzerte zu präsentieren, aber dies will reiflich geplant werden. Wir werden sehen.
Wird im Studio bei Dir viel herum experimentiert und getestet , worauf legst Du besonderen Wert wenn Du z. b. neue Synthies u.a. prüfst ?
Ja, gerade das Modular-System lädt recht offensiv zum Experimentieren ein. Verschiedene Synthesizer müssen verschiedene Aufgaben erfüllen, für mich einen speziellen Charakter haben, meiner Arbeitsweise entgegen kommen und zunächst in ihrem Klang überzeugen. Einige Synthesizer verlieren ihren Charme durch „Überhören“, andere ihre komplette Existenz im Mix, wenn sie mit den großen Klassikern innerhalb eines Arrangements zeitgleich Aufgaben erfüllen sollen. Für mich gibt es noch einige profane Dinge, z.B. Data-Entry Regler mittig rechts neben einem Hauptdisplay finde ich extrem hinderlich, da ich mit rechts spiele und meine linke Hand nun diesen Regler bedienen möchte, aber mit dem Handrücken die Sicht auf das Display versperrt. Da ich eine ausgeprägte rot/grün/braun-Sehschwäche habe, lasse ich mir, wenn möglich, Status LEDS in diesen Farben gegen Blau/Weiß/Gelb austauschen, was hier und da, falls es nicht geht, auch ein Ausschlusskriterium ist.
Hast Du einen Pool mit Samples, z.b. aus Zeiten des Audioframes, inszwischen gibt es ja auch jede Menge gute Librarys ?
Nein, davon bin ich absolut kein Freund und sage wahrscheinlich zu oft unschöne Dinge über Leute, die mit fertigen Samples und sogenannten „Construction Kits“ arbeiten, als das ich dies dann selbst dürfte.
Einige Musiker der Szene arbeiten auch in diesen Zeiten mit analogen Synthies anstatt mit digitalen Computern und Software. Bist Du auch der Meinung das analoge Sounds wärmer klingen und somit durchaus eine wichtige, emotionale Komponente in der elektronischen Musik darstellen ? Teilweise werden neue technologische Entwicklungen ( Software Synths ) für den Verlust von Kreativität verantwortlich gemacht ?
Für mich macht es die Mischung, da ich auch den Mehrwert einer Einschränkung auf das Eine oder das Andere nicht erkennen kann. Am Ende des Tages geht es um das Resultat und auf dem Weg dorthin die Fähigkeit seine Werkzeuge zu benutzen. Es gibt im Analogen-, Digitalen- und Software-Synthesizermarkt gute und schlechte Instrumente. Software-Synths haben auf der einen Seite den Vorteil, dass jeder auch mit kleinem Budget Musik machen kann und dadurch Musiker wird. Und auf der anderen Seite den Nachteil, dass jeder auch mit kleinem Budget Musik machen kann und dadurch Musiker wird.
Bist Du im übrigen auch Sammler von antiquarischen Elektrogeräten, wie z. b. das legendäre Umhänge Keyboard Yamaha KX 1, Minimoog, Oberheim Four Voice oder Yamaha CS 80 und ähnlichen Klassikern ?
Ich benutze meine Synthesizer, ob Moog oder Prophet, Solina oder Jupiter. Dabei geht es um den Einsatz und nicht den Besitz. Darum würde ich mich nicht als Sammler bezeichnen. Nicht rationaler Einwand…ein Umhänge-Keyboard würde ich weder benutzen noch sammeln.
Was sind Deine Lieblings Auftrittsorte z. b. in irgendwelchen Planetarien dieser Welt, was bei Deiner Soundausrichtung passend wäre ?
Tangerine Dream spielen ja fast ausschließlich in schönen Lokationen überall auf der Erde verteilt, sei es die Royal Albert Hall/London, Shepherds Bush Empire /London, Admiralspalast/Berlin, Forum/London, Lowry/Manchester, Melbourne Town Hall/Australien, Nokia/LA,, Best Buy Theater/NY, Mountain Winery/Saratogo …und wirklich viele schöne Venues mehr. Jedes Land ist verschieden und bringt seine eigene, charmante Note in die Musik.
Welche All Time Music Classics stehen bei Dir zuhause im Regal – LPs und natürlich auch CDs ?
Meine größten Einflüsse sind definitiv Beethoven und Grieg in der „klassischen“ Musik und aus den letzten 100 Jahren sind Künstler und Gruppen wie Genesis, The Cure, Godspeed! You Black Emperor, The Doors, Sigur Ros, Olafur Arnalds, King Crimson und Van der Graaf Generator sehr wichtig für mich.
Welche technische Entwicklung würdest Du Dir speziell für den Elekro Musikbereich noch wünschen und welche Studio – Hard und Software hat es Dir besonders angetan, benutzt Du Apple oder Windows ?
Ich benutze Windows-Rechner aus keinem speziellen Grund. Meine Computer-System Linie geht vom Commodore 64 über den Amiga 500 zum Atari Mega ST und schließlich zu Windows/Dos Computern. Aus rein praktischen Gründen würde ich mir für Live (darum bitte auch stabil und sicher) einen großen Sampler mit mindestens 1TB SSD HD, 32GB Arbeitsspeicher, 88 gewichteten Tasten wünschen, der Halion, Kontakt, Akai, Emu, Yamaha, Waves importieren kann. Mehrere Dynamik-Zonen usw. Dinge wie Granular- und Additive-Synthese sind nach wie vor sehr interessant und werden hoffentlich immer häufiger den Weg in neue Instrumente finden.
Und zum Schluss ein kleiner Ausblick : Was möchtest Du Musikalisch noch umsetzen und erreichen, diese Frage möchte ich gerne für beide Projekte einsetzen ?
Eine Frage, die mir im schlimmsten Fall Angst machen könnte und mich selbst unter Druck setzt, wenn ich diese beantworte. Ich möchte in dem was ich mache, innerhalb meiner Wahrnehmung davon und darüber, besser werden, Dinge dazu lernen und weiterhin den unumstrittenen Lebensluxus haben, mich täglich ausschließlich mit Musik zu befassen. Ich empfinde mein Schaffen eher im Dienste der Musik. Darum wäre es schwierig meine Ziele in Größen, Orten und Einheiten festzulegen. Wir haben mit Tangerine Dream und Picture Palace Music in den letzten Jahren sehr viel Musik geschrieben, aufgenommen und produziert, haben Dinge wie Echtzeit-Kompositionen/Sessions und variable Stück-Strukturen und Längen in unsere Konzerte eingebunden. Bei Tangerine Dream gibt es feste Regeln bzw. Fix-Punkt-Wegweiser von Edgar in welche Richtung wir gehen. Somit gibt es hier kristallisiertere Zielsetzungen als bei Picture Palace Music. Globaler betrachtet laufen Ziele doch meist auf den Wunsch hinaus, sich gezielt ausdrücken zu können, innerhalb einer Band inklusive aller Synergieeffekte ein noch größeres Ganzes zu schaffen als es die Einzelteile vermögen würden, dies zu transportieren und bestenfalls beim Hörer diese Emotionen ebenfalls anzutriggern, dadurch vielleicht eine gesellschaftlich-gemeinsame Obertonstruktur zu schaffen, MIDI-Kabel zu erfinden, die nicht brechen können und die Chance auf Einsicht, dass Menschen zu wenig Hüte tragen- mindestens dies schließt mich ein.
Vielen Dank für das Interview ! (Sven Erichsen)
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