Galt über ein Jahrzehnt die fundierte Studie „LORDS OF CHAOS“ von Michael Moynihan und Didrik Soderland zum Standardwerk zur satanischen Musik und der norwegischen Black Metal-Szene, ist der jüngst erstmals in Deutsch erschienene Wälzer BLACK METAL EVOLUTION OF THE CULT die wohl logische und zwingende Ergänzung dazu.
Der Fotograf und Autor Daniel Patterson hat , seitdem er sein eigenes Fanzine Crypt selbst verlegte, hunderte von Interviews mit den wichtigsten Black Metal-Bands aller Strömungen geführt. 2013 versammelte er diese in seinem monumentalen Sachbuch auf knapp 700 Seiten geballtes Insider-Wissen. Beginnend mit BLACK SABBATH und VENOM beleuchtet das Buch sowohl die Anfänge in den frühen 1980ern als auch aktuelle Genre sowie damit einhergehende Ansichten, Lebenswege und Karrieren der wichtigsten Projekte, darunter zwingende ikonische Bands wieVENOM, BATHORY, DARKTHRONE, CELTIC FROST, MAYHEM oder auch gegenwärtige Wortführer wie WATAIN, WOLVES IN THE THRONE ROOM oder BEHEMOTH. Auch sachlich offen geführte und keineswegs zensierte Gespräche mit kontroversen Bands (BURZUM, MARDUK, LIFELOVER) sind vorhanden.
Gerade in den letzten Jahren ist ein verstärktes Interesse, ein regelrechter Hype von Seiten des Feuilleton, einer akademischen Elite, aber auch völlig neuen Hörerschichten zum Black Metal entstanden, dessen progressive und geöffnete neue Ansichten die „traditionelle“ Szene seit jeher spalten. Ohne dies selbst zu bewerten lässt Patterson streitbare Charaktere wie Dani Filth (CRADLE OF FILTH), Varg Vikerness (BURZUM) oder Adam Darski/Nergal (BEHEMOTH) zu Wort kommen und ihre Sicht der Geschichte erzählen.
Dutzende Bücher oder Dokumentation sind in den letzten Jahren zum immer gleichen Thema erschienen. Auch wird der norwegische Black Metal-Tourismus als „Fluch“ für die Entwicklung der Szene angesehen, während verehrte Helden wie Fenriz (DARKTHRONE) sich ohnehin längst von der Subkultur abgewendet haben und in ihrem selbst erschaffenen Universum leben. Pattersons authentisches Werk ist ein Fan-Buch ohne in Lobhudelei abzudriften. Er arbeitet sauber die unterschiedlichsten (und parallel zueinander existierenden) Definitionen des Genres heraus und schafft durch seine eigene Szenezugehörigkeit und Insider-Wissen eine Nähe zu den Protagonisten, die einen ungeschönten Blick auf das „Damals und Heute“ geben.
Gelungen sind weiterhin die kompakten Aufsätze im Buch zum Griechischen Black Metal, der norwegischen und polnischen Black Metal-Szene und der daraus resultierenden Subströmung des NSBM, die in chronologischer Reihenfolge die Geschichte ergänzen. Gegen Ende des ersten Bandes verläuft die Entwicklung noch in gegenwärtige Hintergründe zum „Industrial Black Metal“ sowie der aktuellen Post-Black-Metal-Welle. GroßeTeile des Buches nimmt die Geschichte der Kult-BM-Band MAYHEM ein, die in Stilistik, Extremität und Authentizität als wegweisend gilt und die zweite Welle des BM mitbegründet hat.
Die überlangen Interviews sind interessant zu lesen und für Sammler ohnehin Gold wert. Somit zeichnet der erste Band ein umfassendes Bild zur Mythologie, Ästhetik und Ausprägungen einer ewigen Untergrundkultur misanthropischer oder nihilistischer Charaktere, die der modernen Gesellschaft nichts als Verachtung entgegenbringen und die sich ihren ganz eigenen Kosmos aus satanischer, heidnischer oder spiritueller Lebensweise bauen.
Der gleichzeitig erschienene zweite Band THE CULT NEVER DIES komplementiert das Ganze in weiteren exklusiven Interviews mit Künstlern wie SATYRICON, GORGOROTH, MGLA, BETHLEHEM oder TOTAL NEGATION mit zusätzlichem Archivmaterial aus dem ersten Band und dem Crypt-Fanzine.
Insgesamt sind beide Bücher zum fairen Preis im Index Verlag zu haben, der sich auf Metal, Musik und Subkultur spezialisiert hat. In einer schön aufgemachten Edition mit mattem Einband und zusätzlichen Farbfotos, dazu einige unveröffentlichte Foto-Sessions, erhält der geneigte Genre-Fan die nahezu vollständige Enzyklopädie einer Subkultur. Beide Bücher dürfen daher als unverzichtbares Einsteigerwerk in die Materie angesehen werden.
Während man die deutsche Übersetzung mit ihren klar strukturierten Sätzen und einfache Lesbarkeit loben kann, muss das Endlektorat kritisiert werden, welches leider das größte Manko des Werkes ist – leider haben sich zu viele Rechtschreib- und Interpunktionsfehler eingeschlichen, die den Lesegenuss gelegentlich trüben. Das darf bei der Masse der Informationsfülle die man erhält, aber verschmerzt werden.
Selbst als Nicht-BM-Hörer erfährt man hier sehr viel interessantes über die jeweiligen Kulturen des Landes und bekommt faszinierende (sicher auch voyeuristische) Einblicke in die extremste Spielart des Metal. Einem Genre, das auch nach dreißig Jahren nichts an seiner morbiden Faszination verloren hat und dessen moderne Bands den Sound immer wieder perfektionieren. (Dimitrios Charistes)
Format: Buch |
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