Bei manchen Bands ist man jahrelang Fan, bevor man sie endlich mal live sieht, andere ziehen einen durch einen einzigen Auftritt in ihren Bann. Sicher half es, dass Zu – als Zu93 – mit David Tibet aufgetreten sind, so dass ich seit 2012 Aug und Ohr auf dieses italienische Trio geworfen habe. Und, endlich, anlässlich ihrer Tour und eines sehr gelungenen neuen Albums, hier ein Interview.
? Wer sind Zu und wie hat alles angefangen?
Hallo, wir sind zu dritt: Massimo Pupillo (Bassgitarre), Luca Mai (Baritonsaxophon) und relativ neu am Schlagzeug Tomas Jarmyr. We begannen 1997 als Mitglieder einer anderen Band, die sich gerade aufgelöst hatte. Wir suchten noch andere, die mitmachten, aber keiner hat irgendwelche interessanten Schichten zu dem hinzufügen können, was wir als Trio machen wollten, also dachten wir uns, dass weniger mehr ist und beließen es bei diesem Line-Up, wobei wir versuchten, einen Sound und eine Spielweise zu finden, bei der man nicht, wie sonst üblich, Sänger und Gitarrist brauchte. Dadurch waren wir sehr offen und konnten mit vielen anderen zusammenarbeiten und durch all diese Zusammenarbeiten und Treffen sind wir musikalisch gewachsen
? Als ich (bei discogs.com) gelesen hatte, dass ihr „auf mathematischen Strukturen basierenden Free Jazz“ (“free jazz according to math rock structures”) spielt, dachte ich mir, dass ist ja mal ein interessantes Konzept… Kannst du uns dazu was sagen?
Ich kenne diese Definition nicht, aber ehrlich gesagt, kommt sie mir völlig unpassend vor. Es gibt in unserer Musik überhaupt keinen Free Jazz. Die Leute tendieren dazu, an Jazz zu denken, weil sie ein Saxophon hören, aber das ist kein Jazz und es ist definitiv nicht „free“, denn es ist alles durchkomponiert. Wir spielen einfach nur die Musik, die uns ehrlich zufällt und versuchen in diesem Punkt so rein und puristisch wie möglich zu sein. Es gibt da Einflüsse von frühem Free Jazz und John Coltrane, der ist aber eher spiritueller und politischer Art, ebenso kann ich auch sagen, dass bands wie Black Flag, Bad Brains oder Fugazi uns beeinflusst haben. Aber ehrlich: So vieles beeinflusst uns und jedes Bandmitglied hat seine eigene Welt an Referenzen. Ich selbst bin mehr von sogenannter früher Industrial Musik beeinflusst als von allem anderen, wenn es darum geht. Throbbing Gristle waren eine große Inspiration, frühe Neubauten, Coil, Nurse with Wound, vor allem in ihrem Ansatz, ihrer Freiheit und ihrem ontologischen Zustand der Rebellion.
? Diese ganzen „Einflüsse“ machen tolle Musik, ganz klar! Um welche Rebellion geht es dir denn? Gegen „Konventionen“? Welche? Wogegen rebellierst du?
Die Machteliten brauchen heutzutage keine Konzentrationslager mehr, wenn sie einen Staat der der allumfassenden psychischen Unterwerfung erschaffen. Es gibt keinen übleren Sklaven als den, der nicht weiß, dass er einer ist, sagte Goethe (Anm.: Es geht wohl um dieses Zitat: „Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“). Auf einem früheren Album gibt es den Titel „The Unseen War”. Dieser Krieg ist spirituell und psychologisch und findet ihn jedem Menschen innerlich statt. Wer das nicht mitkriegt, hat schon verloren. Wie löst du dich von dem, was gewaltsam durch äußere Zwänge in dich hineingesteckt worden ist, sei es durch Familie, Schule, organisierte Religion, den Staat oder die Werbung? Woher weißt du, dass dein Begehren, deine Wünsche und Ambitionen wirklich deine sind? Dies ist der Zustand wahrer existenzieller Rebellion. Konventionen zu bekämpfen ist nur die äußere Schicht und es ist wirklich sehr einfach, sich sonderbar anzuziehen oder zu verhalten während man weiterhin den Demiurgen füttert. Es gibt eine lange Tradition von Schriftstellern wie Orwell, Huxley and Philip K. Dick welche zukünftige Dystopien beschreibt, eine Welt voller Sklaven unter einer gut versteckten Diktatur. Deren Entstehung können wir gerade alle erleben. Darum geht es.
? Euer Konzert als Zu93 in Barcelona war eines der absolut schönsten Konzerte, das ich erlebt habe! Was kannst du uns über die Zu93-Erfahrung sagen?
Mit David Tibet verbindet uns eine lange Freundschaft und gegenseitiger Respekt, der sich in eine andauernde Zusammenarbeit übersetzt, die sich von Zeit zu Zeit in der Welt manifestiert. Ich glaube, dass Tibet einer der stärksten und visionärsten zeitgenössischen Poeten ist und da du ihn kennst, brauch ich dir auch nicht groß zu erklären, wieso. Wir haben als Zu93 ein Album aufgenommen, das hoffentlich bald veröffentlicht wird. David ist ein fantastischer Mensch und unsere Verbindung geht weit über das rein Musikalische hinaus. Tatsächlich reden wir kaum über Musik, die Musik, die wir gemeinsam geschrieben haben entstand aus anderen Faktoren und musikalischem Interesse.
? Möchtest du uns zu diesen Interessen etwas sagen?
Wenn du Musik schreibst oder Kunst machst, benutzt du deine Imagination. Imagination kommt von der Wurzel MAG, was dieselbe wie in „Magie“ („magic“) ist. Du kannst dich entscheiden, dir neue Musik immer nur in einem gewissen Bezug zu Rock’n Roll vorzustellen oder nur auf den aktuellen Hype bezogen, und damit kommst du auch durch, ziemlich einfach sogar… oder du kannst dich entscheiden, tiefer zu schürfen. Archaische Systeme wie Vajrayana verwenden die Imagination, um den Geist zu befreien. Das sind vollständig andere Sichtweisen als unsere heutigen reduktionistischen Paradigmen. Und es ist sehr befreiend. Es heißt auch nicht, dass man die westliche Geisteshaltung zurückweist, es ist eher, wie mehrsprachig zu werden. Ich möchte da in einem Musik-Interview jetzt nicht zu viel darauf eingehen, aber diese beiden Dinge (Geist/Imagination und Musik/Kunst) sind sehr stark miteinander verknüpft. Auch habe ich viele meiner Inspirationsquellen durch Bands wie Coil oder Current 93 entdeckt. So hat Coil z.B. oft John Dee zitiert, also begann ich, von ihm zu lesen und fand diese reiche, verborgene Tradition europäischer Magie und Alchemie, die viel mit europäischer Geschichte und königlichen Familien zu tun hat… verborgene Schichten der Geschichte und der Gesellschaft, die eine völlig neue Sichtweise auf die Realität, in der wir leben, eröffnen. Wie Werkzeuge, die üblichen Erzählungen bzgl. Konformität zu dekonstruieren. Es sind also alles Wege, sich das Leben, wie es sein kann, neu vorzustellen, Kunst, wie sie sein kann, Musik, wie sie sein kann.
? Leider konnte ich nicht zu eurem Konzert in Esslingen. Wie läuft die Tour? Was gefällt euch am meisten daran, (so viel) live zu spielen?
Die Tour läuft super! Das Geheimnis, wenn es es eines gibt, ist, sich diesen Teil zu erhalten, der als Teenager einfach nur ein Instrument spielen wollte, da es etwas auszudrücken gab. Das Wichtigste ist, das alles immer noch vollständig genießen zu können. Und es ist schon eine tolle Sache, in unserer heutigen Welt, in der jeder und alles homogen und zensiert ist, die Möglichkeit zu haben, etwas Persönliches und anderes auszudrücken. Es gibt bescheuerte Tage, aber wenn du dann spielst und etwas Magisches geschieht, sind alle Müdigkeit und Unangenehmlichkeiten weg, du strahlst wieder, es ist wie eine Therapie für uns und das Publikum, je intensiver ein Gig ist, umso kathartischer ist das Ergebnis.
? Für mich klingt „Jhator“ ganz anders als alles, was ich von Zu kenne. Gibt es ein neues Konzept bei dem neuen Album oder ist das lediglich die logische Weiterentwicklung des alten? Es wäre schön, wenn du einen Überblick über die Entwicklung von Zu und dem Zu-Sound geben könntest. Wer entscheidet, in welcher Vinylfarbe die Platten veröffentlich werden (eine Sammler-Geek Frage, schon klar…)?
Um auf deine letzte Frage einzugehen: Die Farbe orange, zentral für das Artwork und als Vinylfarbe bedeutet, dass die Reise, die wir auf „Jhator“ beschreiben, ist ein Vektor und bringt uns zu neuem Leben und neuen Bereichen, nicht in ein rabenschwarzes Nichts. Wir wählten orange, weil diese Farbe offensichtlich mit Leben und Frucht verbunden ist.
Wir wollten eine Sichtweise auf den Prozess des Todes ausdrücken, der ganz anders ist als die moderen, die sich nur auf die rationalistische und materialistische beschränkt. Daher haben wir uns auf zwei unglaublich reichhaltige Traditionen, die Vajrayana aus Tibet und die des alten Ägyptens konzentriert.
Als Spezies sind wir so arrogant geworden, wir kleinen, modernen, weißen Menschen, wir glauben, unsere Naturwissenschaften können alles erklären, und all das, während wir unseren Planeten so schnell zerstören. Das ist krankhaft, eine echte Wahrnehmungsstörung.
Vielen, vielen Dank!
(Flake777)
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