Mit Wandergitarre und misanthropischen Pop im Namen des Herrn gegen das Böse in der Welt – ein Interview mit der ST. MICHAEL FRONT

hauptbildst.michael-frontDie Debüt-EP „In The Wake OF A New Dream“ der ST. MICHAEL FRONT aus Hamburg traf mich völlig unerwartet mitten ins Herz, denn die insgesamt vier darauf enthaltenen Songs waren bzw. sind doppelbödige Manifeste des guten wie abgründigen Geschmacks! Eingängige Pop-Momente treffen hier auf Neo Folk und Plastik-Bombast, sowie eine hymnische Prediger-Stimme, welche mit ihrem salbungsvollen Schmalz nur betören kann. Ein Interview mit dem hanseatischen Duo war mir daher eine „Herzensangelegenheit“, doch lest selbst:

? Die ST. MICHAEL FRONT sieht sich selbst als „Organ der spirituellen Erneuerung“ – könntet Ihr Euren Bezug zu St. Michael und der Intention für die Gründung der FRONT erläutern?
MATTHIAS: St. Michael ist der Engel mit dem Schwert, der die Bestie bekämpft. Auch wurde er von Gott ausgesandt, um die Heerscharen von Luzifer zu dezimieren, die sich gegen Gott gewandt haben – dies ist 1:1 auf die Musik von ST. MICHAEL FRONT zu übertragen.
SASCHA: Ich als Sänger habe mich schon vor mehr als 25 Jahren mit Anthroposophie beschäftigt. Es gibt eingeweihte spirituelle Zirkel in denen gesagt wird, dass das Menschenbild dem heiligen Geist einerseits, und Luzifer und Ahriman andererseits als Kräfte ausgesetzt ist. Luzifer gilt als der Verführer der Eitelkeiten, Ahriman als Macht bezogener steht für Geld, Industrie, Internet, Militär, der rechte Winkel, mit dem man die Natur einzäune und domestizieren kann. Es gibt 2 große Schulen der menschlichen Seelen: Die ahrimanische Schule und die Schule des St. Michael. Die Menschen der Schule des St. Michael stehen für den guten Willen, es sind die suchenden Menschen, die an der Menschheit verzweifeln, aber die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Was Metal-Fans als Satanismus bezeichnen ist natürlich eine kindliche Vorstellung, der wahre Satanismus findet im Alltag statt, durch Hierarchien, Demütigungen, berechnendes Handeln, Egoismus, aber auch durch wahrhaftige Gräueltaten. St. Michael steht als Beschützer des guten Willens, jener, der Luzifer mit seinen Heerscharen aus dem Himmel in die tiefen des Orkus verbannt hatte, wo ihnen das Licht genommen wurde und sie nicht mehr in Engelsgestalt, sondern als geflügelte Dämonen (je nach Stärke des Engels) ihr Dasein fristen. Die Orks (Orkus) aus Herr der Ringe basieren auf diesem alttestamentarischen Bild. Milton’s Paradise Lost basiert ebenfalls auf diesem „Fall der Engel“. Einige Lehrstühle in Cambridge und Oxford haben sich nur auf dieses Thema spezialisiert. Nach einem Unfall habe ich den Glauben an etwas Großes, Gutes in meinem eigenen Universum wiedergefunden, und mich wieder mit diesen alten Mythen beschäftigt. Ich würde gerne als Sänger den Menschen Trost und Hoffnung geben! Doch muss man dafür oft nochmal in die Dunkelheit gehen, um diese Menschen abzuholen. Die Gothic-Szene ist doch ein Meltingpot für Glaubensfragen. Da muss mal aufgeräumt werden. Wir versuchen, junge Menschen wieder auf den Pfad des Lichts zu bringen! Amen.

? Optisch und auch von der musikalischen Sozialisierung seid Ihr ein ziemlich gegensätzliches Duo – wie habt Ihr Euch gefunden und was waren dabei Eure Berührungspunkte?
Sascha: Wir haben uns in Hamburg an der Kunsthochschule kennengelernt, wo wir nach neuen musikalischen Manifesten gesucht haben. Interessanterweise stellten wir fest, dass wir beide vorher auch ein Theologiestudium abgebrochen hatten. Wir fanden, dass die Belegschaft dort einfach zu wenig Schmiss hatte! In der Malerei wird gerade mal wieder der spirituelle Aspekt gesucht. Wir machen das mit Musik. Ein Freund deutete unsere Kleidung so: Ich Geistlicher oder Exorzist, Matthias wie jemand aus der Armee, St. Michael = geistlich, Front = militärisch.07
Matthias: Abgesehen von den Gegensätzen entdeckten wir auch viele gemeinsame Interessen: Yps-Fanclub, Straight Edge-Band mit 16, Horror-, Cowboy-, Ritterfilme, Walt Disney, Anthroposophie, Okkult/Esoterik. Musikalisch Ennio Morricone, Richard Wagner und OLIVER ONIONS.
Auch unsere Motivation, die ST. MICHAEL FRONT zu gründen, bzw. überhaupt kreativ tätig zu sein, hat einen gemeinsamen Nenner: Kunst als Rache! Und thematisch geht es uns beiden immer, wenn man es aufs Wesentliche runter bricht, um den Kampf zwischen den Forces Of Light gegen die Forces Of Evil ! Mit all den Ambivalenzen natürlich…

? Die Stimme der ST. MICHAEL FRONT ist stark von der englischen Mod-Bewegung beeinflusst, wie der Instrumentalist augenscheinlich der Neo Folk/Industrial-Szene der 90er Jahre entsprungen zu sein scheint – wie geht so etwas zusammen?
Sascha: Ich finde dass das sehr gut zusammen passt. Ich habe immer sehr viel 60s/Garage und Psychedelic gehört. Wer letztendlich aus diesem Nebel hervorgetreten ist, war Ozzy und BLACK SABBATH, welche wiederum auch Matthias in seinem Kinderzimmer rauf und runter gehört hatte. Jetzt bin ich vielleicht ein spiritueller Mod geworden haha! Später war ich dann aber auch noch in der Straight Edge-Szene. Dort sind einige schon mal auf diesen spirituellen Trip gekommen. Wir kreuzen halt ganz viele Sachen.
Matthias: Die Instrumente haben wir beide eingespielt, mit Ausnahme einiger Drums, sowie dem Flügelhorn, welches übrigens von einem Ur-Ur-Urenkel Martin Luthers eingeblasen wurde. Der Reiz geht für mich von dieser Kombination aus Blues- und Pfadfinder-Harmonik aus.

SMF by Alex Hatchl? Auffällig bei Matthias auch der Hang hin zu Uniformen, was einerseits natürlich sofort an DEATH IN JUNE & Co erinnert, aber mich auch ein wenig an die frühen A CERTAIN RATIO von Factory Records – was soll damit ausgedrückt werden bzw. was bedeuten Dir diese Gewandung?
Matthias: Wie schon gesagt, das Militärische im Bandnamen wird durch diese Kleidung unterstrichen und es zeigt sich auch im Musikalischen – wie lässt sich die frohe Botschaft denn akustisch angemessener verkünden denn mit Pauken, Marschrhythmen und Kavallerietrompeten? Der sphärisch-psychedelische Aspekt unserer Musik braucht ein strammes Korsett, um nicht von Hippies missverstanden zu werden. Außerdem ist Tarnkleidung (meine Jackensammlung umfasst ca. 134 Exemplare; Teile daraus sind in unserem nächsten Musikvideo zu begutachten) der ideale Freizeitdress und äußerst pflegeleicht. Du brauchst sie nie waschen, kannst prima mit den Kindern im Wald verstecken spielen, und siehst dabei immer attraktiv aus.

? Auf Facebook gibt es Fotos von Euch, wo die ST. MICHAEL FRONT vor der Wewelsburg und den Externsteinen posiert, was in Verbindung mit Tarnuniformen etc. ja schnell die politisch korrekte Gesinnungspolizei unserer Tage auf den Plan rufen könnte – ist das für Euch eventuell ein Spiel mit dem Feuer?
Sascha: Wir sind Anarchisten und Künstler… und Matthias hüpft schon seit Kindertagen in Tarnklamotten rum. Die Wewelsburg war im Mittelalter ein Zentrum der Hexenprozesse, also negativ spirituell aufgeladen. Naja, und die Externsteine sind ja nun für Esoterikfans wie uns ein zweites Hansaland. Why not?
Matthias: An der Wewelsburg fuhren wir auf dem Heimweg nach einem Gig am Schauspiel Köln vorbei. Auf einmal schien das Lenkrad unseres schwarzen Berlingos zu vibrieren. War es der Straßenbelag? Das Rütteln ließ erst wieder nach, als wir an dem bezeichnenden Straßenschild vorbei waren. Wir dachten uns: Da für eine Reise nach Neuschwanstein gerade zu wenig in der Bandkasse war – warum nicht eine Fotosession im einst vom Reichsheini gesquatteten Germanen-Camelot? Die aus zahlreichen Gruseldokus bekannte Krypta war an diesem Tag aber wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, wie uns eine Schulklasse vor Ort mitteilte. Die Aura dieses Ortes war wie bei jedem Besuch feierlich, seltsam lebendig.

? Mein Hamburger Informant kennt zwar nicht die ST. MICHAEL FRONT, konnte aber anhand des Fotomaterials sofort ein Mitglied einem lokalen Industrial/Power Noise-Projekt zuordnen – was ist an dieser Geschichte dran?
Matthias: Wie heißt der Informant und wie lautet seine Adresse? Es ist richtig, ein Mitglied der FRONT betätigte sich in diversen Lärm-Projekten (FKK WOLF, SEX & SPORT, PETER RAST TRIO, u.a.) als unmittelbarem Ausdrucksmittel von Gefühlen und Ideen – bis wir ihm diese Tätigkeit verboten. Außerdem kam er von selbst zu der Erkenntnis, dass diese apokalyptische Endpunkt-Musik nur noch eine Steigerung zulässt: spirituelle Popmusik!

? Das Label Staatsakt schickt mit „In The Wake For A New Dream“ eine EP mit 4 Songs ins Rennen, welche eher als Testballon für ein folgendes Album oder völlig autark fungiert?
Matthias: Sowohl als auch. Die EP ist auf jeden Fall als programmatisch und Schlagrichtung angebend für die ST. MICHAEL FRONT anzusehen, und die Songs und die Covergestaltung darauf ausgelegt. Die LP folgt alsbald, und wird das Konzept der EP aufgreifen und Bibel artig manifestieren.

? Die EP erschien nur im 12“-Format – eine bewusste Entscheidung für dieses analoge Format und wenn ja, was verbindet Ihr mit dem Tonträger Vinyl?
Matthias: Maurice von Staatsakt und wir stehen auf dieses klassische Format, modernen Kram wie CDs, Laserdisc oder Minidisc lehnen wir als unattraktiv ab.

? Von der ST. MICHAEL FRONT gab es schon einige kleine Live-Auftritte und sind eventuell im Zuge der Debüt-EP weitere geplant und wenn ja, was darf man davon erwarten?
Matthias: Matthias: Klar, nach dem sehr angenehmen Konzert im Hauptquartier Rote Flora hier bei uns letztes Wochenende spielen wir als nächstes in der Volksbühne in Berlin im Januar. Im Frühjahr 2017 kommt dann die LP, und danach wird möglichst zeitnah getourt. Wer uns kennt weiß, dass unsere Auftritte, wenn auch mit minimaler Besetzung, eine Mixtur aus Gottesdienst, Emo-Katharsis und Schlagerparade ist.
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? Was sind die weiteren Pläne der ST. MICHAEL FRONT?
Sascha: Wir wollen die Welt verändern und eine Zusammenkunft des guten Willens schaffen. „Wir sind im Namen des Herrn unterwegs“ (Zitat: BLUES BROTHERS)!
Matthias: Neben Live-Auftritten werden wir neue Musikvideos produzieren. Dabei ist eine Kollaboration mit einem eurithmischen Tänzer geplant. Außerdem schreiben wir momentan an neuen Stücken, die mehr in eine hyperspirituelle Richtung gehen! Lasst Euch überraschen. We Are The New Breed!

? Ich bedanke mich für dieses wahrlich erhellende Interview bei der ST. MICHAEL FRONT!

(Marco Fiebag)

 

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