Wenn man den Tag mit DEUTSCH NEPAL beginnt, dann wird er irgendwie komisch. Irgendwie… klebrig-zäh-psychotrop, als wäre die Erdatmosphäre so liquide wie eine alte Kaugummimasse. Diese Impression mag aber auch dadurch an Schwere gewonnen haben, dass das aktuelle DN-Album „Erotikon“ direkt nach dem Erwachen meiner Wenigkeit in der Anlage landete, sozusagen als Frühstücks-Melodei. Schließlich ist ja bald Deadline und auch wenn ich mir die zehn Stücke schon in wesentlich entspannteren und „passenderen“ Momenten durch den Kopf habe wabern lassen (und meine Nachbarn so einmal mehr in den Geschmack von kostenlosem Unterricht in Sachen niveauvoller Musik kommen durften – in ihren Denkblasen sieht das allerdings wohl eher folgendermaßen aus: „Frau Stöber feiert wieder ihre seltsamen Rituale mit dieser grauenhaften Musik aus den Abgründen der Unchristlichkeit“), irgendwie passt dieser halbwache Zustand in einer Zwischenwelt, in der die EEG-Wellen pogen, zu den dekadenten Soundscapes bei „Erotikon“.
Schwer wie guter, alter Rotwein quetschen sich die Töne durch die Hirnwindungen, hier und da schwingt man rhythmisch zu den martialisch-rituell-triballastigen Trommeleinlagen und den hinrzerfleischenden, immer wiederkehrenden Loops mit, die einen irgendwann in eine Art mesmerisierender Kaninchenstarre-Trance versetzen. Wieder und wieder muss man grinsen, wenn man plötzlich aus diesem Zustand erwacht, weil man sich der ein oder anderen Textzeile gewahr wird. Lina Babydolls Humor ist wie immer großartig; Schmunzelgarantie bei „Erotikon“ also inklusive. Schön, dass Monsieur B. die Macht solcher Vocalparts in „Erotikon“ einfließen lässt – sie runden das Gesamtergebnis ab und erinnern durch ihre Zähflüssigkeit und natürliche Verzerrung (abseits von der ebenfalls viel genutzten elektronischen Verzerrung) auch etwas an einen Junkie, der sich gerade einen Schuss gesetzt hat und nun versucht, ein Lied zu singen (wofür es in der Musikhistorie ja auch real existierende Beispiele gibt, auf die jetzt nicht näher eingegangen wird J). Die inhaltliche Umsetzung des Themas „Erotikon“ ist so ganz anders, als es sich Otto Normalszeneverbraucher vielleicht denkt, wenn er sich das Album kauft, ohne DN zu kennen. Spätestens Zeilen wie „You suck my energy, you suck me dry“ aus „Blowjob Parasite“ oder Liedtitel wie „Menage á trois… Cent“ machen deutlich, dass hier eine etwas andere Auffassung des Gesamtthemas beleuchtet wird. Auch „M/S Elusive Pain“ ist eine durchaus gelungene Transkription der S/M-Thematik – wobei mir durch den Kopf geht, dass die Konsistenz der oben erwähnten Atmosphäre vielleicht nicht so sehr mit Kaugummi als vielmehr mit dem, was der Engländer „moisture“ nennt, zu vergleichen wäre…
Fazit: „Erotikon“ würde sich bestens als Soundtrack zu phantastischer Lektüre in Richtung Alfred Kubin oder synapsenerweiternder wie Burroughs oder Leary eignen; nicht zu vereiteln sei natürlich auch eine Reise mit diesem Album. Augen zu und los!
9 von 10 möglichen Punkten, da hier nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Trotzdem mein Tip des Monats. FS
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