Immer wieder im Verlauf seiner Karriere hat David Tibet die Kollaboration mit anderen Künstlern gesucht, um mit ihnen neben seiner eigentlichen Band CURRENT 93 neue Gefäße für seine musikalischen und lyrischen Visionen zu schaffen. Erinnert sei hier nur an die Zusammenarbeit mit Steven Stapleton, Tony Wakeford, Thomas Ligotti oder die gemeinsam mit James Blackshaw gegründete Formation MYRNINEREST. Das jüngste Projekt in diesem Zusammenhang trägt den kryptischen Namen HYPNOPAZUZU, einem aus den Begriffen Hypnagogie, Hypnos, und Pazuzu (der Name eines babylonischen Dämons) zusammengeschmolzenen Kunstwort. Tibets Partner ist der Produzent und Killing-Joke-Bassist Martin Glover, vielen wohl besser bekannt unter seinem Pseudonym Youth, der dereinst schon an Nature Unveiled beteiligt war, dem Debüt von CURRENT 93.
Bereits der im Sommer vorab auf YouTube veröffentlichte Titel Magog at Maypole gab einen ersten Vorgeschmack davon, was man von dem Album Create Christ, Sailor Boy erwarten durfte: Tibets hymnisch-pathetischer Gesang verbindet sich dort mit der von Church erzeugten elektronischen Klanglandschaft zu einem Ganzen, das nicht nur entfernt an manche Tracks des CURRENT-Albums Island erinnert und zudem über gewisse Ohrwurmqualitäten verfügt. Hört man nun das gesamte, kürzlich erschienene Create Christ, Sailor Boy, so findet jener erste Eindruck über weite Strecken seine Bestätigung, auch wenn die Ohrwürmer sich stellenweise etwas rar machen. Dabei ist der erste (und vielleicht auch letzte?) Longplayer von HYPNOPAZUZU kein reines Syntie-Album geworden, vielmehr bringt der Multiinstrumentalist Youth auch Streicher, Trommeln, Gitarre und Bass zum Einsatz. Die seit Jahren zunehmend hermetischer werdenden, hochpoetischen Lyrics von David Tibet liefern einmal mehr einen nach der Logik des Traums zusammengefügten Mix aus neomystischen Privatoffenbarungen und autobiographischen Erinnerungsfetzen, deren Sinn sich weniger über den rein rationalen Zugriff des wachen Bewusstseins erschließen lässt als, wenn überhaupt, eher in einem Zustand des Halbschlafs erkennbar wird. Wohl nicht umsonst ist Hypnos, der griechische Gott des Schlafs, in den Namen des Projekts eingeflossen. Ebenso beindruckend wie die Musik ist auch das Artwork des Albums, zu dem David Tibet und Youth jeweils eine eigene Graphik beigesteuert haben und das in der LP-Fassung besonders zur Geltung kommt.
Die spezielle Schönheit und kompositorische Komplexität von Create Christ, Sailor Boy offenbart sich erst nach mehrmaligem Hören (dann tauchen mit einem Mal auch die Ohrwürmer wieder auf), während man bei einer oberflächlichen Rezeption den Eindruck hat, einem monotonen Klangbrei ausgesetzt zu werden. So ist das Album bestens geeignet, einem die Wartezeit bis zum Erscheinen des neuesten Albums von CURRENT 93 zu verkürzen, an dem David Tibet nach eigenem Bekunden bereits arbeitet und das wohl vor allem den Tod seiner Mutter thematisieren wird.
M. Boss
Format: CD/LP |
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