„Ich habe meine Geduld und den Kern von gutem Songwriting schulen müssen“ – Interview mit DRANGSAL

drangsalDank DRANGSAL ist eingängiger Wave-Pop wieder in aller Munde. „Don´t believe the Hype!“ werden Skeptiker skandieren, sollten dem Debütalbum des 22-jährigen Wahl-Berliners und Exil-Pfälzers Max Gruber aber zumindest einen respektvollen Hördurchgang widmen. Mit seinen stets tanzbaren und eingängigen Stücken bringt Gruber den ewigen Spirit der 80er um Bands wie THE CURE, SUICIDE oder SHE WANTS REVENGE zurück in den Mainstream. Was die geschniegelten Briten von HURTS können, kann DRANGSAL allemal. Formidabel verknüpft er Düster-Ästhetik mit süchtigmachendem Syntheser- & Frequenzer-Breitwand-Pop, macht sich zugleich viele Gedanken um Bühnen-Optik und Imagebildung. Optisch einer jungen Kopie von FALCO gleichend, ist dieser interessante junge Mann nicht auf den Mund gefallen, vertritt seine Meinung, kennt die Subkultur-Historie und pflegt ein reizendes Faible für abseitige Interessen. Gute Musik schreiben und gleichzeitig sympathisch sein – die Stunde des Max Gruber schlägt definitiv hier und jetzt! Wer Ohrwürmer liebt, die bleiben und auf der Suche nach zeitloser Popmusik ist, trotzdem gerne elegante Schwarznuancen als Alltagsdress kombiniert, wird diesen Wunderknaben schon bald für sich entdecken. BLACK hat den blutjungen Musiker interviewt.

? Hallo Max, schön, dass du Zeit für das Interview gefunden hast. Du bist einer der jüngsten Künstler, die wir in den letzten Jahren interviewen, was deinen gegenwärtigen Ausnahmestatus unterstreicht. Momentan gibt es kaum ein Medium, welches nicht bereits über DRANGSAL berichtet hat. Von namhaften Musikmagazinen bis hin zur Feuilleton-Presse. Daher die Einstiegsfrage: Wie gehst du damit um, gleich zum Beginn einer Karriere derart gehyped zu werden? Als 22-jähriger pusht dies das Ego ungemein, aber gleichzeitig leben wir in einer schnelllebigen Zeit. Wir gehen jetzt aber mal davon aus, dass du gekommen bist, um zu bleiben.

Schöner noch, dass ich mir die Zeit nehmen darf. Karriere ist ein durch und durch schwammiger Begriff und für mich persönlich begann meine, sofern ich sie denn schon als eine solche betiteln darf, ja bereits um einiges früher. Ich habe Jahre an den Songs, die nun auf „Harieschaim“ zu finden sind, gearbeitet – es wusste bloß niemand oder hat keinen sonderlich interessiert. Ein Hype dagegen entsteht nur, weil und wenn der Begriff Hype einmal fällt, und von allen anderen aufgegriffen wird, was für die Maschinerie, die hinter dem Produkt Musik steht und steckt wiederum sachdienlich ist und verwertet wird – so streut sich das dann irgendwann bis ins Unendliche. Genau so schnell, wie so etwas aufkommt, verpufft es aber auch meist wieder wenn etwas Neues um die Ecke kommt. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann steigt einem das auch nicht zu Kopf und setzt einen unnötig unter Druck oder nimmt im schlimmsten Fall noch Einfluss auf das Schaffen. Als Künstler strebt man nach Langlebigkeit, so auch ich.

? Zu deiner Musik ist bereits viel geschrieben worden. Dein 80s-Faible ist bekannt. Gleichzeitig fragen wir uns, ob diese Ära nicht stark romantisiert wird? In Interviews drückst du eine starke Verbundenheit mit dieser musikalischen Zeit und der damaligen Subkultur aus. Woraus resultiert deine Faszination für das Romantische, das Düstere jener Zeit? Und glaubst du, dass in der heutigen digitalen Welt möglicherweise eine verstärkte Sehnsucht zurück in die 1980er stattfindet?

Persönlich bin ich mir keiner Sehnsucht bewusst, aber wenn es eine geben sollte, dann glaube ich nur weil sich die Leute nach Simplizität und der damit verbundenen Ehrlichkeit und Direktheit sehnen. So ein bisschen wie ich als Mensch bin und dadurch meine Musik geworden ist. Vor dem Internet hat man sich eben einfach im Jugendzentrum oder Plattenladen getroffen, statt sich stundenlang unlustige Memes oder Selfies von irgendwelchen unbedeutenden Quacksalbern auf seinem Handy reinzuziehen. Nichtstun war nie einfacher als im Jahre 2016 und nur wenige sind willensstark genug, um sich nicht die ganze Zeit dabei zu erwischen. Ich sehne mich aber persönlich nicht danach, speziell in den Achtzigern aufgewachsen zu sein, immerhin könnte ich ja dann nicht von dem unfassbaren Fundus an Musik und Kunst und kuriosen Charakteren zehren. Ich finde es traurig, dass ich aufgrund meines Alters nie in den Genuss einiger Konzerte kommen konnte, glaube aber die Fabel für Romantik und Düsterheit rührt von woanders her.

? Dein Album ist wirklich ein sehr gelungenes Debüt geworden. Ich persönlich finde, dass du den Spagat zwischen Eingängigkeit und Nicht-Abnutzung erfolgreich geschafft hast. Sprechen wir an dieser Stelle über den Arbeitsprozess. Wie lange habt ihr an „Harieschaim“ gearbeitet, welche Erfahrung als Musiker/Sänger waren beim Studioaufenthalt für dich neu bzw. haben dich geprägt?

Vielen Dank, das ehrt mich sehr! Der Prozess begann testweise 2013, wenn ich mich recht entsinne, im Keller von Produzent Markus Ganter in seiner Wohnung in Mannheim. Es gab immer wieder lange Brüche, bedingt durch meine Nebenjobs, Umzüge oder einfach, weil Markus anderweitig musikalisch beschäftigt war, z. B. mit Tocotronic, Sizarr, Dagobert oder Casper. Dadurch hat sich aber stets eine gesunde Distanz zu den Songs entwickelt, die total wichtig war, um vor Veröffentlichung die Langlebigkeit bestimmter Ideen auszutesten. Ich habe zum Einen einfach unfassbar viel technischen Kram verinnerlicht, denn ich vorher immer zu faul war, mir selber drauf zu schaffen. Ich habe meine Geduld und den Kern von gutem Songwriting schulen müssen, zumindest ergründet, obgleich das dann umzusetzen noch mal viel schwieriger ist und mir auch nur manchmal oder bloß teilweise gelingt.

Drangsal-Record_Store_Day-VLS-DE-2016-gF? Sehr gerne würden wir auch über deine Sozialisation im Dorf, deinem 700-Seelen-Heimatort Herxheim, sprechen. In der Label-Presseinformation wird sehr stark auf deine heimatliche Verbundenheit eingegangen und gleichzeitig die bedrückende Enge des Dorflebens thematisiert. Jetzt lebst du in Berlin. Was verbindest du heute mit deiner Heimat und wie hast du deine Jugendjahre vor Ort verbracht?

„You can take the boy out of Herxheim, but you can’t take Herxheim out of the boy.“ Meine Eltern und meine Schwester, meine Großmutter und einige Freunde und Bekannte leben noch dort. Die Luft ist gut und es ist sehr still und grün. Andererseits ist das Hobby vieler derer, die dort versackt sind mittlerweile Asylheime in Brand zu stecken. Herxheim hat seine Schatten- und Sonnenseiten, aber ich kehre für kurze Zeit immer wieder gerne dort ein. So ein Hauch Heimatverbundenheit kann gut tun, wenn man es nicht überspitzt. Meine Jugendjahre hab ich mit Nichtstun und dem exzessiven Musik-Hören verbracht. Außerdem noch in unnützen Dingen gelesen, wahlweise im Keller bei Freunden mit Weinschorle und Schallplatten und leider auch in der Schule, verbracht. Es war sehr dröge und öde, depressiv gar manchmal! In Bands habe ich da auch nie gespielt, es gab ja keinen, der sich auf mich einlassen wollte.

? Dein Look, die Ästhetik, aber auch einige musikalische Referenzen erinnern an prägende Industrial-Acts, die für viele Newcomer heute nicht wirklich bekannt sind. Ist es dir wichtig, die musikalische Historie einer Subkulur der neuen Generation vorzuleben/aufzuzeigen oder ist das eher ein persönliches Interessensfeld?

Unbedingt! Ich bin froh, wenn Leuten das auffällt. Das muss es natürlich nicht zwangsweise, ich möchte ja keinem etwas aufzwingen. Aber an meine Idole zu erinnern ist mir wichtig. Um ihnen Tribut zu zollen aber auch, dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Immer wenn mich etwas begeistert, ist meine natürliche Reaktion auch andere damit begeistern zu wollen.

? Wie beurteilst du das subkulturelle Treiben in deiner näheren Umgebung? Ist dieser Gedanke einer Gruppenzugehörigkeit eigentlich noch relevant in der heutigen Zeit?

Nein, es gibt ja keine richtigen Gruppen mehr, wozu auch? Verschwimmende Grenzen sind doch das Schönste! Einen Achtziger-Boom kann ich aber dennoch nicht wirklich feststellen. Menschen, die in meinem Alter sind und auch Musik machen zumindest spielen nicht das Selbe oder Ähnliches wie ich. Vor allem nicht in Deutschland. Ich denke da an aktuelle Bands wie Die Nerven, Karies, All diese Gewalt, Human Abfall, Fabian, Die Heiterkeit, Messer…

? Auf deinem Album findet sich nur ein deutschsprachiger Song. Wie kommt es, dass es bei dieser einen Nummer geblieben ist – gerade „Will Ich Nur Dich“ besticht durch einen starken Wiederkennungswert. Hatte es möglicherweise strategische Gründe von Seiten des Labels den Fokus auf englische Texte zu legen um auch international Fuß zu fassen?

Unsinn! Ich hatte anfänglich schlicht kein Interesse, je auf Deutsch zu singen, weil sich Englisch als inoffizielle Amtssprache der Popmusik einfach immer richtiger anfühlt. Das deutsche Stück habe ich eigentlich nicht für DRANGSAL geschrieben, es in einem schwachen Moment meinem Produzenten Markus Ganter jedoch trotzdem vorgespielt, ohne Hintergedanken. Der zeigte sich darauf ungewohnt euphorisch und hat auch mich damit in Begeisterung versetzt. Es hat einiges an Überredung gebraucht, bis der Song dann auf dem Album gelandet ist und ich bin Markus sehr dankbar für diese Eingebung. Nachdem ich mich ausgiebiger mit deutschsprachiger Musik auseinandergesetzt hatte, erkannte auch ich (wie immer als Letzter) wie toll diese Sprache zum Texten sein kann. Mittlerweile habe ich schon viele Stücke auf Deutsch geschrieben. Auf der 7“ zum diesjährigen Record Store Day beispielsweise befand sich der Song „Zur Blauen Stunde“ und live gibt es die neue Nummer „Und Du? (10.000 Volt)“ auch schon zu hören.

? Was kannst du uns zum visuellen Konzept der Platte erzählen? Im Booklet finden sich einige Fotos, die aus deinem näheren privaten Lebenslauf stammen müssen. Spielt das Bild, auf dem zwei Männer einen Fleischspieß durch die Gegend tragen auf das geschichtliche kannibalische Treiben in Herxheim an? Wir würden gerne mehr zu dieser Bilderauswahl erfahren.

Ich habe mir wirklich jahrelang den Kopf über alles visuelle, was DRANGSAL einmal werden soll, zerbrochen. Die Haptik und der Look von physischen Auskopplungen, Promo-Fotos, Videos etc. ist mir persönlich sehr sehr wichtig, weil mich diese Dinge von anderen Künstlern stark geprägt haben. Im Endeffekt ist das Album so persönlich geworden, dass es nur Sinn gemacht hat, auch einige persönliche Fotos in das Booklet zu drucken. Das Foto mit dem Spieß zeigt meinen Vater und einen Freund, als er so alt war wie ich. Ich hatte stets ein etwas schwieriges Verhältnis zu ihm, aber über die Musik haben wir uns dann lieben gelernt. Das Bild mit meinem Pöter samt Wackelpudding hat meine gute Freundin Miriam Humm, die sich auch für das Cover verantwortlich zeigt, geschossen. Sie singt auch auf dem Stück „Do The Dominance“. Die anderen Fotos sind von Jim Rakete – mit dem Zeit verbringen zu dürfen, ist einer der schönsten Momente meines Lebens gewesen bis dato.

? In Interviews betonst du, dass du von der morbiden Grausamkeit der Menschheit fasziniert bist? Liest du True Crime-Bücher, Serienmörder-Enzyklopädien oder beschäftigst dich literarisch zu diesem Thema abseits der Musik?

Ich kann jede Folge „Die größten Kriminalfälle Deutschlands“ auswendig aufsagen und weiß, für was das BTK in BTK-Killer steht. Schon als Kleinkind haben mich allerlei abstoßende Dinge fasziniert. Ich habe früh MTV und Serien, wie „Beavis & Butthead“ oder „Celebrity Deathmatch“ geschaut. Mit Zwölf habe ich erstmals „A Clockwork Orange“ gesehen, ein Jahr später dann „Die 120 Tage von Sodom“ gelesen. Diese Faszination wuchs relativ natürlich. Ansonsten lese ich das, was Fabian Altsötter oder Hendrik Otremba mir nahelegen: Yukio Mishima, Kurt Vonnegut, Tereszia Mora. Ich habe mir kürzlich auch den fürchterlichen Morrissey Roman und ein paar Wolf Wondratschek Bücher gekauft.

? Kannst du dir in der Zukunft einen musikalischen Stilwechsel vorstellen? Also eine Art Underground-Platte, in der Darkwave/Industrial/Noise-Elemente verstärkt eingesetzt werden – oder schielst du mit deiner Musik eher gen Mainstream mit gar noch poppigerer Musik der Marke HURTS?

Ich liebe Gruppen wie Throbbing Gristle, NON oder Die Krupps, also definitiv, jedoch versuche ich immer, mir niemals musikalisch zu viel vorzunehmen oder mich zu sehr von einer Kritik oder Idee beeinflussen zu lassen. Das schöne an meiner Musik, oder das, was die Musik für mich so schön macht, ist, dass ich versuche, sie einfach passieren zu lassen. So entstehen für mich die besten Songs. Natürlich gibt es dennoch Ideale und Ziele, die es für mich zu erreichen gilt. Vielleicht schaffe ich ja irgendwann noch einen derben Spagat und mache Musik, die alle irgendwie okay finden können, an der es Elemente gibt, die jedem zusagen ohne jedoch anbiedernd zu wirken und zu sein.

? In der Presse-Info steht, dass du immer von „Weirdos/Außenseitern“ fasziniert warst. Welche sind denn die prominentesten Vorbilder in dieser Hinsicht?

Stichwort: Ikonenstatus. Marilyn Manson, Morrissey, Henry Rollins, Boyd Rice, GG Allin, Paddy McAloon, Hermes Phettberg, Jürgen Domian und vor allem Sternekoch Frank Rosin!

? Was widert dich an modernem Leben, an der gegenwärtigen Gesellschaft, ab?

Es sind die Jugend und die Drogen, alle anderen Ängste waren erlogen.

? Und woraus schöpfst du inspirierende Kraft?

Aus gekochten Eiern, Säften, der Zeit, die ich nur mit mir selber verbringe, viel Schlaf, meinen Freunden, wenig Schlaf, Büchern und dem Internet, aber niemals aus Urlaub!

? Dein persönlich höchstes Ziel, dass du mit DRANGSAL erreichen willst ist …

Ich hoffe, dass ich, so lange ich will, Musik machen kann, immer besser darin werde und möglichst viele Menschen erreichen und berühren kann. Mehr nicht!

? Abschließend noch die obligatorische Fanfrage. Die TOP 5 deiner gegenwärtigen Lieblingskünstler

Ulver, Prefab Sprout, Gewalt, Fabian und Die Heiterkeit.

Wir bedanken uns für das Interview.

(Dimitrios Charistes)

 

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