Mit diesem Interview ist für mich nun wirklich ein Traum in Erfüllung gegangen! Mathias Grassow, von dem ich selber unzählige Alben besitze, war schon immer einer meiner Wunschpartner für ein Interview. Wer Mathias nicht kennt, der internationale Ambientkünstler aus Wiesbaden ist schon seit den 80er Jahren musikalisch aktiv und hatte sich dereinst auf das Erforschen von Bordun und Obertonmusik spezialisiert, hier erforschte er die Effekte auf die menschliche Psyche. Seine Musikkunst ist teils beeinflusst von fernöstlicher Philosophie, sowie von keltischen und schamanischen, nordeuropäischen Klängen. Außerdem gab es unzählige Kooperationen z.B. mit Klaus Wiese, Alio Die Bruno Sanfilippo, Thomas Weiss usw. – hier nun die aussagekräftigen Antworten auf meine Fragen.
? Hi Mathias, Du bist ja auch schon ein so genannter „Alter Hase“ im Ambientgeschäft, erzähl doch bitte einmal den Leser wie Du zur Elektronischen Musik gefunden hast oder die Ambient Musik zu Dir?
Ich bin ein Kind der 70er und zähle mich ersten Generation der „Post 68er“. So wuchs ich in einer Zeit auf, in der Musik noch echt war, Konzerte bezahlbare Happenings waren und die Entdeckung von Neuen über den Profit gestellt wurde. Die Elektronik war immer Mittel zu Zweck. Es ging mir nie darum, Synthesizer oder irgendeine Schule zu verehren – er war eben einfach das beste Medium, um meine Ideen umzusetzen, ohne eine Band gründen zu müssen, oder Musik studiert zu haben. Ganz klar waren Schulze und Tangerine Dream meine prägenden Vorbilder in dieser Zeit, danach dann eher Peter-Michael Hamel und Popol Vuh, also die spirituelle Szene um Deuter herum. Geplant war das alles nicht. Es passierte einfach, Ambient und Drone Musik war damals kein Ziel, keine Vision, keine Erfindung. Es war eine gefühlte innere Notwendigkeit.
? Hast Du eine musikalische Ausbildung genossen und falls ja mit oder auf welchen Instrumenten?
Nein, nie. Ich wollte nicht mit einer klassischen Ausbildung den Spaß an der Musik verlieren und im Orchestergraben enden. Ich hatte ein paar Synthi-Kurse absolviert, dann Gitarre und sogar etwas Flöte gelernt; ansonsten bin ich Autodidakt.
? Welche musikalischen Einflüsse und Inspirationen sind es, die Dich immer wieder zum Musikmachen motivieren und inspirieren?
Momentan gar keine Ich mache seit fast 2 Jahren nichts mehr. Nenne es kreative Pause, Neuorientierung oder auch die Suche, nach der Stille hinter den Drones. Es formt sich was Neues aus, aber es wäre zu früh, hier vage Andeutungen zu machen.
? Haben sich über die Jahre Deine individuelle Musikausrichtung und elektronischen Sounds weiter entwickelt, teils sicherlich der neuen Technik geschuldet?
Nicht unbedingt. Ich probierte alles Neue aus, nur um festzustellen, dass virtuelle Synths am PC mich nur verwirren, nicht das Gleiche sind, wie ‚echtes Schrauben‘ und das eher was für die junge Generation heute ist. Konnte mich auch nie so richtig mit rein digitaler Klangerzeugung anfreunden. Schön, dass es wieder Analoge mit neuer Technik gibt. Die unzähligen Sounds solcher Synths wie ‚Omnisphere‘ verblüffen mich und machen Ambient salonfähig. Jeder kann heute mit Software alles machen und das ist schön, aber auch bedenklich, denn hier wird mit Programmen der Hersteller gearbeitet und es wird nicht den kreativen ’spirituellen‘ Schub geben, wie einst. Ich wuchs mit meinen Geräten und es gab so viele Einflüsse über die Jahre, dass ich selbst nicht mehr sagen kann, wer, oder was mich wann beeinflusst hat.
? Erklär den Lesern doch bitte einmal das Konzept Deiner Alben – wieviel Arbeitszeit wird jeweils für die großartigen Arbeiten investiert und wie läuft der Entstehungsprozess, inkl. Studioarbeit bei Dir ab?
Ich habe mit Konzepten angefangen. Meine Alben in den 90ern waren so ausgerichtet und ich erklärte teils Inhalt, Ausrichtung und Ziel der Stücke und Alben. Dies habe ich dann bis ins komplette Gegenteil verkehrt und verfasste am Ende kaum noch Titel, Texte oder Bezugnahme. Was Du fragst geschieht mit weit weniger System, als man denken könnte und ist höchst individuell. Ich arbeite rein intuitiv, lasse ‚es‘ passieren, lasse die Einmaligkeit zu und wiederhole nichts …… all meine Stücke sind ‚blueprints‘ zur Zeit der Entstehung. Es gibt keinen linearen und repetitiven Prozess. Wahrhaft kosmische Musik ist, wenn ich das Universum durch mich tönen lasse und es nicht interpretiere.
? Viele Ambientmusiker wie z.B. Steve Roach präsentieren ihren Fans eine wahre Veröffentlichungswut, wie sieht das da bei Dir aus, bist Du auch so produktiv?
Mein Lebenswerk umfasst in CDs gesprochen ungefähr 2000 Alben, das dürfte Rekord sein. Wenn ich auf alles jemals Erschienene zurückblicke, komme ich auf nahezu 100 Alben. Ich habe im Jahr 2-3 Veröffentlichungen, die auch alle ‚passieren‘, je nachdem wann ein Label anfragt und mein ‚Management‘ die Stücke nebst Mix zur Verfügung stellt. Es ist heutzutage, wo die CD als veraltetes Medium gilt und die Verkäufe drastisch zurückgehen, keine Frage mehr von Angebot und Nachfrage – denn dann wären Steve, ich und Andere eher auf dem kontraproduktiven Trip. Nein, wir machen einfach, weil es Freude macht und somit ein Weltarchiv von visionärer Musik entsteht.
? Wie ist Deine geschätzte Meinung zum Bereich – Electromusic im Radio – von z.B. Tangerine Dream, Jarre, Vangelis und vielen anderen die durchaus Radiokompatible Tracks produziert haben – wie könnte man diesen Bereich beeinflussen, um überhaupt einmal mehr von solcher Musik im Radio zu hören?
Kann ich schlecht was zu sagen, da ich mich vom Radio – abgesehen damals von Trenkler und besonders Robert Lug vom HRII nie besonders unterstützt fühlte. Warum Radio, wenn es im Internet ein Leichtes ist, auf diese Musik zu stoßen? Heute muss doch niemand mehr sonntags abends bis 23 Uhr aufbleiben um VOYAGER zu hören. Aus diesem Grunde klingt diese Frage für mich etwas ‚veraltet‘!
? Die von einigen Leuten als „Kavaliersdelikt“ betitelte – CD Piraterie – ist das in Ordnung, wenn man Eigentum von Superstars wie von den oben genannten von irgendwelchen Seiten herunterladen kann und was sollte eine CD im Gegenzug aktuell kosten, um den Verkauf wieder anzukurbeln oder ist die CD gar ein Auslaufmodell?
Der Markt ist längst kaputt. Ich diskutiere die Frage nach Urheberrecht sehr ungerne, weil es hier große Kontroversen gibt und mir das Thema zum Hals raushängt. Internet hat helle und dunkle Seiten – je nachdem in welchem Bewusstsein es genutzt wird. Beispiel: Ich habe die meisten Fans im Ostne, in Russland, sehr viele, auch Musiker ……. allerdings habe ich noch nie eine CD dorthin verkauft. Ich und meine Musik sind bekannt und doch bringt es mir ‚businesstechnisch‘ nicht. Aber ich habe viele Freunde gewonnen; Menschen, die kein Geld für CDs haben, aber ZEIT, die mir wiederum fehlt. Mein Management, bandcamp etc. wird von russischen Freunden verwaltet und dafür gibt es meine Musik ‚umsonst‘. Das gefällt mir und ist meine Lebenslehre aus der Musik. Alles ist Energie und im Fluss, es kommt alles irgendwann und irgendwie zurück. Wunderbar!
? Und bist Du wiederum von der These überzeugt, dass es für junge Bands ein Vorteil sein könnte, um deren anfangs noch unbekannte Elektromusik durch die Piraterie überhaupt erst bekannt zu machen?
Ja, wie gesagt Licht und Schatten. Es kommt auf Intention, Perspektive und Haltung an, in welche Richtung das geht, denn das Internet verselbständigt sich schnell und macht mit DIR etwas, anstatt dass DU es nutzt. Das ist die Crux, das ist Orwells 1984……Piraterie und kostenloses ‚zur Verfügung stellen‘, als GEMA freie Musik hat etwas Vorteilhaftes, aber der Markt wird auch zugemüllt und das Geschäft mit Musik von Wert unterwandert. Sorry, aber das meiste an Ambient, was ich in Youtube etc. höre, ist nur grauenvoller und austauschbarer Brei ohne Sinn und Verstand.
? Ist die Zukunft – für mich als alten Plattensammler übrigens eine grauenvolle Vorstellung – tatsächlich der digitale Megatrend – das Streaming – wo Millionen von Songs überall und sogar legal jederzeit bequem und billig wie nie zuvor, verfügbar sind ( Bandcamp und Co. ) – leider ist Musik für mich dadurch dem Begriff -Kunst – entzogen worden und nur noch „Ware “ – oder?
Kurz und knapp: JA…………..lassen wir Frage und Antwort nachklingen und spüren, was das heißt, OHNE dafür oder dagegen zu kämpfen. Es ist, wie es ist. Wer bewusst handelt, spürt, dass Musik nur die äußere Erscheinungsform eines rufenden Herzens ist . Wer in sich klingt, braucht Musik im Außen nicht mehr. Ist Dein Resonanzfeld in Dir gefunden, braucht es keine Konserve und Spiegelung im Außen mehr.
? Wie stehst Du zum Thema Musikvideos – bringt es Vorteile in diesen Audiovisuellen Zeiten Clips für You Tube oder andere Kanäle zu erstellen, Du hast dort ebenfalls jede Menge an Clips bereitgestellt?
Ich habe nie etwas ins youtube gestellt. Das machen andere, teils mit Erlaubnis, größtenteils ohne. Ich schaue nur zu und lasse geschehen. Da ich, wie oben erwähnt, ein Kind der 70er bin, erübrigt sich die Frage nach meiner Meinung zum Sinn von Musikvideos und Clips.
? Ich hatte vor kurzem einen uralten Auftritt von Tomita gesehen und war begeistert und zugleich erstaunt mit welchem Aufwand der Künstler dereinst aufgetreten ist, wie siehst Du die Entwicklung zur heutigen Zeit, wo so mancher EM Musiker lediglich mit einem Rechner auf der Bühne steht?
Ich stimme zu, dass da bei ‚Ambient-‚ tatsächlich die Frage im Raum steht, ob ‚live‘ überhaupt noch Sinn macht. Ich denke, als bloße Performance eher NEIN, aber in einem besonderen Ambiente, wo Künstler und Zuhörer verschmelzen, macht es sicher Sinn, denn dann wird das deutlich, was WARE ist und was GEIST. Die Botschaft meiner Musik ist das Ereignis als Einmaligkeit im nicht wiederholbaren JETZT. Ambient ist die Erfahrbarkeit des NICHTS, der ‚Magnificent void‘.
? Welche Technik / Synthesizer hattest Du am Anfang Deines Schaffens eingesetzt – erster Synthie – und welche Instrumente sind heute Deine Favoriten – sind bei Dir eventuell sogar Software Synthies im Einsatz?
Ganz im ernst….ich weiß es nicht mehr und es erscheint mir unwichtig…….Ok, also so viel: Mein allererster Synth war ein ROLAND SH-2000 . Ich hatte vom MEMORYMOOG über KORG Modular, Oberheim, Sequential und Chroma viele Legenden gespielt. Der SQ T-8, mit dem meine CD ‚Prophecy‘ entstand, hatte mit die geilsten Klänge und Schwebungen. Software – Synhs sind nichts für mich. Ich sehe in den wahren Vorteil der ‚virtuellen Welt‘ eher im Effekt-Tool Bereich und in der Studiotechnik. Ehe ich mir einen Software-Synth kaufen würde, würde ich lieber einen Dave Smith etc. kaufen.
? Der Synth Dino – Jean Michel Jarre – hat vor ca. 9 Jahren seine erste Veröffentlichung „Oxygene“ mit den Original Instrumenten aus 1976 live auf einer Tour performt, wäre das mal ein Anreiz für Dich – ältere Tracks nochmal live oder generell neu performed zu präsentieren?
Bezugnehmend auf meine Zeilen oben, ‚Musik als augenblickliche Erfahrung‘ würde ich das nicht tun wollen und sehe Jarre eher als einen gewieften Entertainer, der sich gut vermarktet – das meine ich nicht abwertend, sondern im Sinne von Intention. Wer ehrlich ist und das auch genauso ausdrückt, kann und darf fast alles machen.
? Wo bekommst Du Deine Wunsch Synthesizer her – z.B. Online Shop oder Musicstore- und welche Musikinstrumente im Allgemeinen formen das elektronische Soundgewand bei Dir?
Es gibt keinen Wunschsynth bei mir. Manchmal wünschte ich, man könnte meinen Kopf mit einem Synth verkabeln, der meine Gedanken und Ideen – als eine Art neuronaler lernfähiger Computer. DAS wäre wahrhaft individuell, hätte aber sicher auch wieder seine Schattenseiten. Der HARTMANN Neuron war eine entwicklungsfähige In diese Richtung, kam aber leider nie über die fehlerbehaftete Version 1.0 heraus.
? Wird im Studio bei Dir viel herum experimentiert und getestet, worauf legst Du besonderen Wert, wenn Du z.B. neue Synthies oder Controller prüfst, informierst Du Dich in dem Bereich auch über Fachmagazine oder auch Online?
Nein, wozu ? Wenn ich intuitiv zu etwas geführt werde, kaufe ich es und kann doch heutzutage beim THOMANN etc. bis zu 30 Tagen die ‚money back‘ Garantie nutzen. Dafür ist sie dich i.d.R. da. Wenn dieses Entgegenkommen eines Händlers verantwortungsvoll genutzt wird, benötige ich keine Synth.-Mags mehr – ich lese sie seit Jahren nicht. Ich experimentiere viel, aber teste nicht. Wenn sich ein Synth. OHNE Lesen der Anleitung mir verständlich offenbart, dann sind wir schon Freunde.
? Sind Nebenprojekte für einen Künstler notwendig, da sich hier musikalisch etwas anders ausgelebt werden kann – oder braucht man eventuell überhaupt keine Nebenprojekte, wenn sich solch Prozesse vielleicht sogar integrieren lassen, welche sind das bei Dir?
Meine Nebenprojekte waren früher sehr unübersichtlich und sicher lebte ich das auch etwas aus, was mit Ambient kaum vereinbar war. Mittlerweile gibt es alles in einer Vielfalt, dass ich das nicht mehr brauche. Zumindest nicht als Pseudonym. Wenn ich z.B, mit John Haughm von AGALLOCH zusammenarbeite, dann steht das auch so auf der CD, ich möchte und muss mich nicht verstecken. Wann welches Nebenprojekt existierte, wissen meine Fans bald besser als ich. Wen das im Detail interessiert, bitte ich, im DISCOGS und ähnlichen Portalen nachzuschauen.
? Mit welchen Musikern arbeitest Du am liebsten zusammen, da Du ja schon so einige musikalische Kooperationen hinter Dir hast?
Mit Rüdiger Gleisberg verbindet mich seit 25 Jahren über die Musik eine tiefe Freundschaft. Das allein zählt. Zum Zeitpunkt meiner Kollaborationen, war alles gut! Später dann eben aus diversen Gründen nicht mehr. „Persönliche und/oder musikalische Differenzen“, wie im Business üblich, gab und gibt es auch hier.
? Einige Musiker der Szene arbeiten auch in diesen Zeiten mit analogen Synthies anstatt mit digitalen Computern und Software, bist Du auch der Meinung das analoge Sounds wärmer klingen und somit durchaus eine wichtige, emotionale Komponente in der elektronischen Musik darstellen, teils werden neue technologische Entwicklungen für den Verlust von Kreativität verantwortlich gemacht oder?
Ich habe mich weiter oben auch zu dieser Frage geäußert. Es gibt stets Licht und Schatten – überall! Besonders in verführerischen technischen Tools wird der Meister zum Azubi und lässt sich dirigieren. Die meisten Softwareentwicklungen sind völlig überfordernd in ihren Möglichkeiten und fesseln Dich an den Bildschirm, seien es die vielen Kompatibilitätsprobleme, Bugs, oder was auch immer. Ich habe mich schon vor Jahren dagegen entschieden.
? Bist Du im übrigen auch Sammler von antiquarischen Elektrogeräten wie z.B. das legendäre Umhänge Keyboard Yamaha KX 1, Minimoog, Oberheim Four Voice oder Yamaha CS 80 und ähnlichen Klassikern?
Nein nicht mehr. Kein Platz und auch keine Connections zu Menschen, die die warten und reparieren können.?
Hast Du schon Liveauftritte absolviert, z. B. in irgendwelchen Planetarien dieser Welt, was bei Deiner Soundausrichtung passend wäre?
Ja, so einige in Deutschland, Holland, Spanien, Italien,Russland. Die Venues waren zumeist eher bescheiden, aber es gab auch Gute und ein Planetarium oder Kirche stehen bislang noch aus.
? Welche All Time Music Classics stehen bei Dir zuhause im Regal – LPs und natürlich auch CDs ?
(S.Ericksen)
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