Kantige Harmonie für zornige Disharmonisten – Interview mit THROWERS

lossDie Sonne verschwindet hinter Leipzigs Dächern. Bald. Endlich Dunkelheit. Mitten am Tag. Eine Art Sonnenfinsternis. Für 35 Minuten bleibt es dunkel, wenn „LOSS“ – das Debütalbum von THROWERS durch die Lautsprecher dröhnt. Eine halbe Stunde, in der man von der ganzen Schönheit der dahin walzenden Düsternis gefangen wird. Ihr alles dahin schmetternder Tobsuchtsanfall fegt durch die Boxen – und durch die Köpfe der Hörer. Freunde der härteren Gangart mit Blick auf Qualitätsmusik aus Deutschland kommen an der ostdeutschen Zerstörungsmaschine nicht vorbei. Ihre Mischung aus Post-Hardcore, Crust und Anarcho-Attitüde ist seit Jahren Geheimtipp um die Anarcho-Szene mit all diesen legendären Shows in den besetzten Häusern der Nation. Doch das Warten hat sich letztendlich gelohnt. Das Debütalbum vereint Durchschlagskraft, Idealismus und brachialen Wahnsinn in einem Kessel voll von grandiosen Riff-Massakern und hyperaktivem Geschrei. Leipzig hat ein weiteres Male geliefert. Bassist Jonas stand BLACK Rede und Antwort zur neuen Scheibe.

? Hallo Jonas, schön, dass du Zeit für das Interview gefunden hast. Fünf Jahre habt ihr euch für das erstes Full Length „Loss“ Zeit gelassen. Was waren die Gründe dafür?

Wir haben seit der letzten EP („Prosaic Materialists / Rudimentary Bodies, 2011) sehr viel gespielt, da bleibt neben unserer Jobs und Shows leider nicht immer so viel Zeit zum Schreiben. Und wenn wir an neuem Material arbeiten, tun wir dies mit einem ausgeprägten Perfektionismus, der dazu führt, dass es seine Zeit dauert bis man alles für eine Full-Length zusammen hat und damit auch noch zufrieden ist.

? Dafür ist euch mit „Loss“ ein ultrabrutaler Hassbrocken gelungen, der hervorragend knallt, fett produziert ist und meiner Meinung auch die Zeit überdauern wird. Nach wie vor seid ihr nicht müde geworden, diesen Sound zu spielen und die autonomen Jugendzentren der Nation zu betouren. Die Platte klingt ziemlich heavy-pissed – woraus resultiert die Wut, die ihr auf Platte kanalisiert habt? Was kotzt euch gegenwärtig so richtig an?

Also ich kann hier nur für mich selbst sprechen. Mich pisst zur Zeit mächtig an, dass hier im Lande ein riesiger Haufen von Egoisten und Vollidioten rumläuft, die das persönliche Wohl zum Heiligtum erheben, Angst vor dem Unbekannten haben und aus dieser Kombination heraus alles verachten, negieren und ablehnen, was diesem angeblichen Heiligtum zu Nahe kommt und ihre Angst um die eigene Existenz bedroht. Es gibt in deren Welt nur noch hasserfüllte Parolen und hirnlose Gewalt, verbal und physisch. Totaler Quatsch!

? „Loss“ ist bei der renommierten Tonmeiserei in Oldenburg entstanden. Was kannst du uns zum zum Aufnahmeprozess erzählen?

Man hatte ja so gewisse Vorstellungen, wenn man den Namen „Tonmeisterei“ hört. Viele von mir sehr geschätzte Bands haben dort schon aufgenommen und produziert. Seit unserem Aufenthalt in Oldenburg, weiß ich nun auch warum. Es hat wirklich Spaß gemacht und beeindruckt mit welcher Lockerheit und Professionalität die Tonmeister dort zu Werke gingen und uns geholfen haben, bei dem gesammelten Material unsere Soundvorstellungen umzusetzen. Innerhalb von 3,5 Tagen hatten wir Gitarre/Bass/Drums im Kasten. Kay hat dann weitere Gitarren zuhause eingespielt, während Gabo und Alex im Proberaum die Vocals aufgenommen haben. Vorgemischt und geschnitten wurde der ganze Stuff dann von Gabo auf unserer Tour mit Dark Circles. Das war ziemlich aufwendig. Während wir uns mit den Kanadiern die Kante gegeben haben, saß er da und schob unser Zeug zurecht. Respekt dafür!“

? Einerseits ist THROWERS keine politische Band, euch selbst verordnet ihr aber schon im linksaktivistischen Milieu Leipzigs. Wollt ihr eine Message transportieren oder dient euch die Live-Katharsis als reines Ausdrucksventil kanalisierter Wut?

Ich denke, man muss als Band nicht unbedingt speziell politisch motiviert oder orientiert sein, um eine differenzierte und konkrete Meinung zu vertreten und zu äußern. Bei uns dreht es sich in den Texten viel um die Unzulänglichkeiten und das Versagen des Menschen, als Lebensgemeinschaft auf diesem Planeten und als Individuum. Egoismus, Unterdrückung und Kurzsichtigkeit im Hinblick auf das Große Ganze sind hausgemachte Probleme, die wir wohl nie wieder gänzlich los werden und die uns in Zukunft einen Stock in die sprichwörtlichen Speichen stecken. Dem können wir meiner Meinung nach nur durch das Üben von Gemeinschaft, Respekt vor dem Nächsten (ob Mensch oder Tier) und Widerstand gegen die allgemeine Erkenntnisresistenz begegnen.

? Was kannst du mir zu den Charakteren hinter THROWERS erzählen?

Wir kennen uns alle schon eine ganze Weile. Kay und ich haben lange Jahre zusammen gewohnt und in einer Band namens OF QUIET WALLS gespielt. Kurz nach deren Auflösung haben wir mit Gabo THROWERS ins Leben gerufen. In seiner damaligen Band VYST hab ich dann noch zwei Jahre am Bass ausgeholfen. Alexander kam zu uns, als er parallel in DEZAFRA RIDGE gesungen hat. Ohne jetzt auf den Steckbrief eines jeden Mitglieds in Throwers eingehen zu wollen. Ich glaube, unsere Musik ist ein umfassender Querschnitt dessen, was jeder mit seinen Vorlieben und seinem Charakter in diese Formation eingebracht hat.

? In Deutschland geht derzeit ein extremer Rechtsruck um, der längst im Mainstream angekommen ist. Leidtragende sindin solchen Krisen wie so oft die Ärmsten der Ärmsten. Wie seht ihr diese Situation insgesamt? Gerne aber auch auf eure Heimatstadt Leipzig bezogen. Was läuft eigentlich falsch in Deutschland?

Throwers-Band

Ohje, was läuft falsch in Deutschland. Komplexe Frage. Wo fängt man an? Ich bin kein Experte, aber mein Eindruck ist, dass unsere Gesellschaft in Deutschland, Europa und der westlich-wirtschaftlich geprägten Welt sich Jahrzehnte über Jahrzehnte den Nacken dick gefressen hat, ohne Rücksicht auf Verluste, mögliche Folgen und vor allem auf Kosten anderer. Hier hält man sich auf Grund unseres Lebensstandards für etwas Besseres. Man hat mehr, man ist mehr. Aktuell müssen Millionen von Menschen ihren derzeitigen Lebensraum verlassen um ihr Leben oder das ihrer Familien zu schützen und nehmen Strapazen auf sich, die für mich nicht vorstellbar sind. Hier in Deutschland antwortet ein großer Teil der Bevölkerung diesen Menschen, die einen geeigneten Ort zu Überleben suchen, mit Hass und Abwehr. Dumme, einfältige deutsche Bürger, die der Meinung sind, ihr Geburtsstatus sei etwas „verdientes“,“rechtmäßiges“, verweigern Bedürftigen, Fliehenden Hilfe und Schutz. Wieder die Angst davor, von dem, was man hat, etwas abgeben zu müssen. Und diese Angst schweißt zusammen. Und dann besinnt man sich plötzlich auf die „alten Werte“. Das ist salonfähige Naziideologie. Jeder Idiot darf mitmachen. Ich bin nur froh, dass es deutschlandweit aktive, strukturierte und wirkungsvolle Initiativen gegen diesen Schwachsinn gibt.

? Gibt es einen expliziten Grund, dass auf den Abdruck der Texte im Inlay verzichtet wurde?

Im Artwork haben wir auf die Lyrics verzichtet, um das Ganze noch mit einer Art Schleier zu verhüllen. Jeder soll sich ein eigenes Bild von dem machen, was er da auf die Ohren geklatscht bekommt. Wenn man als Band alles von sich preisgibt, bleibt oft wenig Spielraum für eigene Interpretationsansätze. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass wir generell das Abdrucken von Texten nicht mögen. Oft macht es natürlich auch Sinn. Letztendlich kamen noch designtechnische Gründe hinzu, sodass wir uns gegen Lyrics im Artzwork entschieden haben. Wer die Texte haben will, darf uns gerne anschreiben – wir liefern!

? Wie charakterisiert ihr persönlich den deutschen Hardcore im Untergrund, wenn wir von Crust- / Anarcho- / Power Violence / Screamo-Bands sprechen?

Ich persönlich würde den deutschen Hardcore-Untergrund als sehr vielfältig und wild beschreiben. Es gibt eine ganze Reihe an deutschen Krawall-Bands, die mich sehr beeindrucken und die mir sehr gut gefallen. Ich bemerke bei vielen deutschen Bands die echte Hingabe zur Musik und die damit verbundene Intensität. Das begeistert mich. Was könnte vielfältiger und wilder sein als musizierende Gruppen von Leuten, die Bock auf Musik und Lautstärke haben?

? Habt ihr als perfektionistische Musiker auf „Loss“ schließlich den angstrebten THROWERS-Sound auch erreicht. Mir kam die EP ein Stück eingängiger und melodischer vor, oder wird es in Zukunft mehr in die progressivere Richtung gehen?

Ich denke, wir sind alles in allem sehr zufrieden mit dem Sound von LOSS. Wir haben den Songs, die wir in den letzten Jahren geschrieben haben einen intensiven und Throwers-charackteristischen Sound gegeben. Wenn ich mir die Platte ab und an zu Gemüte führe, denke ich: „Läuft“. Jeder von uns bringt so seine Vorlieben und „handwerklichen“ Fertigkeiten mit ein. Es ist völlig offen, in welche musikalische Richtung wir uns weiter entwickeln werden.“

? Was verbindest du/ihr persönlich mit der Szene, in der ihr euch bewegt? Glaubst du, dass Subkulturen nach wie vor Relevanz für Jugendliche haben? Musikkonsum und die Beschäftigung mit Inhalten mutet leider ja oftmals nur nur oberflächlich an.

Ich verbinde mit dieser Szene Zusammenhalt/Gemeinschaftssinn, Inspiration, Motivation und das Kennenlernen von vielen interessanten Menschen. Das ist meine Prägung. Es hat für mich, und hier denke ich aber auch für uns alle sprechen, eine hohe Relevanz. Ich würde dieses Interview jetzt nicht führen, wenn ich mich nicht irgendwann mal von dieser Szene hätte begeistern lassen. Wichtig ist für uns nicht nur Formen zu vermitteln, sondern auch Inhalte und Werte. Das ist eine „Waffe“ gegen Oberflächlichkeit. Und ein kleines Beispiel für Relevanz: Meine kleine fünfzehnjährige Schwester stand neulich auf einem Konzert von uns und hat sich unsere Musik und das ganze Drumherum reingezogen. Mit offenem Mund. Sie hat anschließend wochenlang von nichts anderem geredet. „Got her!“

? Gibt es ein bandinternes Ziel, dass ihr mit THROWERS noch erreichen wollt?

Länger als zwei Monate in ein und demselben Proberaum bleiben. Das wäre ein voller Erfolg, und das, in unserer von Musik geprägten Stadt: Leipzig.

Vielen Dank für das Interview.

(D. Charistes)

facebook.com/ThrowersThrowers

 

Stichworte:
, ,