Brechtian Punk Cabaret mit THE DRESDEN DOLLS
THE DRESDEN DOLLS aus Nordamerika sind in diesem Quartal meine persönliche Überraschung gewesen und wie schon lange nicht mehr konnte mich so ein Debüt beeindrucken. Erst einmal weckt der ungewöhnliche Name für mich als Sachse Assoziationen und die Musik ist ebenso geschichtlich behaftet, wie erfrischend und wirksam sie ist. Beeinflußt von den morbiden BRECHT/WEIL-Theater-Welten der 20er Jahre und dem Rock’n Roll-Punk der 70er/80er Jahre agiert das Duo AMANDA PALMER und BRIAN VIGLIONE schwankend zwischen tollwütiger Aggression, verruchter Erotik und zerbrechlicher Nabelschau. Dabei beschränkt sich das Duo hauptsächlich auf Klavier, Drums und den variablen Gesang von AMANDA PALMER, welche mir auch im folgenden Interview die Welt der DRESDEN DOLLS näher brachte.
? Zuerst die Frage zu Eurem ungewöhnlichen Namen: Was bedeutet dieser bzw. was wollt Ihr damit ausdrücken und in welchem Zusammenhang steht dieser mit der sächsischen Hauptstadt, aus dessen Bezirk auch ich komme?
Es ist eigentlich nur ein Bild für den Zuhörer und es beschwört zwei verschiedene sich gleichzeitig gegenüberstehende Bilder herauf, die unsere Musik sehr schön wiederspiegelt: Auf der einen Seite die Bombardements auf Dresden (über die erstaunlicherweise viele Amerikaner sehr gut bescheid wissen, vor allem durch den genialen Roman „Schlachthof 5“ von Kurt Vonnegut) und auf der anderen Seite das Bild der kleinen, zarten Spielzeugpuppe. Genauso ist es auch in unserer Musik; ein Wiederhall von aggressivem Katastrophen-Sound und eher empfindsamen weiblichen Klängen.
? Das erste Mal bin ich auf den Namen THE DRESDEN DOLLS über die alte Netz-Seite von DEATH IN JUNE bzw. deren Links gestoßen, welche ja politisch hier bei uns in Deutschland umstritten sind und was sich vor allem auf den homosexuellen Uniformfetischismus für die Waffen SS des Kopfes DOUGLAS P. stützt – kennt Ihr die Band bzw. deren Musik?
Oh, auf der High-School war ich ein großer DEATH IN JUNE-Fan. Allerdings war ich ganz schön sauer als DOUGLAS P. mit seinem Sozialdarwinismus anfing. Einige Lieder sind atemberaubend schön, obwohl es eigentlich eine Schande ist. Jedenfalls hatte „Rose Clouds Of Holocaust“ (einer meiner Lieblingssongs!) auf einmal eine andere Bedeutung für mich.
? Welche musikalischen Einflüsse außer BRECHT und WEIL wirkten bzw. wirken auf THE DRESDEN DOLLS?
Die Liste ist nahezu endlos… NICK CAVE, THE SMITHS, ROBYN HITCHCOCK, THE LEGENDARY PINK DOTS, THE DOORS, PINK FLOYD, NINA SIMONE… BRIAN‘s Einflüsse gehen dagegen mehr in die Punk- und Jazzrichtung. BLACK FLAG und ELVIN JONES sind zwei seiner Favoriten.
? Eure umtriebige Promoterin ALEXANDRA meinte im Presseinfo, das musikalische Vergleiche zu Euch sehr schwer fallen dürften – ich persönlich sehe aber einige Parallelen zu Euren Landsmännern von FIREWATER (Ex-COP SHOT COP) oder auch zu den deutschen Nijinsky Style (Ex-NO MORE) – kennt Ihr diese und was haltet Ihr von den dezenten Vaudeville-Ausflügen eines MARILYN MANSON auf dessen letzten Album?
Über FIREWATER habe ich großartige Sachen gehört, sie aber noch nie gesehen. NIJINSKY STYLE kenne ich überhaupt nicht. Zu Mr. MANSON nur soviel: Ich würde mir wünschen, daß er genauso viel Arbeit in seine Musik und Texte investierte wie er das mit seinem Erscheinungsbild zu tun pflegt. Er ist wohl clever, aber an seiner Musik kann ich rein gar nichts finden.
? Euer Debüt erscheint auf eigenen Label und ist sehr gut produziert und aufwendig gestaltet – was könnt Ihr zu Eurem Produzenten MARTIN BISI sagen und wie finanziert Ihr Euch eigentlich?
Fast wären wir hier in Massachusetts bei einem kleinen Label gelandet, aber buchstäblich in letzter Minute wurde mir klar, daß es besser ist sich ein bißchen Kohle zu leihen und die Sache selbst durchzuziehen, was ich dann schließlich auch tat. Wir borgten uns also Geld bei fünf oder sechs Freunden und ich bin ehrlich stolz sagen zu können, daß ich alles zurück gezahlt habe. Es war einfach unglaublich mit MARTIN zusammenzuarbeiten, denn er ist ein komplett Verrückter, verrückt nach Sound und Musik. Für uns war es eine Ehre. Ungläubig starrten wir auf die SONIC YOUTH-Platten an den Wänden, schüttelten den Kopf und fragten uns ob wir es wohl noch mal bis hierher schaffen würden.
? Euer Debüt wurde ja schon voriges Jahr in Amerika veröffentlicht – wie waren darauf die Reaktionen?
Super, obwohl es sehr langsam anfing. Die Amerikaner sind normalerweise neuen musikalischen Ideen nicht sonderlich aufgeschlossen, es sei denn, daß im Vorfeld die Presse das Thema schon breit tritt. Jedoch war die Mund-zu-Mund-Propaganda erstaunlich, Freunde die es wieder Freunden von Freunden sagten und auf einmal hatten wir ein Publikum von hundert Leuten in einer Stadt, in der wir noch nie zuvor waren und auch die Lokalpresse nie über uns berichtet hatte. Ziemlich erstaunlich das Ganze, wobei natürlich auch das Internet enorm geholfen hat.
? Sehr passend und berührt fand ich die Rückseite des Booklets der CD, wo ein kleines Mädchen ihre Puppe inmitten von zerbombten Ruinen in einem Spielzeughaus versteckt – spiegelt diese verletzliche Naivität ein wenig den Geist von THE DRESDEN DOLLS wieder?
Ja das ist eine Collage eines befreundeten Künstlers (www.empiresnafu.com). Er ließ sich einfach nur vom Namen der Band inspirieren und gab sie mir als Geschenk. Ich denke es gibt den Namen ziemlich gut „en miniature“ wieder. Ich verehre diese Arbeit sehr.
? Laut Eurer Discographie auf Eurer Homepage erschien vor Eurem Studio-Debüt noch eine CD namens “A Is For Accident” – wo liegen hierbei die Unterschiede zur aktuellen CD?
„As Is For Accident“ ist nur eine Live-Compilation die erschien um die Wartezeit auf das Studio-Album zu verkürzen. Die Compilation beinhaltet nur drei Songs, die auch auf dem Studio-Album vertreten sind und der Rest besteht aus unbekannten Sachen, die wohl eher für B-Seiten geeignet sind.
? Da Du fließend Deutsch und Französisch sprichst wird es in absehbarer Zeit vielleicht auch mal Songs von THE DRESDEN DOLLS in diesen Sprachen geben?
Das ist sehr wahrscheinlich und wir haben auf dem Haldern-Festival bereits eine Version von KURT WEILL‘s „Und was bekam des Soldaten Weib“ gespielt. Außerdem haben wir oft „Amsterdam“ von JAQUES BREL im Programm, welches ich dann auch auf französisch singe. Ich würde mich freuen auf der Tour ein paar deutsche Lieder zu singen, vielleicht was von GRAUZONE, ANDREAS DORAU oder HEINTJE? Ich muß mir das mal überlegen und wir könnten ja aus „Ich bau dir ein Schloß“ einen Killer machen…
? Auf Eurer Homepage gibt es Live-Bilder von einem Konzert zusammen mit den legendären B 52’s – wie kam es zu dieser Kollaboration bzw. was gibt es dazu Interessantes zu berichten?
Das war ziemlich ausgelassen. Wir spielten auf einem Baseball-Feld, stell Dir das mal vor….
? Auf dem Album kommen neben Euren Hauptinstrumenten Piano und Schlagzeug auch andere Instrumente durch Gastmusiker zum Einsatz, aber Live beschränkt Ihr euch wirklich nur auf die ersten zwei – führte das Anfangs nicht zu Verwirrungen seitens des Publikums oder holt Ihr Euch auf die Tour doch etwas Unterstützung?
Wir gehen seit geraumer Zeit nur zu zweit auf Tour. Für eine kurze Zeit hatten wir mal einen Gitaristen und einen Basser, was uns damals allerdings nicht wirklich geholfen hat.
? Du hast laut dem Presse-Info viele Jahre in Deutschland an einem Theater gearbeitet – wo genau war das und wie waren Deine Eindrücke von unserem Land bzw. was schätzt Du besonders an Deutschland im Gegensatz zu Amerika?
Das war im Horizont-Theater in Köln. Dort habe ich ein Praktikum gemacht. Sie haben mich fast rausgeschmissen, als ich eines Nachts spät zurück kam und dann ohne Erlaubnis ein bißchen auf dem Klavier geklimpert habe. Einer der Schauspieler der im Büro geschlafen hatte, ein kettenrauchendes 150-Kilo-Monster namens WOLFGANG, erschien in Schlappen und Bademantel und hat mich fast erwürgt.
? Seit der zweiten BUSH-Ära und noch schlimmer seit dem 11.09. ist das politische Klima in Amerika für viele “wachen” Künstler unerträglich geworden und es gab vereinzelt schon Emigrationen (wie ab 1933 aus Deutschland) – wie erlebt Ihr die aktuelle Lage in Eurem Land und könntet Ihr Euch auch einen Kontinenteswechsel vorstellen?
Ich habe einige Freunde die schon für sich entschieden haben die USA zu verlassen, sollte BUSH wiedergewählt werden. Die politische Situation ist einfach nur traurig. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, denn wir sind soviel auf Tour und deshalb könnte ich nicht auswandern, selbst wenn ich es wollte. Wenn sich jedoch die Dinge weiter entwickeln wie sie sich entwickeln, kann ich es mir vielleicht doch vorstellen. Ich mag viele Dinge hier in Amerika, jedoch gehört die Regierung nicht dazu. Es gibt hier viele Leute die komplett eingeschläfert sind und dabei komplett ungesund wie unglücklich sind und die Regierung sich einen Scheißdreck darum kümmert.
? Als nächstes wollt Ihr eine DVD veröffentlichen – gibt es dafür schon genauere Infos?
Wir hoffen bald eine Live-DVD zu veröffentlichen, die jede Menge Extras beinhaltet. Aber das dauert noch eine Weile.
? Ihr habt auch eine lange Europa-Tour zur Albumveröffentlichung geplant – kommt Ihr dabei hoffentlich auch in die Stadt, die Euch den Namen gegeben hat?
Leider nicht auf dieser Tour. Aber ich hoffe irgendwann später in diesem Jahr.
? Ein obligatorischer BLACK-Standart zum Schluß ist immer die Frage nach Deinen aktuellen Top 5-Alben, welchen Du zur Zeit gerade Gehör schenkt?
Momentan haben es mir ein paar neue Sachen angetan: Das neue Album von THE DECEMBERISTS „Her Majesty The Decemberists“ ist sehr schön und bis Europa haben sie es noch nicht geschafft, aber wenn, dann werden sie eine ziemlich große Nummer. REGINA SPEKTOR, eine singende Pianistin, verbringt auch viel Zeit in meinem CD-Player. Sie hat bisher zwei Alben veröffentlicht, die nur via Internet erhältlich sind. Gerade erst hab ich mir noch „Revolver“ von den BEATLES gekauft und die ich vorher nur auf Kassette hatte, eine alte Liebe sozusagen. Die neue DEATH CAB FOR CUTIE „Transatlantacism“ ist auch erstklassig und die sollte einfach jeder haben. Außerdem bin ich in eine weitere neuentdeckte Band aus Amerika verliebt: THE CREEK DRANK THE CRADLE singen mich Dank der Repeat-Taste jede Nacht in einen süßen melancholischen Schlummer. Zauberhaft!
? Ich danke AMANDA PALMER für dieses Interview und ich hoffe, wir sehen uns mal in Dresden. Des weiteren geht Dank an ALEXANDRA DÖRRIE für ihre Unterstützung und THORSTEN FESS für die Übersetzung.
(M.Fiebag)
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