„Ich habe das Gefühl, die Menschen sind viel zu satt.“ Interview mit TREHA SEKTORI

ts 3 Zu den Projekten des Künstler-Kollektivs Church Of Ra pflegen wir mit BLACK eine innige Beziehung und verfolgen die Werdegänge einzelner Musiker regelmäßig mit großem Interesse. Darunter auch die experimentellen Dark Ambient-Performances des Pariser Produzenten, Musiker und Grafikdesigner Dehn Sohra alias TREHA SEKTORI, der gerade mit der Black-Metal-Band WIEGEDOOD, der neuesten Kollaboration aus der Church Of Ra-Familie, auf Tour ist.Nach seiner kathartischen Horrorshow in der Oetinger Villa in Darmstadt haben wir die Gelegenheit genutzt um mit Monsieur Sohra zu sprechen. Der plaudiert wie gewohnt aus dem Nähkästchen und berichtet von den neuesten Projekten – wenn er nicht gerade mit den Jungs von CELESTE schauerliche „Geister-Touren“ durch Katakomben französischer Städte absolviert.

? Bonsoir Dehn, wir freuen uns, dich wieder einmal persönlich zu treffen. Wie geht es dir momentan – was kannst du uns über deine aktuellen Projekte verraten?

Momentan bin ich mit den Arrangements und dem Mixing rund um das Soloalbum von CHVE ( Colin H van Eeckhout = Sänger von Amenra), beschäftigt, welches ich gerade produzieren darf. Da es nicht meine eigenen Kompositionen sind, stecke ich viel Feingefühl hinein, um den Ansprüchen Colins gerecht zu werden. Was TREHA SEKTORI angeht, arbeite ich gerade an mehreren Kollaborationen. Eine davon ist die Zusammenarbeit mit drei belgischen Künstlern, die im Sommer als Split-EP auf Consouling Sounds erscheinen wird. Dabei handelt es sich um eine Symbiose der einzelnen Facetten jedes Künstlers, die dann in drei Kompositionen gemeinsam arrangiert wurden. Ich mag die Idee gemeinsam an einer Idee zu arbeiten, die die einzelnen Merkmale jedes Individuums vereint. Weiterhin wird es einen Soundtrack über eine Dokumentation von einem Freund von mir geben, in der es um einen italienischen Modedesigner geht – das ist aber etwas völlig gegensätzliches, zu dem was man sonst von mir erwarten würde. Darin wird z. B. ein Banjo zum Einsatz kommen, welches elektronisch verfremdet und anschließend bearbeitet wird. Es soll etwas mehr in Richtung Folkmusik gehen. Weiterhin ist ein Score über weitere Dokumentation über AMENRA in Arbeit, welche von LITTLE SWASTIKA initiiert wurde. Ähnlicher ritueller Musik möchte ich mich in der Zukunft widmen.

TS 1? Wow, das klingt nach einigem an interessante Output für uns. Wir freuen uns darauf.

Weiterhin möchte ich mich mit TREHA SEKTORI natürlich weiterentwickeln und konzipiere neue Live-Sets. Momentan arbeite ich z. B. an einer reinen Vocal-Improvisation – einem artifiziellen Experiment, ausschließlich aus Stimmen, Sprechgesang und Flüstern konzipiert. Dieses soll bei einem Special-Event in einer Galerie in Brüssel aufgeführt werden. Einem ähnlichem Set konnte man bei der Little Swastika-Ausstellung Anfang des Jahres in Berlin beiwohnen. Das wird allerdings ein reines Live-Experiment werden, eine Veröffentlichung ist hierzu keine geplant. Allerdings wird es ein neues Video dazu geben. In der Videokunst liegt auch mein gegenwärtiges Hauptinteresse. Versteht mich nicht falsch, ich genieße die Treha Sektori-Shows in schönen Lokalitäten und Clubs. Sie geben mir eine Stunde innerlichen Frieden und lassen mich meine ganz eigene Katharsis erleben – dennoch möchte ich mich verstärkt den Live-Visuals widmen und ein Gesamtprojekt kreieren, welches den Namen Treha Sektori als ganzes erfasst.

? Beim letzten Interview hast du uns erzählt, dass es für dich die größte Ehre war, die Bühne mit deinen Helden NEUROSIS zu teilen, als AMENRA dich als Vorband eingeladen hatten. Was ist für dich die nächste Stufe, nachdem du dieses Fan-Ziel erreicht hast?

(überlegt lange) Es gibt noch viele Orte und Länder, die ich mit Treha Sektori besuchen möchte. Ein Ziel von mir, ist es, sicher auch eines Tages mal auf dem Roadburn Festival in Tilburg zu spielen. Es gibt noch dutzende Bands die ich bevorzuge oder inspirierend aufblicke – bei Neurosis stimmt für mich aber jedes Detail. Sie begleiten mich einfach schon mein ganzes Leben, sie haben eine einmalige Sonderstellung in meinem Herzen inne. Momentan kann ich mich sehr für die Musik von Magma begeistern. Ich höre derzeit viel Psychedelic-Kram aus den 70ern. Ich denke, dass wäre eine Band, bei der es mich reizen würde etwas beisteuern zu können. Aber die Musiker sind jetzt schon steinalt und sicher nicht an einem zu kurz geratetenen Franzosen interessiert, der seltsame Geräuschkulissen in dunklen Kellern entwirft (lacht).

 ? Viele sind am inneren Zirkel der Church Of Ra-Brotherhood interessiert, die eine sehr mystische und verbundene Aura um sich selbst kreieren. Wie fühlt es sich an, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein – und wie drückt es sich speziell für dich im künstlerischen Sinn aus?

Die Tour mit Wiegedood ist das beste Beispiel wie der Zusammenhalt dieser Gruppierung aufgebaut ist. Die dazugehörigen Künstler unterstützen sich mit gegenseitigen Kollaborationen, Tourangeboten usw. Es ist ein ganz natürlicher Prozess, da wir alle am gleichen Strang ziehen. Ich war der Opening-Act ihrer ersten Show in Ghent und jetzt darf ich für die Jungs jedes Konzert eröffnen – das ist schon ein tolles Gefühl wenn man weiß, geschätzt zu werden. Dann kommt es eben auch zu inspirierenden Gesprächen mit den Mitgliedern von Church Of Ra – ich darf sicher schon verraten, dass ich für das kommende dritte Oathbreaker-Album die Ambient-Parts beisteuern werde. Das besondere ist aber, dass wir alle die gleichen Ideale und Visionen von Leben und Kunst teilen und so harmonisch miteinander arbeiten können. Wir unterstützen uns aber auch außerhalb des musikalischen oder künstlerischen Kontexts. Die Menschen in der Church Of Ra sind gute Menschen, denen es wichtig ist, sich gegenseitig zu helfen, wann immer es nötig sein wird. Amenra sind sicher die Lokomotive des Ganzen, die die Energie und treibende Kraft des Ganzen sind – das heißt aber nicht, dass die Church Of Ra tatsächlich hierarchisch aufgebaut ist. Durch den gegenseitigen Support aller Mitglieder fühle ich mich auch künstlerisch bekräftigt und habe das nötige Selbstvertrauen gewonnen auch die nächste Stufe meiner Kunst angehen zu können – darunter gehören, wie bereits angesprochen, die Konzentration neuer Live-Visuals dazu. Vor drei Jahren hatte ich dieses Selbstvertrauen noch nicht.

? Und welches der Church Of Ra-Projekte ist dein persönlicher Favorit?  ts 4

Ich liebe sie wirklich alle. Momentan kann man nur sagen, dass WIEGEDOOD eine großartige Platte aufgenommen haben, die eine ungeheure Energie entfacht. Durch die Fokussierung auf die Black Metal-Elemente sind nun alle Zutaten im Soundkosmos der Church Of Ra vorhanden. Ich denke es ist momentan das Beste, was man von der Brotherhood erwarten kann.

? Kannst du dir vorstellen mit Treha Sektori auch hellere Motive in deinen Sound einfließen zu lassen?

Für viele mag mein Sound wirklich finster klingen, für mich fühlt es sich einfach richtig an, da es ein Ausdruck meiner selbst ist.

? In deinem Live-Set bekommt man durch die Live-Videos ein Gefühl deiner Beschäftigung mit Ritual- & Tribal-Music, vor allem durch die okkulten Elemente und der Symbolik. Ich habe eben beim Auftritt einige jüngere Frauen gesehen, die gerade bei der Szene mit der toten Kotze doch etwas schlucken musste, und …

(unterbricht) Ja, tatsächlich war das alles anders geplant. Ich wollte dieses Szenario für ein anderes Video und ein variables Live-Set verwenden, es hat aber dann doch zur Gesamtstimmung meiner Live-Show gepasst. In der Zukunft möchte ich aber auch mehr in Richtung Performance auf der Bühne setzen. Ich bin sehr an Ritualen und Ritual-Music interessiert – ich denke, das wird in der Zukunft weiterhin intensiviert werden. Es hängt natürlich auch immer an meiner gegenwärtigen Stimmung ab. Ich denke oft über mich selbst, dass ich meinen inneren Frieden gefunden habe, wenn ich dann aber an neuen Sounds arbeite, spüre ich dass da noch sehr viel destruktive Energie in mir herrscht, die ich entladen muss. Das ist dann ein ganz natürlicher Prozess. Ich plane diese Finsternis nicht, sie ist einfach ein Teil von mir. Ich möchte mich aber stärker auf die Naturverbundenheit der Welt beschränken, als ständig diese innere Wut mit mir herumtragen zu müssen. Es ist vor allem gut für mich, dass ich mit TREHA SEKTORI ein Ventil gefunden habe, diese zu kanalisieren.

? Wie würdest du deine gegenwärtige Weltsicht beschreiben? Wie zufrieden bist du mit deinem Leben in Paris?

Für viele ist Paris eine Traumstadt. Und das ist sie tatsächlich. Ich entdecke bei regelmäßigen Spaziergängen durch die einzelnen Teile der Stadt immer wieder prächtige inspirierende Ecken – allerdings fühle ich mich mit der gegenwärtigen Gesellschaft dort in keinster Weise verbunden. Es gibt in Frankreich einfach Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann – wie aktuell die Proteste gegen Hochzeiten von Homosexuellen. Man darf seine Meinung vertreten, aber mit welcher radikalen Gewalt das Thema in der Öffentlichkeit angegangen wird ist für mich erschreckend. Weiterhin ist das politische System am Abgrund, die Menschen haben immer weniger Geld zur Verfügung, die Steuern sind hoch.Viele Franzosen trauen sich aber hier nicht mehr auf die Straßen zu gehen, weil sie innerlich um ihr eigenes Leben resigniert haben. Sie gehen nicht auf die Straße, um für das eigene Schicksal zu protestieren, nein, sie mischen sich lieber in die Angelegenheiten anderer Leute Ärsche ein.  Daher lebe ich in Paris in meiner eigenen Welt. Wenn ich mich aber umschaue, frage ich mich schon woraus all diese Desillusionierung hervorgeht. Ich bin zwar erst 27 Jahre alt, aber wenn ich mir die jüngeren Menschen anschaue oder in der Tram Gesprächen folge, ist es schockierend für mich, wie realitätsfern einige leben oder die Welt betrachten. Sie kennen die Welt durch das Internet – wollen viele Zusammenhänge aber nicht mehr verstehen oder hinterfragen. Es ist auch interessant, dass innerhalb der Subkultur viele einfach nicht mehr zu Shows gehen oder die französischen Künstler unterstützen, sie bleiben lieber zu Hause und schauen sich deren Darbietungen im Internet an.

? Tatsächlich?

Ja, die Menschen sind faul geworden. Vielleicht waren sie das schon immer. Gerade in einer Großstadt, in der man mit dem Zug zwei Stunden bis zum Veranstaltungsort benötigt. Manchmal glaube ich, dass die Menschen einfach zu satt geworden sind. Möglicherweise ist es aber auch das gleiche Phänomen wie in Brüssel, London oder Berlin. Manchmal glaube ich, dass die Menschen einfach zu satt geworden sind.

TS 2? Würde es dich als Künstler reizen auf dem französischen Land zu leben als in der Großstadt?

Nein. Ich nutze einfach zu gerne die Vorzüge der kulturellen Vielfalt. Ich bin einfach zu sehr mit Paris verbunden, bin dort in den Vororten aufgewachsen und habe die Stadt lieben und hassen gelernt. Paris ist Magie, eine aufregende Stadt mit vielen Schattenseiten. Mittlerweile lebe ich mit meiner Freundin in einem kleinen Apartment in der Innenstadt. Es ist sehr teuer, aber ich genieße es dort zu sein. All diese Dynamik, Kultur, Geschichte und Kreativität beflügeln mich. Ich kann mir vorstellen eines Tages in Island zu leben. Ich war dort einige Male und habe mich komplett in das Land und die Menschen verliebt.

? Ich möchte dich noch fragen, was Spiritualität und religiöse Artefakte für dich im Leben bedeuten?

Ich bin Atheist, aber fasziniert von religiösen Motiven und Ritualen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Religion so viel Schmerz und Hass verursacht, dass ich diese Ideologie einfach nicht unterstützen kann. Dennoch glaube ich an das Schicksal. Ich glaube, dass Dinge die um uns herum passieren, einen tieferen Sinn haben. Man muss sich seinen Herausforderungen und Aufgaben und Zufallsbegegnungen stellen. Ich habe ein großes Faible für Geisterglaube oder paranormale Aktivitäten, ohne jetzt Geistern zu huldigen. Aber jeder kennt dieses besondere Ereignis, wenn man einen geliebten Menschen verliert und plötzlich ein sehr intensives Gefühl zu dieser Person im Traum aufbaut. Oder das Thema um spirituelle Kommunikation mit Verstorbenen – das berührt mich zutiefst.

? Abschließend noch eine philosophische Frage: Als welche Art von Künstler möchtest du in Erinnerung bleiben?

Oh, gute Frage. Ich möchte sicher nicht ausschließlich auf meine Tätigkeiten als Treha Sektori reduziert werden, sondern auch meine anderen künstlerischen Mittel im Gesamtkontext erfasst bekommen. Weißt du, mir bedeutet es wirklich etwas, wenn Menschen sagen, dass Ihnen meine Performance etwas gegeben hat. Oft glaube ich ihnen das nicht ganz, es klingt eher wie ein Kompliment, aber wenn jemand wirklich diese tiefere Verbundenheit zu meiner Kunst und der geschaffenen Welt aus Tribal & Live-Ritual herstellen kann, ist das für mich ein großes Dankeschön. Ich möchte daher als jemand in Erinnerung bleiben, der einigen Menschen innerhalb meiner Kunst ein Stück Licht schenken konnte, auch wenn das enthaltene Schwarz darin vordergründig erscheint.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Dimitrios Charistes)
Fotos: P. Eisert

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