Um mein Verhältnis zu DEPECHE MODE bzw. Martin Gore zu beschreiben, muss ich etwas weiter ausholen. Klar war ich in meiner Jugend ein Fan von DEPECHE MODE und wurde mit deren Synthie Pop Anfang der 80er Jahre sozialisiert. Leider gab es außer einer Best Of auf Amiga hinter dem „Eisernen Vorhang“ ja keine Tonträger der britischen Band regulär zu kaufen, allerdings versorgte uns das Jugendradio DT64 über den Äther ganz gut mit dem Sound von DEPECHE MODE und in der Sendung „Electronics“ gab es sogar die Rubrik „DEPECHE MODE-Song der Woche“. Zeitgleich mit dem legendären „Black Celebration“-Album kam ich mit Punk und Dark Wave in Berührung, so das DEPECHE MODE in Folge deutlich aus meinem Fokus wichen, wenn ich auch deren Musik nie aus den Ohren verlor. „Violator“ war dann wieder so ein Konsens-Werk, was keinem peinlich war, es gut zu finden und es selbst heute noch zu meinem Lieblings-Album der Band gehört. Seltsamerweise hatte ich dieses viele Jahre nur als Original-Kassette und mir wesentlich später im CD- wie letztendlich Vinyl-Format nachgekauft. In den 90er Jahren rauschte DEPECHE MODE dann irgendwie an mir vorbei und erst „Playing The Angel“ konnte mich wieder so richtig packen, um vom Nachfolger „Sounds Of The Universe“ völlig enttäuscht zu werden. Selbst das letzte Album „Delta Machine“ zündete bei mir mit reichlich einem Jahr Verspätung, was jedoch ein plötzliches intensives Abtauchen in die Diskografie von DEPECHE MODE meinerseits nach sich zog. Und jetzt ein neues Solo-Album vom Band-Kopf und Haupt-Song-Schreiber Martin L. Gore, den ich eigentlich als schüchternen Typen mit komischen Frisuren und Klamotten von den Fotos aus der BRAVO in Erinnerung hatte, die damals zu uns durchdrungen waren. 2012 lies mich schon das gemeinsames Projekt zusammen mit seinem alten Ex-Kollegen Vince Clark namens VCMG aufhorchen, denn solch einem pumpenden Old School-Techno-Sound hätte ich in dieser „Alt-Herren-Konstellation“ nicht erwartet. Nun also sein erstes richtiges selbst betiteltes Solo-Album, wenn man mal von seinen eher akustischen Coverversionen-Sammlungen „Counterfeit 1 & 2“ absieht. Ausgangspunkt dafür waren wohl einige Demos, welche aus den Sessions zu „Delta Machine“ übrig geblieben und die zu schade fürs Archiv waren. So arbeitete Martin Gore daran weiter und es wurden dann letztendlich 16 minimal-atmosphärische wie instrumentale Tracks daraus. Als ich das Album zum ersten Mal hörte, klang das Ganze für mich eher nach monotonen Fragmenten oder dahin gehuschte Ambient-Skizzen, aber zumindest voll elektronisch und ohne die erwartete Gitarre. Immer und immer wieder gab ich den Tracks jedoch eine Chance und nach der x-Wiederholung platze dann doch noch der Knoten. Das anfangs etwas beliebig wirkende Zusammenspiel von analogem Vintage-Equipment und digitalen Geräten entpuppte sich plötzlich als druckvoll wie ziemlich ausgefeilt und clever, so das ich die kleinen verspielten Melodien und Harmonien der an sich relativ kurzen Tracks nicht mehr aus dem Kopf bekam. Erinnerungen an große Si-Fi-Film-Soundtracks wie „Blade Runner“ werden dabei wach, aber auch an die ersten beiden experimentellen RECOIL-Platten von Alan Wilder (zufällig ebenfalls ein Ex-Kollege von ihm), die frühen Ambient-Spielereien von MOBY oder die übermächtigen KRAFTWERK. Wer hier jedoch Gesang und DEPECHE MODE ähnliche Stadion-Hymnen erwartet, sollte besser die Finger davon lassen, was aber scheinbar viele nicht abgeschreckt hat und das Album in der ersten Woche nach Veröffentlichung Top 10 gechartet ist. Natürlich ist mir klar, dass das Interesse an MG wesentlich kleiner wäre, wenn da nicht die großen Initialen DM im Hintergrund wären und keineswegs würde ich so weit wie Albert Koch vom MUSIKEXPRESS gehen, welcher nach diesem gelungenem Solo-Album gleich die musikgeschichtliche Stellung seiner Haupt-Band in Frage stellt. Dennoch ist Martin Gore hier ein kleines Meisterstück geglückt, für das man sich schon etwas Zeit nehmen sollte, es dafür aber auch lange nachhallt. Wem die instrumentale Basis von „Delta Machine“ minus Blues-Gitarren gefallen hat und schon immer was mit den experimentellen Zwischentönen auf den alten Platten anfangen konnte, dem sei MG wärmstens empfohlen. Ein weitere Kaufanreiz sollte die Doppel-Vinyl-Ausgabe sein, welche diesmal übrigens wieder mit CD und in einem herrlich haptischen Gatefold-Cover aus rauer Kartonpappe kommt. (Marco Fiebag)
Format: 2LP+CD/CD |
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